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Genforschung: Ist unsere Gesundheit vererbbar?

Ob wir dick werden, erben wir das von unseren Eltern? Ob wir an Krebs erkranken, liegt das an unseren Genen? Oder können wir es verhindern? Was die Genforschung über unsere Gesundheit verrät - darüber haben wir mit der Genforscherin Susan Gasser aus Basel gesprochen.
Genforschung: Ist unsere Gesundheit vererbbar?
© iStockphoto/Thinkstock

Für viele Wissenschaftler ist die Epigenetik der zurzeit spannendste Forschungszweig. Nur: Die meisten Menschen haben noch nie davon gehört. Was ist das denn eigentlich?

Susan Gasser: Neben dem Erbgut, also den Genen oder der DNA, enthalten unsere Zellen molekularbiologische Informationen, die die Gene steuern. Will eine Zelle neue Zellen herstellen, gibt sie immer beides weiter – die Baupläne, also die Gene, und die Anweisungen, welcher dieser Baupläne zum Einsatz kommt. Sie ist sozusagen ein Bindeglied zwischen Umwelt und Genen, denn sie bestimmt mit, welche Gene an- und welche ausgeschaltet werden. Trotz des fast identischen Genoms sind Menschen ja sehr unterschiedlich, selbst eineiige Zwillinge mit exakt denselben Genen. Die Epigenetik bestimmt, was uns zu einem einzigartigen Individuum macht. Sie wird von der Umwelt geprägt. Es ist wie bei einem Haus: Die Gene sind die Baupläne eines Hauses, aber das Epigenom ist es, das das Haus einzigartig macht – die Farben, die Inneneinrichtung, die Tapeten. Das Haus steht immer in Wechselwirkung mit der Umgebung, es kann von einem Sturm beschädigt werden oder muss neu angestrichen werden, wir können die Räume neu einrichten, aber es ist immer noch dasselbe Haus.

Also ist unser Epigenom im Gegensatz zu den Genen veränderbar?

Genau. Was wir erfahren, was wir essen, was wir erleben, kann unsere Gene umschalten – über epigenetische Schalter an der DNA, die entscheiden, ob das Gen aktiv ist oder nicht. Dabei werden winzige Moleküle wie Methylgruppen hinzugefügt oder entfernt. Äußere Einflüsse können diese epigenetischen Markierungen und damit die Aktivität einzelner Gene ein Leben lang verändern. Das heißt, es gibt ein molekulares Gedächtnis für unsere Erfahrungen. Dass wir auf unsere Umwelt reagieren, ist ja nicht neu. Was neu ist: Wir verstehen, wie die Schalter funktionieren und wie die Zelle sich daran erinnert.

"Wenn ich gewusst hätte, wie lange ich lebe, hätte ich besser auf meinen Körper aufgepasst."

Ein großer Fortschritt, der die Gesundheit von vielen Menschen verbessern wird, oder?

Fortschritt: ja, aber die Gesundheit verbessern: leider noch nicht. Studien haben gezeigt: Wer eine Hungersnot durchlitten oder im Mutterleib nur wenig Nahrung bekommen hat, tendiert später zu Übergewicht und Diabetes, weil die Stoffwechselzellen epigenetisch umprogrammiert wurden. Was können wir tun, um das zu verhindern? Wie können wir die chemischen Schalter an den Genen umschalten? In einigen Jahren werden wir hoffentlich in der Lage sein, mit diesem Wissen Krankheiten vorzubeugen und sie nicht erst zu behandeln, wenn sie schon ausgebrochen sind.

Das gibt uns viel Verantwortung für unser Leben ...

Wir sind immer ein Produkt unseres Verhaltens und unserer Gene. Wenn wir zu viel essen, werden wir dick. Wenn wir uns zu wenig bewegen, verlangsamt sich unser Stoffwechsel. Wichtig ist, dass ein ungesunder Lebensstil auch langanhaltende Nachwirkungen haben kann! Ich habe mal einen großartigen Satz von einem hundertjährigen Jazzmusiker gehört: Wenn ich gewusst hätte, wie lange ich lebe, hätte ich besser auf meinen Körper aufgepasst. Das ist die Botschaft der Epigenetik: Wir werden alle länger leben, und unsere Körper haben eine Erinnerung an das, was wir jetzt tun und was wir getan haben. Also sollte man gut über die langfristigen Folgen seines Lebensstils nachdenken – vor allem, da sich unsere Lebensspanne dramatisch verlängert. Die Kinder, die heute geboren werden, leben durchschnittlich 82 Jahre, unsere Eltern hatten noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von 63 Jahren. Aber diese persönliche Verantwortung hat auch eine positive Seite: Wer mit der Neigung zu Übergewicht geboren wurde, kann unter Umständen diesem Schicksal entgehen, wenn er sein Leben ändert, anders isst oder mehr trainiert.

Geben wir diese epigenetischen Veränderungen eigentlich an unsere Kinder weiter?

Normalerweise werden epigenetische Markierungen bei der Befruchtung gelöscht. Aber an einigen Genen bleiben sie erhalten und an die Nachkommen weitergegeben. Bisher kennen wir 15 oder 20 Gene, bei denen das geschieht, aber es können auch mehr sein.

Könnte das ein Motivationsgrund sein, gesünder zu leben, mehr Prävention zu betreiben? Wir tun es ja plötzlich nicht mehr nur für uns, sondern für unsere Kinder und Enkel.

Das ist eine sehr wichtige Botschaft! Es gibt eine Übertragung von einer Generation zur nächsten. Das ist vor allem für schwangere Frauen wichtig, denn ihre Ernährung während der Schwangerschaft kann das Epigenom des Neugeborenen beeinflussen. Es gibt eine sehr bekannte Studie an einer Bevölkerungsgruppe in Nordschweden nach dem Zweiten Weltkrieg. In diesem Dorf gab es mehrere strenge Winter mit langen Hungerperioden. Trotzdem wurden in der Zeit Kinder geboren. Sie hatten eine deutlich höhere Rate, später an Herz-Kreislauf-Krankheiten zu erkranken. Eine Erklärung ist, dass sich während dieser Hungerphase etwas im Epigenom veränderte und dass diese Veränderung weitergegeben wurde. Wir wissen, dass keine Genmutation ausschlaggebend war, weil das Phänomen viele Familien betraf, die nicht miteinander verwandt waren. Diese Studie wird oft als Argument herangezogen, um zu zeigen, dass wir mit unserer Lebensweise das Leben unserer Enkel beeinflussen.

Schwangerschaft ist offenbar eine sehr sensible Periode, was epigenetische Veränderungen angeht ...

Exzessive Einnahmen von Nahrungsergänzungsmitteln wie Folsäure kann das Epigenom beeinflussen, das wissen wir aus Mausstudien. Bei besonderen Mausstämmen veränderte sich die Fellfarbe, durch epigenetische Veränderungen, die durch Folsäure ausgelöst wurden. Wir wissen noch nicht, was sonst möglich ist, aber wir wissen, dass ein gesunder Lebensstil einen Einfluss auf das Leben unserer Nachkommen haben kann.

Verändert die Epigenetik auch die Medizin?

Mit epigenetischen Markierungen werden wir Krankheiten genauer diagnostizieren und vielleicht neue Behandlungsmethoden entwickeln können. Das menschliche Erbgut ist komplett entziffert, die meisten Gene sind in ihrem Aufbau und ihrer Funktion bekannt und haben bei allen Menschen eine hohe Übereinstimmung: Wir sind zu 99,98 Prozent identisch. Die Gene herauszufinden, die sich unterscheiden und die Krankheiten auslösen, braucht noch viele Jahre. Wir alle können unser Genom, den Bauplan unseres Lebens, inzwischen für ein paar tausend Euro sequenzieren lassen.

Haben Sie das bei sich untersuchen lassen?

Nein, denn diese Information liefert uns selten eindeutige Anworten, denn wir haben ja immer zwei Gene, eins vom Vater und eins von der Mutter, und wir wissen nie, ob das gesunde oder das eventuell krankmachende Gen dominant ist. Es ist sehr selten, dass man eine Mutation, die Krankheiten auslöst, von beiden Eltern erbt. Erst eine epigenetische Analyse verrät einem, welches Gen eingeschaltet ist. Die reine Gensequenzierung kann uns dann unnötigerweise Angst machen, wenn wir zwar eine Mutation in uns tragen, diese aber gar keinen Effekt hat, weil das Gen abgeschaltet ist. Erst wenn wir Genom und Epigenom kennen, können wir sehr genaue Vorhersagen treffen, ob eine Mutation unser Risiko, zum Beispiel an Brustkrebs zu erkranken, erhöht. Diese Information kann man jetzt schon bekommen, aber sie kostet noch mehr als 100.000 Euro.

Aber es ist möglich?

Ja, und in der Zukunft wird dieser Preis sinken. Und natürlich werden wir immer besser verstehen, was das Epigenom bedeutet. Mit den Informationen aus dem Genom und dem Epigenom werden Ärzte besser diagnostizieren können, was uns fehlt, und welche Behandlung in Frage kommt.

Was bringt uns das?

Ein große Anzahl von Chinesen zum Beispiel leidet an einer Hepatitis C Infektion. Die Behandlung mit Interferon ist teuer und hat starke Nebenwirkungen. Ausserdem reagiert nur die Hälfte der Menschen auf das Medikament, und man weiß nicht, warum das so ist. Ein großer Teil der Patienten leidet also an schmerzhaften Nebenwirkungen eines Medikaments, das teuer ist und nicht helfen kann. Mit einem epigenetischen Profil können wir vielleicht herausfinden, warum es bei einigen Menschen wirkt und bei anderen nicht, und dann nur diejenigen behandeln bei denen das Medikament eine Wirkung zeigt. Die Medizin wird spezifischer, individueller, intelligenter, das nennen wir personalisierte Medizin. Wir werden nicht nur Krankheiten identifizieren, sondern auch das genetische und epigenetische Profil anschauen, das uns sagt, wie wir auf Behandlungen ansprechen.

Wann wird das so weit sein?

In fünf bis zehn Jahren, früher für einige Krebsarten. Innerhalb von fünf Jahren werden wir für viele Krebsarten den genetischen und epigenetischen Fingerabdruck des Tumors ermitteln können. Der nächste Schritt ist es, effektivere Medikamente zu entwickeln. Epigenetisches Profiling wird auch den Pharmafirmen erlauben, in klinischen Studien die Patienten auszuwählen, zu denen das Medikament passt.

Haben Ihre Arbeit und Ihre Forschungsergebnisse Sie und Ihren Lebensstil verändert?

Ja, mir ist das Risiko eines ungesunden Lebensstils viel bewusster. Und deshalb achte ich mehr auf mich.

Genforschung: Ist unsere Gesundheit vererbbar?
© privat

Susan Gasser, geboren 1955 in den USA, ist Professorin für Molekularbiologie. Sie leitet an der Universität Basel das Friedrich-Miescher-Institut und ist Mitglied des Wissenschafts- und Technologierates der EU-Kommission.

Interview: Daniela Stohn

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