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Dr. Astrid Freisen Psychiaterin – und bipolar gestört

Dr. Astrid Freisen: Frau steht mit Händen vorm Gesicht vor Spiegel
© triocean / Shutterstock
Dr. Astrid Freisen behandelt Menschen mit psychischen Erkrankungen. Und die Psychiaterin hat selbst eine bipolare Störung – die sie irgendwann nicht mehr verheimlichen wollte. Hier erzählt sie unsere Geschichte – die sie zu unserer starken Frau im April macht.

Es war 2010, und ich arbeitete bereits als Ärztin in einer psychiatrischen Klinik, als ich anfing, Dinge zu machen, die nicht mehr normal waren. Ich konnte nicht mehr still sitzen. Ich redete schnell und viel und war nicht zu unterbrechen. Ich schlief fast überhaupt nicht mehr.

Mal war ich euphorisch, aber noch öfter gereizt und fing mit jedem Streit an. Irgendwann legte mein Chef mir nahe, mal zwei Wochen Urlaub zu nehmen. Stattdessen ging ich in eine psychiatrische Klinik, die weit entfernt von unserer war. Als Patientin.

Das Wechselbad der Gefühle

Im Prinzip wusste ich ja schon vorher, was mit mir los war, obwohl ich es nicht wahrhaben wollte. Jedes Jahr im Winter hatte ich Depressionen gehabt, während im Sommer meine Stimmung im Hoch war – ehrlich gesagt: etwas zu hoch. Eine Psychiaterin hatte das bereits Jahre zuvor als bipolare Störung diagnostiziert: ein Wechsel zwischen depressiven Phasen mit hoffnungsloser Stimmung, und manischen Phasen mit euphorischer bis reizbarer Stimmung sowie übersteigerter Aktivität, dazwischen auch Zeiten mit wenig oder keinen Krankheitssymptomen. Aber ich, die beruflich täglich mit psychischen Erkrankungen zu tun hat, hatte das für mich weit von mir weggeschoben. Bis zu diesem Zeitpunkt, wo es offensichtlich war.

Als ich nach meinem stationären Aufenthalt in der Klinik an meinen Arbeitsplatz zurückkam, erzählte ich meinen engsten Kolleg*innen und meiner Chefärztin von meiner Diagnose. Es zu verschweigen wäre auch keine Option gewesen, sie hatten es ja mitbekommen. Ich war damals noch in der Facharztausbildung und hatte nur einen befristeten Vertrag, man hätte mich daher gut loswerden können. Aber mir wurde signalisiert, dass man mich für eine gute Ärztin halte und gern weiter mit mir zusammenarbeiten möchte, obwohl klar war, dass ich mit der Krankheit einen geregelteren Tagesablauf brauche und beispielsweise keine Nachtdienste mehr machen kann. Das war für meine Vorgesetzten okay, ich wurde in der Tagesklinik eingesetzt und hatte insofern beruflich keine Nachteile.

Kampf mit der Scham

Aber ich schämte mich so. In der Manie macht man Sachen, die nicht zu der eigenen Persönlichkeit passen und teilweise auch extrem verletzend für das Umfeld sind. Man realisiert das alles erst hinterher. Und nun wäre ich am liebsten im Erdboden versunken. Ich ging den Kolleginnen und Kollegen aus dem Weg und versuchte, mich so unsichtbar wie möglich zu machen.

Bis ich irgendwann an den Punkt kam, wo ich dachte: Ich bin Psychiaterin, und ich sage meinen Patientinnen und Patienten ständig, sie müssen sich für ihre Erkrankung nicht schämen. Aber ich selber verstecke mich. Warum eigentlich? Weil man als Ärztin selbst nicht krank werden darf, schon gar nicht psychisch?

Ich habe nach einer Selbsthilfegruppe für psychisch erkrankte Mediziner*innen gesucht. Aber da gab es nichts. Daher beschloss ich, selbst eine zu gründen. Es hat mich schon viel Mut gekostet, das zu machen, weil es ein großer Schritt in die Öffentlichkeit war. Wir sind mittlerweile nicht nur Selbsthilfegruppe, sondern ein eigenes Referat an der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen, das ich leite. Dass nun alle, Fachkolleg*innen und Patient*innen, von meiner Krankheit wissen oder wissen können, wenn sie oder er mich googelt, ist einerseits sehr befreiend. Andererseits ist aber auch die Gefahr da, dass jeder Konflikt oder jede Laune von mir auf die bipolare Störung zurückgeführt wird.

Es gibt Hoffnung!

Ich merke schon, dass Vorbehalte da sind. Es gibt genügend Kolleg*innen, die der Meinung sind, dass man mit so einer Krankheit nicht in der Psychiatrie arbeiten kann. Ich denke, diese Haltung liegt vor allem daran, dass viele die Patient*innen nur in der akuten Krankheitsphase erleben. Dabei ist eine bipolare Störung mit Medikamenten und unterstützenden Maßnahmen wie einem regelmäßigen Schlafrhythmus gut behandelbar. Ich selbst hatte seit meinem Klinikaufenthalt 2010 keine schwere Krankheitsphase mehr. Manchmal erzähle ich das auch den Patient*innen, obwohl ich normalerweise da nicht über mich spreche: Wenn ich merke, dass sie sehr verzweifelt sind und denken, sie könnten mit der Krankheit nie wieder ein normales Leben führen.

Mentale Gesundheit ist wichtig – und geht jeden etwas an! Deshalb stellen wir das Thema ab dem 19. April eine Woche lang unter brigitte.de/ mental-health in den Mittelpunkt.

Dr. Astrid Freisen arbeitet als Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in einer Tagesklinik und leitet bei der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störungen e.V. (DGBS) das Referat "Selbst betroffene Profis".

BRIGITTE 09/2021 Brigitte

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