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Eisbaden Winterschwimmen als eiskalter Trend

Eisbaden: Eine Frau mit Mütze steht in einem Eisloch
© Girts / Adobe Stock
Winterbaden im See oder im Meer liegt gerade total im Trend. Aber wie gesund ist es wirklich?

Da wirklich reingehen? Nackt in ein Eisloch im See bei einem Wetter, wo sonst die Jacke gar nicht dick genug sein kann? Gut, dass man vorher in der Sauna war, das macht es vielleicht erträglicher. Okay, los. Ein Schock. Ein Schmerz wie tausend Nadelstiche. Keuchen, das Gefühl, keine Luft zu bekommen. Nein, es geht nicht mehr, jede Zelle des Körpers schreit, dass sie das nicht erträgt. Nur schnell raus hier. Das war der erste bescheidene Selbstversuch im Eisbaden, gemacht im Winterurlaub in Finnland.

Gut, ein Winterbad im Freien ist beim ersten Mal nicht unbedingt ein Spaß. Und trotzdem populär wie nie: An vielen Seen sieht man Menschen, die sich zum Baden und Schwimmen bei Schnee und Eis treffen. Im Internet vernetzen sich neue hippe Communities, die Eisbaden mit Atemtechniken, Meditation und Yoga verbinden, und alteingesessene Vereine fürs Winterschwimmen haben plötzlich ungeheuren Zulauf. "Als ich vor acht Jahren in den Verein eingetreten bin, hatten wir 73 Mitglieder", sagt Mario Beyer, der von Oktober bis April jeden Sonntagvormittag mit den "Berliner Seehunden" im Orankesee badet und im Vorstand des Vereins ist. "Heute sind es fast 160. Und der Altersdurchschnitt ist deutlich gesunken, früher waren hier überwiegend Ältere, aber die neuen Mitglieder sind meist zwischen Ende 20 bis Ende 40."

Corona sei sicherlich ein Grund dafür gewesen, sagt Beyer, "die meisten Sportvereine waren geschlossen, wir waren da", und als Eisbaden dann auch mehr in den Medien stattfand, seien noch mehr Leute darauf aufmerksam geworden. Aber auch jetzt, wo es keine Lockdowns mehr gibt, ist der Trend ungebrochen: "Die Leute wollen was für ihre Gesundheit tun und dabei andere Menschen treffen", sagt Beyer. "Und viele suchen auch die mentale Herausforderung. Sie wollen den inneren Schweinehund überwinden und sich auch ein bisschen selbst was beweisen."

Aber wie gesund ist es denn nun wirklich? Und wie riskant?

"Mit der Frage habe ich mich ein Jahr wissenschaftlich beschäftigt, ehe ich mich selbst das erste Mal ins Wasser getraut habe", sagt Susanna Søberg, Stoffwechselforscherin aus Kopenhagen, die kürzlich ein Buch zum Thema rausgebracht hat ("Winterschwimmen", Piper). Heute geht sie in der Saison mehrmals die Woche ins Wasser.

Vorweg: Der Kälteschock ist eine Herausforderung für Herz und Gefäße und daher eher nichts für Menschen mit unbehandelten Herz-Kreislauf-Beschwerden, Herzrhythmusstörungen oder unbehandeltem Bluthochdruck. Im Zweifel sollte man vorher ärztlichen Rat einholen. Aber für Menschen ohne diese Risikofaktoren sei das kalte Wasser tatsächlich sehr gesund, sagt Susanna Søberg: "Regelmäßiges Eisbaden senkt den Blutdruck und den Ruhepuls. Es lässt sich auch nachweisen, dass bestimmte Entzündungsmarker im Blut sinken" – ein Hinweis darauf, dass das Immunsystem tatsächlich gestärkt wird. Und nicht zuletzt ist es gut für die Seele: "Als Reaktion auf den Kälteschock schüttet der Körper Endorphine und Dopamin aus, was die Laune hebt und glücklich macht." Ein Eisloch wie in Finnland braucht man dafür nicht – schon auf Wassertemperaturen unter 15 Grad reagiert der Körper entsprechend.

Søbergs besonderes Interesse als Stoffwechselforscherin gilt dem braunen Fettgewebe, was im Gegensatz zum weißen Fett keine Energie speichert, sondern sie verbrennt, um Wärme zu erzeugen, quasi eine körpereigene Heizung. Früher ging man davon aus, dass dieses braune Fettgewebe nur Babys haben, da sie noch nicht genug Muskelmasse besitzen, um durch Zittern den Körper warm zu halten. Mittlerweile aber weiß man, dass auch Erwachsene noch braunes Fettgewebe besitzen, das durch Kälte aktiviert und auch vermehrt wird. Und braunes Fett ist "gutes" Fett, erklärt Susanna Søberg: Als Energie zur Wärmeproduktion nutzen die braunen Fettzellen sehr schnell und effizient Zucker und Fett aus dem Blutkreislauf, was sich wiederum positiv auf die Blutwerte auswirkt und unter anderem das Risiko senken kann, an Typ-2-Diabetes oder Arteriosklerose zu erkranken. Die oft gehörte Hoffnung, dass man allein durch regelmäßiges Eisbaden abnimmt, weil in der Kälte ja die Fettverbrennung angeregt wird, dämpft die Wissenschaftlerin allerdings: "Theoretisch würde man zwar an Gewicht verlieren, aber in der Praxis spielen da zu viele andere Faktoren eine Rolle. Winterschwimmen kurbelt den Stoffwechsel an, das heißt, man hat auch mehr Hunger und isst mehr – im Winter ja ohnehin."

Die richtige Dosis macht den Unterschied

Um das Maximum an positiven gesundheitlichen Effekten zu erreichen, muss man übrigens keineswegs für die nächsten Eisschwimm-Weltmeisterschaften trainieren: "Das Prinzip ist, dem Körper Mikrostress auszusetzen, aber nicht zu erschöpfen. Ideal ist, wenn man zwei- bis dreimal die Woche geht, aber jeweils nicht mehr als zwei Minuten am Stück im Wasser bleibt und insgesamt nicht mehr als elf Minuten in der Woche." Sie empfiehlt außerdem, nicht am Schluss noch mal in die Sauna zu gehen oder direkt unter die heiße Dusche zu hüpfen, sondern sich den Körper allein wieder auf Temperatur bringen zu lassen.

Und wenn kein See oder Meer in der Nähe ist, tut es dann auch eine kalte Dusche? "Die ist auch gut. Aber sie hat eine andere Wirkung", sagt Susanna Søberg. "Die kalte Dusche gibt vor allem Energie. Das kalte Bad ebenfalls. Aber wenn man beim Bad über den ersten Kälteschock hinweg ist – das kann 20 Sekunden bis über eine Minute dauern –, wird im Gegensatz zur Dusche auch der Teil unseres vegetativen Nervensystems stimuliert, der für Ruhe und mentale Balance sorgt. Und außerdem: Ein Bad im Freien ist ein Naturerlebnis, das man mit allen Sinnen erfährt."

Ein zweiter Versuch am finnischen Eisloch. Nur Mut. Diesmal mit mehr Ruhe. Bewusst atmen. Atmen. Atmen. Es geht schon einfacher. Dann nach draußen, in den kuscheligen Bademantel. Ich merke, wie wieder Blut durch den Körper fließt. Etwas später ist der Körper ganz warm statt kalt. Und die Laune? Eigenartig euphorisch. 

Lust bekommen?

► Im Zweifelsfall: Vorher ärztlichen Rat einholen.

► Niemals allein zum Baden gehen, immer in Begleitung.

► Nicht den Kopf untertauchen! Der Körper verliert darüber am meisten Wärme, im schlimmsten Fall kann man ohnmächtig werden.

► "Viel ist Kopfsache", sagt Mario Beyer von den "Berliner Seehunden". "Die Schmerzzonen sind der Bauch und der Unterleib, trotzdem einfach weitergehen bis zum Hals. Vor allem: Bewusst ruhig und langsam atmen!"

► Anfangs nur rein und schnell wieder raus, das Ganze ein- bis zweimal wiederholen. Sich nur langsam über Wochen an (etwas) längere Zeiten rantasten. Zittern ist das Zeichen, das man aus dem Wasser sollte.

Brigitte

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