Oft mögen es nur ein oder zwei Kilo mehr sein, seit die Ärztin oder der Arzt die neuen Tabletten verordnet hat. Aber das reicht eben schon, die Hose kneift, man fühlt sich unwohl. "Viele Patienten leiden auch bei einer geringen Gewichtszunahme bereits spürbar", sagt der Psychiater Dr. Markus Wittmann vom Bezirkskrankenhaus Passau. "Und im Einzelfall ist es eben auch mal viel mehr. Mit dem bei Psychosen eingesetzten Mittel Olanzapin zum Beispiel kann es zu einem Plus von bis zu 50 Kilo kommen."
Und je mehr Pfunde, desto häufiger ist das Problem längst nicht "nur" ein kosmetisches: Wer massiv zunimmt, läuft Gefahr, dass der gesamte Stoffwechsel in eine gefährliche Schieflage gerät. Diabetes, Bluthochdruck und ein deutlich erhöhtes Risiko zum Beispiel für einen Herzinfarkt können die Folge sein. "Da muss man sehr aufpassen. Denn wir wollen den Patienten ja kein zweites Problem verschaffen", so Wittmann.
Bei welchen Medikamenten du mit gewichtigen Nebenwirkungen rechnen musst, welche oft zu Unrecht verdächtigt werden – und was du dagegen tun kannst:
"In diesem Bereich gibt es einige Hochrisiko-Substanzen", so Psychiater Wittmann. "Die allermeisten Patienten, die sie auf Dauer bekommen, nehmen zu." Allen voran sind das Wirkstoffe wie Olanzapin oder das verwandte Clozapin, das ebenfalls bei Psychosen verordnet wird. Aber auch für viele Antidepressiva ist der Effekt bekannt, wenn auch meist nicht so extrem. Ältere Wirkstoffe wie zum Beispiel Amitryptilin schlagen sich vergleichsweise schnell auf der Waage nieder, neue Antidepressiva (so genannte Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oder SSRI) wie das Mittel Paroxetin machen sich dort oft erst nach vielen Wochen bemerkbar.
Und auch Lithium, das oft zusätzlich als so genanntes Phasenprophylaktikum verordnet wird, kann dick machen. Grund für diese Extra-Pfunde ist die Wirkung der Arzneistoffe unter anderem auf die Andockstellen (Rezeptoren) zahlreicher Botenstoffe, allen voran Histamin und Serotonin. Eine besondere Rolle scheint dabei der so genannte Serotonin-5HT2C-Rezeptor zu spielen. Denn wenn er durch die Medikamente blockiert wird, haben wir mehr Appetit. Einige Mittel, darunter Olanzapin, wirken zudem auf das Hungergefühl, indem sie das so genannte Sättigungshormon Leptin beeinflussen.
Um Schmerz-Attacken vorzubeugen, werden unter anderem so genannte Betablocker eingesetzt (etwa Propranolol oder Metoprolol). Sie wurden ursprünglich bei Herzproblemen bzw. Bluthochdruck verordnet, reduzieren aber zudem die Häufigkeit von Kopfschmerz-Episoden. Inzwischen weiß man jedoch, dass Betablocker leider auch auf ungünstige Weise in den Energie- bzw. Glukose-Stoffwechsel eingreifen. Der Körper bildet dann unter anderem weniger Insulin, und das Gewicht kann steigen.
Auch weitere vorbeugende Medikamente sind schlecht für die Taille: etwa Valproinsäure, eigentlich ein Mittel gegen Krampfanfälle, und das Antidepressivum Amitryptilin. Einer Studie der Universität Padua zufolge können die gängigen Kopfschmerz-Prophylaxemittel innerhalb eines halben Jahres für 1,5 bis 6 Kilo mehr auf der Waage sorgen. Übrigens: Aspirin und alle anderen Schmerztabletten, die man akut nimmt, also erst dann, wenn der Schädel wirklich brummt, machen nicht dick.
Bei Diabetes ist das Zunehmen besonders unerwünscht, denn die meisten Diabetiker sind ohnehin übergewichtig. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass viele Patient:innen schon in den ersten Monaten mehrere Kilo zulegen, wenn sie so genannte Insulin-Sensitizer wie etwa den Arzneistoff Pioglitazon bekommen. Mittlerweile ist klar, dass die Appetitsteigerung durch denselben Rezeptor vermittelt wird wie die erwünschte Wirkung, sprich die verbesserte Empfindlichkeit der Körperzellen auf das Hormon Insulin.
Und auch bei Insulinspritzen ist die pfundige Nebenwirkung untrennbar mit dem Ziel-Effekt verknüpft: Durch das Hormon wird Zucker wieder vermehrt aus der Blutbahn in die Zellen eingelagert und nicht mehr ungenutzt über die Niere ausgeschieden. Insulin sorgt also dafür, dass das Zuviel an Zucker den Blutgefäßen nicht mehr schaden kann - aber leider eben auch nicht selten für eine Gewichtszunahme, weil der Körper die zugeführte Energie einfach wieder besser verwerten kann.
Unter den gängigen Mitteln gegen Krampfanfälle (Antikonvulsiva) gibt es einige, die erwiesenermaßen dick machen können, etwa die viel eingesetzte Valproinsäure oder auch Carbamazepin. Das kann gerade deswegen ein Problem sein, weil Epilepsie-Kranke für gewöhnlich davon ausgehen müssen, dass sie ihre Medikamente nicht nur ein paar Monate oder wenige Jahre, sondern ihr ganzes Leben lang nehmen müssen.
Kortison und alle verwandten Wirkstoffe machen vor allem in Gesicht und Nacken dick. Der Entzündungshemmer greift in den Fettstoffwechsel ein, steigert den Appetit und verursacht Wassereinlagerungen. Das gilt aber nur für höher dosierte Tabletten und Spritzen: Alle Sprays, Salben, Inhalatoren usw. haben keinen Einfluss aufs Körperfett, da nicht genug Wirkstoff im Blutkreislauf ankommt, um den Effekt herbeizuführen.
Die so genannten Thyreostatika bewirken, dass die Schilddrüse weniger Hormone bildet bzw. freisetzt. Auch diese Mittel können dick machen – allerdings werden sie nur gegeben, wenn es darum geht, ein Zuviel an Schilddrüsenhormonen auszugleichen. Und genau das hat für gewöhnlich vor der Verordnung zu einer starken Gewichtsabnahme geführt. Denn Schilddrüsenhormone kurbeln den Energiestoffwechsel an, Thyreostatika drosseln deswegen den Energieverbrauch.
Was kann ich tun?
Zur Beruhigung zunächst einmal Folgendes: Nur weil ein Mittel statistisch gesehen dick macht, muss das längst nicht bei allen Patienten der Fall sein. In der Studie zur Kopfschmerz-Prophylaxe war es bei Propranolol nicht mal jede:r Zehnte, bei Valproinsäure jeder Vierte, und bei Amitryptilin waren es ungefähr zwei von dreien. Wenn du aber ein Medikament im Verdacht hast, deine Figur zu ruinieren, ist zunächst das Allerwichtigste: Sprich mit deiner Ärztin oder dem Arzt – setze es auf keinen Fall auf eigene Faust ab! Das könnte gefährlich werden, du nimmst es ja nicht ohne Grund. Auch in Eigenregie statt einer ganzen etwa nur noch eine halbe Tablette zu nehmen, kann riskant sein. Und bringt womöglich gar nichts, da der Dickmacher-Effekt nicht immer im Zusammenhang mit der Dosierung steht.
Besser ist es, wöchentlich Gewicht und Bauchumfang zu notieren, um sich ein objektives Bild zu verschaffen und um besser auf den nächsten Termin in der Praxis vorbereitet zu sein. "Glücklicherweise haben Mediziner heute ein viel größeres Bewusstsein für das Problem als noch vor ein paar Jahren", sagt Psychiater Dr. Markus Wittmann. Seine Strategie: "Von Anfang an genau hinsehen und nicht erst dann gegensteuern, wenn der Patient schon zehn Kilo zugenommen hat." Das geht unter anderem mit Ernährungs- und Bewegungsprogrammen. Manchmal muss man aber auch das Präparat wechseln. Bei Antidepressiva und Epilepsie-Mitteln gibt es dann sogar Alternativen, die tendenziell dünner machen.
Diese Mittel stehen zu Unrecht unter Verdacht
Die Pille: Man liest es auf den Beipackzetteln, und viele Frauen sind sicher, dass die Antibabypille sich auf der Waage bemerkbar macht. Wäre ja auch ganz logisch: Das weibliche Hormon Östrogen darin sorgt nachweislich für Wassereinlagerungen. Und die ebenfalls enthaltenen Gestagene sind natürlicherweise im Körper vor allem dazu da, eine mögliche Schwangerschaft aufrechtzuerhalten – da ist es nun mal wichtig, dass die werdende Mutter nicht vom Fleisch fällt. Trotzdem: Wissenschaftliche Studien, die systematisch nach einem Zusammenhang gesucht haben, fanden ihn nicht. Die renommierte Cochrane Collaboration, ein Netzwerk von Forschern und Ärzten, konnte keinen klaren Beweis erkennen, und auch die letzte große Übersichtsarbeit vom Januar legt nahe, dass die Pille keinen ernstzunehmenden Einfluss aufs Gewicht hat.
Vitamine, Mineralstoffe oder Spurenelemente: Auch wenn es manchem so vorkommt, als würde man die Nahrung besonders gut verwerten, wenn es unserem Körper an nichts fehlt: "Bis heute gibt es keine Hinweise darauf, dass Nahrungsergänzungsmittel dick machen könnten", erklärt Professor Stephan Bischoff von der Universität Hohenheim. "Im Gegenteil, einzelne Studien legen nahe, dass Kalzium und vor allem Zink das Abnehmen möglicherweise sogar erleichtern." Allenfalls bei Eisen ließe sich erklären, dass sich auf der Waage etwas tut. Denn das Spurenelement sorgt nachweislich für eine schleppende Verdauung, so dass man sich verstopft und "fülliger" fühlt – und vorübergehend vielleicht auch etwas mehr wiegt als sonst.