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Im Gespräch mit Dr. Anne Fleck Die Macht des Darms

Dr. Anne Fleck: Darstellung des Darms
© Grispb / Adobe Stock
BRIGITTE-Autorin Meike Dinklage produziert mit Dr. Anne Fleck einen Podcast. Und wenn jemand sich mit Immunabwehr auskennt, dann die Ernährungs-Ikone. Zeit also für ein offenes Gespräch über die Macht des Darms, Urgroßmütter und Schleimhäute.

Hühnersuppe, O-Saft, warme Mütze – waren das bei euch früher zu Hause auch die wichtigsten Rezepte zur Stärkung der Abwehr?

DR. ANNE FLECK: Auf jeden Fall die warme Mütze. Bei uns wurde viel Wert darauf gelegt, dass Füße und Kopf immer warm gehalten wurden. Ich gehe noch heute schon ab Herbst nicht ohne Kopfbedeckung aus dem Haus. Dieses warme, kuschelige Gefühl, das ist mir ganz wichtig geblieben.

Gab es auch spezielle Tees?

Ja, Ingwertee wurde bei uns gern getrunken, und Cistustee, der ja in der Coronazeit wieder populär wurde, weil der schön lokal abwehrt. Wichtig waren warme, gemeinsame Mahlzeiten, auch abends. Und beim ersten Kratzen im Hals Zitrone, aber nicht heiß, das zerstört die Vitamine, außerdem Honig oder Echinacea-Tropfen.

Haben deine Eltern das intuitiv gemacht, oder kannten die sich mit präventiv wirkender Ernährung aus?

Beides. Ich glaube, da kommt viel aus der Familie meiner Mutter. Meine Urgroßmutter, die ich auch noch erlebt habe, war Selbstversorgerin, von ihr habe ich den schönen Leitspruch von den ehrlichen Lebensmitteln, also die, die das Wort LEBENS-Mittel verdienen. Sie können nie verkehrt sein. Sie kannte auch viele alte Weisheiten und Rituale, die über sie auch in mein Leben gewandert sind.

Und an die du dich bis heute hältst?

Auf jeden Fall, aber mit meinem Wissen von heute. Wichtig ist, die Schleimhäute feucht zu halten, gerade in U-Bahn und Bahn, ich bin da ja viel unterwegs. Ich benutze Meersalzspray, bevor ich einsteige; ich lutsche auch gern mal eine Cistus-Pastille und habe ein kleines, wunderbares naturheilkundliches Mundspray bei mir, in dem ein bisschen Myrrhe ist, das hat etwas Desinfizierendes. Für den Rachen trinke ich Salbeitee. Das A und O ist für mich aber einfach die Wärme.

Nach welchen Prinzipien kochst du in Herbst und Winter?

Nach denen der TCM, also der traditionellen chinesischen Medizin. Da geht es um das Wissen darum, dass manche Lebensmittel einen auskühlen können und andere dem Körper Wärme geben. Wärmend sind zum Beispiel Zwiebeln, Lauch, Knoblauch, Fenchel. Vor allem aber ist mir die Darmgesundheit wichtig, also eine hohe Ballaststoffzufuhr im Alltag: mal eine Handvoll Nüsse oder Flohsamenschalen, Akazienfasern, damit kann man gut mal ein Essen aufpimpen.

In der Coronazeit haben wir uns ja alle – zwangsläufig – viel mit dem Immunsystem beschäftigt. Hat das die Menschen kundiger gemacht, sind wir heute kompetenter, auch gesundheitsbewusster?

Auf jeden Fall. Durch die Coronakrise ist das Bewusstsein für Infektionen insgesamt gestiegen, das merke ich auch bei meinen Patienten. Die Zeit hat uns klargemacht, wie wichtig Immunstärkung und Vorsorge sind, da ging richtig die Taschenlampe an und der Spot drauf. Dabei ist das Thema schon lange, lange massiv präsent, ohne dass es richtig wahrgenommen wurde. Jedes Jahr sterben 30 000 bis 40 000 Menschen an Sepsis, das sind ganze Kleinstädte, und Hunderttausende stecken sich im Krankenhaus mit multiresistenten Keimen an, auf die die aktuelle Medizin keine Antworten hat oder auch nur richtig sucht. 

In der Praxis betrachte ich jetzt jeden Patienten auch vor dem Corona-Hintergrund: Wie hat eine Infektion auf das Immunsystem gewirkt, wie hat der Patient die Impfungen vertragen, auch da gibt es ganz viel Leid und viel aufzuarbeiten. Wenn man dann das Immunsystem spezifischer untersucht, sieht man, dass viele Patienten seither eine Veränderung bei den T-Killerzellen haben, das ist die stärkste Abwehr des Immunsystems, seine GSG 9 zur Erregerbekämpfung, und sie haben bei vielen abgenommen.

Und das hat eine höhere Infektanfälligkeit zur Folge?

Ja, je nachdem, wie ausgeprägt der Mangel ist.

Ist es immer richtig, seine Abwehr anzukurbeln? Kann es auch schaden, da zu viele Reize zu setzen?

Das muss man differenziert betrachten. Das Immunsystem ist gesund, wenn es ausgeglichen ist. Bei den T-Zellen beispielsweise gibt es zwei Fraktionen, die TH1- und die TH2-Lymphozyten, und sie sollten in einer Balance sein. Man sieht aber bei vielen Menschen eine Verschiebung – wenn man genau arbeitet, muss man die eine Fraktion stärken, die andere ein bisschen dämpfen. Da kann man mit naturheilkundlichen Mitteln und einer Stärkung der Darmregulation helfen. Wenn man also davon spricht, das Immunsystem zu stärken, bedeutet das immer auch, diesen Ausgleich anzustreben.

Wie fragil ist diese Balance? Viele nehmen im Herbst ja extra viel Vitamin C und Zink zu sich, ohne ärztliche Beratung.

Es spricht überhaupt nichts dagegen, sich und die Familie in der Grippezeit mit Vitamin C und Zink in einer normalen Dosis zu versorgen. Kritisch wird es, wenn man ohne fachliche Beratung über Monate hinweg beispielsweise Zink sehr hochdosiert nimmt. Oder B-Vitamine: Eine Patientin hatte über einen sehr langen Zeitraum hinweg so viel davon genommen, dass das B6 viel zu hoch war – das kann eine Insulinresistenz zur Folge haben.

B-Vitamine und Zink kann man überdosieren, Vitamin C nicht?

Genau, da wird viel über den Urin ausgeschieden. Vitamin C ist wirklich ein Tausendsassa, es hat eine stark antioxidative, dazu antientzündliche, immunregulierende Kraft. Es hemmt Krebszellen, stärkt die Leber, beugt Osteoporose vor, und wenn man es als Infusion gibt, erreicht es eine noch bessere Wirkung.

Wie viel ist denn eigentlich immun im Immunsystem, also: Wie viel kann man mit Nährstoffmedizin tatsächlich erreichen?

Jede Sache hat ihre Grenze, und ich bin gern eine Grenzgängerin. Ich versuche alles zu bündeln, was die Integrative Medizin bietet, klassische Medizin, Naturheilkunde und moderne Nährstoffmedizin. Man muss immer den Menschen als Ganzes sehen – und genau da liegt auch die Grenze: Nährstoffe allein bringen keine Heilung, auch die Seele und der Geist können heilen, das gehört zusammen.

Wie eng sind Immunsystem und Psyche verzahnt? Wenn du bei einer Patientin ganz klar das Gefühl hast: Da ist eine psychische Komponente im Spiel – kann man dann das Immunsystem quasi isoliert heilen?

Das muss man dann klar ansprechen. Ich bin ein ganz, ganz großer Fan der Psychoneuroimmunologie, also das Erforschen der Wechselwirkung von Psyche, Nerven- und Immunsystem. Für mich ist es ein Schlüsselfach der modernen Medizin. Wichtig ist, dass die Menschen sich selber auf den Weg machen, wenn die Seele gesagt hat: Ich nutze jetzt den Körper, um auf mich aufmerksam zu machen. Die Seele ist der Dirigent unserer Gesundheit. Psychotherapie, Hypnotherapie, Spiritualität, Meditation – es gibt viele Möglichkeiten. Ich bin als Ärztin nur das Stützrad, ich sagen den Patienten: Ihr helft euch selbst, ihr heilt euch selbst.

Wenn jemand ein Reizdarmleiden hat, das zum Beispiel zu einer genetisch bedingten Erkrankung gehört – kann man den Darm dann trotzdem verbessern?

Ja, und gerade Menschen mit einer Autoimmunerkrankung sind ja angehalten, sich mit ihrem Darm zu beschäftigen – aber ohne sich verbissen in die Darm-Mission hineinzuknien. Ich habe schon Befunde gesehen, bei denen ich den Patienten gefragt habe, ob es ihm denn gut geht, und der sagte: prima. Dabei sahen die Werte ganz anders aus. Wir sind nicht unsere Befunde, man muss aufpassen, dass einen die Symptome nicht auffressen.

Gerade bei Autoimmunerkrankungen fällt auf, dass es selten bei einem Krankheitsbild bleibt: Gelenk-Arthritis kann auch ein verändertes Hautbild nach sich ziehen, viele Menschen mit Fibromyalgie haben außerdem Rheuma oder andere, autoimmun bedingte Erkrankungen.

Das ist auch in vielen anderen Krankheitsfeldern so und deswegen verlieren wir in der klassischen Medizin oft die Zusammenhänge. Gerade bei Autoimmunerkrankungen kommen all die Folgeerscheinung oft aus einer großen Gemüsesuppe des Unheils, sie haben denselben Ursprung. Diese Kaskade an Symptomen sollte man in einem ganzheitlichen Kontext hinterfragen: Wie sieht die Darmschleimhautbarriere aus, wie das Immunsystem, wie die Mikronährstoffversorgung. Und wie ist das Mindset, wie geht es einem gerade im Leben insgesamt.

Noch mal zurück zur Erkältung: Wie merke ich, wann ich mit einem Infekt durch bin? Gerade beim Husten sind viele ungeduldig, denken, das muss doch nach drei Wochen weg sein.

Man sollte auch da mit sich selber im Austausch bleiben und sich ehrlich fragen: Okay, ich habe Husten, aber wie geht es mir damit? Aber auch: Was belastet mich gerade, wie geht’s mir mit meinem Job, meinem Partner, im Leben. Denn die Antwort ist da, sie liegt in der eigenen Körperintelligenz.

Ein wertvoller Hinweis, dass man sich eben nicht an irgendwelche Richtlinien hält, wann ein Husten verschwunden sein sollte, sondern es für sich selbst beurteilt. Ist aber gar keine so leichte Aufgabe, weil es so viel Selbstwahrnehmung voraussetzt.

Ja, die sollen wir haben, aber ohne zu einer neurotischen Selbstbetrachterin zu werden, sondern mit Selbstliebe und gesundem Vertrauen den eigenen Körper.

Auch bei Geburten spielt das Immunsystem eine Rolle. Studien weisen darauf hin, dass Kaiserschnittkinder ein höheres Risiko für Diabetes Typ 1 haben.

Absolut richtig, und zwar nicht nur bezogen auf Diabetes Typ 1. Wir wissen, dass das Immunsystem dieser Kinder nicht so stark geformt ist, weil es eben nicht mit den mütterlichen Bakterien im Geburtskanal in Kontakt kommt. Dann hat es nicht die Ritterrüstung wie das der Kinder, die ohne Eingriff geboren wurden.

Kann man diese Rüstung auch später noch anlegen?

Ja, man sollte dafür sorgen, dass das Kind gesund aufwächst, viele gute Ballaststoffe bekommt, also zum Beispiel mit Gemüsenudeln arbeiten, auch mal Akazienfasern unterrühren, die schmecken ja nach nichts. Gute Omega-3-Fettsäuren sind wichtig, die kann man schon sehr früh geben, das stärkt die Membranen jeder einzelnen Zelle. Und ich würde dafür sorgen, dass die Jod- und Selen-Bilanz stimmt.

Als Anleitung für die Herbstküche: Was sind deine definitiven Immunbooster-Helden?

Alle Kohlgemüse – Grünkohl, Spitzkohl, Brokkoli, Blumenkohl, Rosenkohl, sie liefern Vitamin C und Senfölglykoside, das sind echte Abwehr-Könige. Bei den Tees: Ingwertee, nicht zu heiß übergossen, sonst zerstört man die ätherischen Öle. Zwiebelsaft ist toll, ein ganz günstiges Lebensmittel: Einfach eine Zwiebel kochen und den Saft trinken, das enthält viel Quercetin, das das Zink in die Zelle einbaut. Wenn man merkt, da ist was im Anflug, dann Thymian- oder Lindenblütentee, um das körpereigene Schwitzen anzuregen.

Und was ist für dich das am meisten unterschätzte Lebensmittel, um das Immunsystem zu stärken?

Der Apfel. Er liefert viel Vitamin C, Phosphor und vor allen Dingen Pektin, das hat so eine fantastische Wirkung auf die Darmflora, weil es auch die Fraktion der Darmbakterien anregt, die für eine gute Fermentation zuständig ist, was die Darmschleimhautbarriere stärkt. Die meisten seiner Nährstoffe sitzen unter der Schale, daher gut waschen und ungeschält verzehren, aber ich würde im Zweifel auch das Apfelfleisch genießen. Übrigens: Wenn der Apfel reif ist und schon ein bisschen braun, gilt er als besonders charmant für die Darmflora.

Dein Fazit: Welchen Gedanken findest du für die Stärkung des Immunsystems in diesem Winter besonders wichtig?

Weil Gesundheit so wunderbar, besonders und ganzheitlich ist, sollte man diese Zeit nicht als Gefahr sehen, sondern gut für sich sorgen. Die kältere Jahreszeit hat so viel für sich, den Rückzug in die eigenen vier Wände, Zeit für die warme Tasse Tee, ein Buch, für die stärkende Suppe und einen Telefonanruf bei einer Freundin. Denn alles, was die Seele nährt, stärkt auch das Immunsystem.

Das Onlineprogramm mit Dr. Anne Fleck

Neue Wege zu einem gesunden Wohlfühlgewicht gibt es in Dr. Anne Flecks 17-tägigem Onlineprogramm "Fett weg – die Länger-Leben-Formel" mit über 25 Videos. Dazu gibt es Übungen, klare Anleitungen, die Schritt für Schritt durchs Programm führen; außerdem Ernährungstipps und über 35 neue Rezepte. Alle Infos und Anmeldung unterbrigitte.de/docfleck

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Brigitte

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