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Duft-Unverträglichkeit: Mehr als nur eine Abneigung

Duft-Unverträglichkeit: Frau riecht an einer Sonnenblume
© Sjale / Shutterstock
Die Duftkerze, das Rasierwasser oder auch ein blühendes Rapsfeld: Kann es wirklich sein, dass einem ein Duft körperlich zu schaffen macht? Ja, und Frauen sind besonders anfällig für solche Duft-Unverträglichkeiten.

Es ist nicht alles nur eingebildet. Bei manchen Menschen geht die Abneigung bestimmten Düften gegenüber weit hinaus über ein bloßes „Kann ich nicht leiden“. Für sie sind die Gerüche eine Qual, die sie womöglich völlig lahmlegt. Denn eine Duft-Unverträglichkeit kann auf Herz, Lunge und Verdauung schlagen. Warum man über eine zunehmende Geruchsempfindlichkeit nicht hinweggehen sollte, sagt die Augsburger Umweltmedizinerin Claudia Traidl-Hoffmann.

BRIGITTE WOMAN: Frau Traidl-Hoffmann,
dass man bestimmte Gerüche nicht mag,
ist doch völlig normal, oder?

CLAUDIA TRAIDL-HOFFMANN: Ja, natürlich gibt es Gerüche, die einige Leute ungern riechen, die aber für andere kein Problem sind. Wie man auf Düfte reagiert, kann sich jedoch verändern. Es ist möglich, mit zunehmendem Alter einen Toleranzverlust gegenüber ansonsten unproblematischen Duftstoffen zu entwickeln. Gerade Menschen mit besonders gutem Riechvermögen passiert das. Und es kann wirklich krankhaft werden.

Was passiert dann?

Die Leute reagieren mit ganz unterschiedlichen Beschwerden, wenn sie bestimmten Düften ausgesetzt sind. Fast alle meiner Patienten berichten von Schleimhauttrockenheit, also trockenen Augen oder einem trockenen Mund. Manche entwickeln asthmatische Beschwerden oder Herzrasen, andere Magen-Darm-Probleme. Häufig höre ich auch von Kopfschmerzen und Hautreaktionen. Damit ergibt sich ein sehr breites Beschwerdespektrum. Oft reagieren die Patienten anfangs nur spezifisch auf einen oder wenige Duftstoffe. Und dann kann es passieren, dass sie nach einigen Jahren gar keine Gerüche mehr ertragen können, weil der Toleranzverlust ständig fortschreitet.

Gibt es Menschen,
die besonders anfällig dafür sind?

Risikofaktor Nummer eins ist das weibliche Geschlecht. Unter meinen Patienten sind fast nur Frauen. Wie häufig solche Probleme insgesamt sind, darüber gibt es bisher noch keine zuverlässigen Daten.


Warum gerade Frauen?

Das verstehen wir nur bruchstückhaft. Der Geruchssinn scheint bei Frauen besser ausgeprägt zu sein als bei Männern. Im Rahmen einer Studie in München haben wir Patienten mit einer Multiplen Chemikalien-Sensitivität (MCS), unter die auch die Duft-Unverträglichkeit fällt, genauestens untersucht. Wir haben sogar Gehirnströme abgeleitet und Allergietests gemacht, um etwas Objektivierbares zu finden. Danach konnten wir als Einziges feststellen, dass diese Patienten besser riechen können.


Welche Düfte machen die meisten Probleme?

Künstliche Duftstoffe verursachen ähnlich oft Beschwerden wie natürliche. Ich hatte zum Beispiel eine Patientin, die nicht mehr an Rapsfeldern vorbeigehen konnte, weil dieser Geruch bei ihr krankhafte Symptome auslöste. Besonders oft sind Stoffe problematisch, die auch Kontaktallergien hervorrufen. Dazu gehören vor allem Limonen und Citronella, die beide stark nach Zitrus riechen. Wahrscheinlich setzen sie Mechanismen des Immunsystems in Gang, die eine Entzüngsdungsreaktion nach sich ziehen. Solche Stoffe können eine Allergie auslösen und zudem die Toleranzschwelle bei erneutem Riechen senken.

Ist eine Duft-Unverträglichkeit also eine Art Allergie?

Nein, definitiv nicht. Eine Allergie ist eine klar definierte immunologische Reaktion, die sich messen und nachweisen lässt. Eine Überempfindlichkeitsreaktion auf Duftstoffe dagegen kann ich nicht mit einem Blut- oder Hauttest erfassen. Der Arzt kann nur durch eine eingehende Anamnese herausbekommen, was genau los ist, also durch ein intensives Patientengespräch. Deshalb gilt diese Erkrankung in der klassischen Medizin auch als wenig anerkannt.

Sind die Probleme oft psychisch bedingt?

Das ist wie die berühmte Frage nach dem Huhn und dem Ei: Was war zuerst da? Häufig sind es die körperlichen Beschwerden, die psychische Probleme nach sich ziehen. Fast alle meiner Patienten mit Duftstoff-Unverträglichkeit isolieren sich zunehmend vom sozialen Leben. Wenn sie in den Urlaub fahren, müssen sie ihr Hotel gezielt auswählen. Oder sie müssen wieder abreisen, weil es da so riecht. Es gibt tatsächlich Leute, die machen die Tür nicht mehr auf, weil sie Angst haben, der Postbote könnte Rasierwasser aufgetragen haben. Manche telefonieren nur noch mit Bekannten, vermeiden aber persönliche Treffen. Solche Patienten entwickeln als Folge körperlicher Beschwerden ein psychisches Belastungssyndrom.

Und wie kommt es zu einer solchen Überempfindlichkeit?

Genau weiß die Wissenschaft das noch nicht. Ich bin aber überzeugt davon, dass es sich um eine Art Konditionierung handelt. Ursprünglich hatten die Betroffenen vielleicht eine Art Allergie auf etwas, was einen bestimmten Duft verströmt – etwa Zitrusfrüchte. Dieser Allergenträger als Auslöser für die krankhafte Reaktion ist später nicht mehr da. Die Patienten sind dennoch konditioniert darauf, bereits auf dessen Duftstoff mit organischen Symptomen zu reagieren. Daher glaube ich auch, dass wir sie entsprechend dekonditionieren können. Dazu wird an unserem Institut bald eine experimentelle Studie anlaufen.


Wie sieht das Studienkonzept aus?

Wir werden versuchen, den Duftstoff mit etwas Positivem zu verbinden. Dazu müssen wir den Patienten fragen: Was löst bei Ihnen besonders positive Gefühle aus? Das hört sich vielleicht ein bisschen nach Esoterik an. Aber man weiß inzwischen, dass das Nerven- und das Immunsystem in enger Verbindung stehen. Das Konzept entwickeln wir gemeinsam mit Psychiatern und Psychosomatikern. Wahrscheinlich werden wir dabei sehr auf visuelle Reize, etwa Fotos, setzen.

Würden Sie mir als Tierliebhaberin,
die keinen Mandelduft verträgt,
also vielleicht Hundefotos vorlegen?

Genau. Gleichzeitig würden wir Ihnen Mandelduft in einer niedrigen Dosierung zu riechen geben. Der Geruch wird also mit einem positiven Reiz zusammengebracht. Anschließend wird die Dosierung allmählich gesteigert, bis die Toleranz wieder erreicht wird oder zumindest auf ein erträgliches Niveau erhöht werden kann.


Was würden Sie denn einer Frau raten,
die immer stärker unter Gerüchen leidet?

Wenn ein Duft körperliche Probleme wie Herzrasen, Atembeschwerden oder Kopfweh bereitet, sollte sie dringend zum Arzt gehen. Das ist wichtig, damit sich die Probleme nicht ausweiten. Am besten sucht sich die Frau einen Arzt, der sich mit dem Einfluss von äußeren Faktoren auf die Gesundheit auskennt, also zum Beispiel einen Umweltmediziner. Außerdem gibt es in vielen Städten umweltmedizinische Ambulanzen, an die man sich wenden kann.


Wie gehen Ärzte dann vor?

Zunächst geht es darum, andere Erkrankungen auszuschließen. Steht fest, dass es sich um eine Duft-Unverträglichkeit handelt, versuchen Ärzte, gegen den Toleranzverlust vorzugehen. Lässt sich ein krank machender Duft genau bestimmen, kann man versuchen, ihn zu meiden. Ich habe eine Patientin, die ausgerechnet in der Kosmetikindustrie arbeitet. Sie kann für sich selbst genau sagen, welche Duftstoffe sie nicht verträgt, und diese immerhin am Arbeitsplatz gezielt meiden. Eine allgemein anerkannte Therapie gibt es aber leider noch nicht. Manche Kliniken versuchen, die Probleme mit alternativen Methoden zu behandeln, etwa durch ausleitende Verfahren, aber wissenschaftlich belegt ist deren Wirkung nicht. Es ist inzwischen schwer, Düften zu entgehen. Auch Geschäfte, Fitnessstudios oder Hotels werden beduftet.

Sollte man zurückhaltender im Umgang mit solchen Stoffen sein?

Unbedingt! Duftstoffe haben in Kaufhäusern und öffentlichen Räumen nichts zu suchen. Warum versuchen wir, schlechte Gerüche durch Beduftung zu überdecken, statt einfach öfter zu lüften? Chemische Substanzen sind ja nicht nur für MCS-Patienten problematisch, sondern auch für Menschen mit Kontaktallergien. Letztere können beispielsweise Hautprobleme entwickeln, wenn sie über die Luft mit Duft- oder Konservierungsstoffen in Berührung kommen. Auch im privaten Bereich lautet meine Empfehlung, auf Duftstoffe ganz einfach zu verzichten.

Prof. Dr. CLAUDIA TRAIDL-HOFFMANN, 47, ist Direktorin des Instituts für Umweltmedizin an der Universität Augsburg und leitet die Ambulanz für Umweltmedizin am dortigen Klinikum.

Brigitte 05/2018

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