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Plötzlich Mutter: Nach fünf Jahren im Koma trifft Carola ihre Tochter zum ersten Mal

Plötzlich Mutter: Nach fünf Jahren im Koma trifft Carola ihre Tochter zum ersten Mal
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Fünf Jahre lag Carola Thimm im Koma. Als sie erwacht, ist sie plötzlich Mutter - und begreift nicht, dass das Mädchen neben ihr die eigene Tochter ist.

Carola Thimm war im vierten Monat schwanger, als ein Blutgefäß in ihrem Kopf platzte und sie von einem Moment auf den anderen zusammenbrechen ließ. Mit mehreren Operationen konnten Ärzte ihr Leben retten, mussten sie jedoch in ein künstliches Koma versetzen. Erst fünf Jahre später sollte die junge Frau den Weg zurück ins Leben finden.

Tatsächlich öffnete Carola ein paar Wochen später wieder die Augen - aber wirklich aus dem Koma erwacht war sie trotzdem nicht. Schon bald war von einem Wachkoma die Rede, und dass ungewiss wäre, ob sie überhaupt jemals wieder aufwachen würde.

Im Rollstuhl mit Stütze: So verbrachte Carola Thimm viele Jahre ihres Wachkomas.
Im Rollstuhl mit Stütze: So verbrachte Carola Thimm viele Jahre ihres Wachkomas.
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Koma-Geburt per Kaiserschnitt: Entbindung ohne Mutterliebe

In der 31. Schwangerschaftswoche setzen die Wehen ein. Carola wird in eine Uniklinik verlegt, ihre Tochter per Kaiserschnitt entbunden. Carolas Mann Michael gibt ihr einen Namen: Marie. Er macht auch ein Foto davon, wie sich das neugeborene Baby an seine Mama kuschelt - und die Mama mit leerem Blick wegschaut, ohne zu registrieren, was gerade geschehen ist.

Auch die Geburt ihrer Tochter kann Carola nicht ins Leben zurückholen. Sie bleibt im Koma, wird in den folgenden Jahren mehrfach verlegt und schließlich im Alter von 39 Jahren in ein Altenheim eingewiesen. Ihre Familie gibt die Hoffnung nicht auf und besucht sie dort täglich. Auch die kleine Marie klettert dort immer wieder auf das Bett ihrer Mutter - aber aufwecken kann sie sie nicht.

Lebenszeichen nach einem halben Jahrzehnt

Fünf Jahre später geschieht plötzlich ein Wunder: Nach einer Untersuchung möchte ein Arzt probieren, Carolas Medikamente neu zu dosieren und eines komplett auszutauschen. Fast unmerklich beginnt Carola, aus dem Koma zu erwachen: Ihr leerer Blick fixiert immer häufiger die Gesichter ihrer Besucher. Sie schafft es, mit Hilfe der Pfleger eigene Schritte zu machen. Und eines Tages versucht die ehemalige Tauchlehrerin mit ihrer Hand, das "Okay"-Zeichen zu geben - ein Lebenszeichen nach all den verlorenen Jahren.

Die Rückkehr ins Leben ist langsam und schwierig: Carola lernt wieder laufen und sprechen, die Erinnerung an ihren Mann Michael und die Familie kehrt zurück. Nur, dass dieses fröhliche Mädchen, das sie oft besucht, ihre eigene Tochter ist, begreift sie nicht.

"Du bist meine Mama, das musst du doch wissen!"

Obwohl ihre Schwester Brita ihr immer wieder von Maries Kaiserschnittgeburt erzählte, blockierte Carolas Verstand diese Information komplett ab. Sie freute sich über den Besuch, ohne Muttergefühle zu entwickeln. Selbst als Marie verzweifelt "Du bist meine Mama, das musst du doch wissen!" zu ihr sagte, konnte sie diese Information nicht verarbeiten.

Erst Monate später ist Carolas Genesung so weit fortgeschritten, dass sie erkennen kann, wie sehr sich ihr Leben in den letzten fünf Jahren verändert hat. Wochenlang arbeitet sie daran, ihre Sprache zurückzugewinnen. Schließlich gelingt es ihr, zum ersten Mal seit ihrem Wachkoma einen Namen auszusprechen: "Marie."

Neben den alltäglichen Dingen und Handgriffen, die Carola völlig neu lernen musste, kam nun auch eine ganz neue Aufgabe dazu: Lernen, eine Mutter zu sein für ein Kind, das ihr noch immer fremd war. Doch Marie liebte ihre Mutter trotz all dieser Schwierigkeiten. Und Carola wuchs jeden Tag mehr in diese neue Rolle hinein.

Wie entwickelt man Muttergefühle für ein Kind, das einem fremd ist?
Wie entwickelt man Muttergefühle für ein Kind, das einem fremd ist?
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Ein zweiter Start in ein komplett neues Leben

"Mein Leben ohne mich"
Die unglaubliche Geschichte ihres jahrelangen Komas und der ersten Begegnungen mit ihrer Tochter Marie erzählt Carola Thimm in ihrem Buch "Mein Leben ohne mich" (ca. 20 Euro, Patmos Verlag).
© Patmos Verlag

Inzwischen kann Carola Thimm eigenständig und ohne Pflege ihren Alltag meistern. Sie wohnt in einer Mietwohnung, wo auch Marie ein Kinderzimmer hat. Die Ehe zu ihrem Mann ist in den langen, schmerzhaften Jahren des Wachkomas zerbrochen. Aber die beiden teilen sich das Sorgerecht für ihre Tochter und haben ein gutes Verhältnis zueinander.

Noch immer fehlen Carola zahlreiche Erinnerungen an ihr Leben, die sie wohl nie komplett zurückgewinnen wird. Doch solche Rückschläge sind nebensächlich für sie. Dass sie den Weg zurück ins Leben finden konnte, ist ein Wunder, für das sie sehr dankbar ist.

Ihr neues Leben als Mutter einer wundervollen Tochter, die auch die schweren Zeiten an ihrer Seite durchgestanden hat, ist alles, was zählt - gerade weil es ihr nicht vergönnt war, die kostbaren ersten Lebensjahre ihres Kindes mitzuerleben.

heh

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