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Depression durch Corona Der neue Risikofaktor

Depression durch Corona: Frau schaut nachdenklich aus dem Fenster
© Bogdan Sonjachnyj / Shutterstock
Depressionen sind schon jetzt die häufigste psychische Erkrankung – und nun kommen noch die Belastungen durch die Pandemie dazu. Was genau bedeutet das?

Kommt nach dem Virus die Depressions-Epidemie?

Corona stresst uns alle. Viele haben Angst um ihre Gesundheit, sind genervt von den Einschränkungen des Alltags, arbeiten in Berufen, die jetzt besonders gefordert sind, oder machen sich Sorgen um ihre berufliche Zukunft. "Nicht wenige haben deswegen depressive Symptome, aber eben nicht automatisch auch eine depressive Erkrankung", sagt Dr. Ulrich Hegerl, Professor an der Universität Frankfurt und Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe.

Dass beides immer noch vermischt wird, ist vermutlich mit ein Grund, dass Depressionen immer noch unterschätzt werden. "Viele denken ‚Schlecht drauf bin ich gerade auch‘, aber wissen nicht, wie schwerwiegend die Erkrankung ist", so Hegerl. Eine Depression ist die Hauptursache für Suizide und geht immer mit einem hohem Leidensdruck einher. Und sie ist eine eigenständige Erkrankung und nicht bloß eine Reaktion auf schwere Lebensumstände.

"Entscheidend ist, ob eine Veranlagung besteht. Wer sie hat, rutscht in die Depression, auch wenn die Lebensumstände wunderbar sind. Umgekehrt stehen Menschen ohne diese depressive Neigung die größte Bitternis durch, ohne zu erkranken", sagt Hegerl. "Äußere Faktoren spielen also eine viel geringere Rolle, als die meisten denken." Die aktuellen Belastungen können eher dann ein Trigger für eine depressive Krankheitsphase sein, wenn man bereits eine Veranlagung dafür hat. Der Psychiater geht deswegen nicht davon aus, dass uns eine Welle an neuen Depressionserkrankungen bevorsteht.

Wie sieht es für Menschen aus, die bereits Depressionen haben?

Für sie können die Folgen der Pandemie dramatisch sein. Das Virus an sich ist dabei nicht das Problem. Um das Ansteckungsrisiko sorgen sich Depres­sive nicht mehr als Gesunde, aber sie leiden weitaus stärker unter den Corona-Maßnahmen. Das zeigt das "Deutschland-Barometer Depression", eine repräsentative Befragung von über 5000 Menschen, die regelmäßig von der Stiftung Deutsche Depressionshilfe mit Unterstützung der Deutsche Bahnstiftung durchgeführt wird: Den Lockdown erlebten Menschen mit Depressionen als deut­­lich belastender.

75 Prozent machte die fehlende Tagesstruktur zu schaffen; in der Allgemeinbevölkerung galt das nur für gut ein Drittel. "Fast jede*r zweite Erkrankte blieb tagsüber häufiger ganz im Bett", sagt Hegerl. "Und obwohl Menschen mit Depressionen erschöpft sind, ist es für sie kontraproduktiv, sich viel und lange hinzulegen." Nicht nur weil dann die Gefahr zunimmt, immer weiter in Grübeleien zu versinken: "Mehr Schlaf wirkt bei der Mehrzahl der Betroffenen eher verschlechternd. In der Klinik ist Schlafentzug sogar eine Behandlung gegen Depressionen."

Ebenfalls negativ: die fehlende körperliche Betätigung. Vier von fünf Depressiven gaben an, sich weniger bewegt zu haben, fast doppelt so viele wie in der gesunden Bevölkerung. "Dabei ist Sport ja etwas, das bei Depressionen unterstützend wirkt", so Hegerl. Die Umfrage bezieht sich zwar auf den ersten Lockdown im vergangenen Frühjahr, aber der Experte vermutet, dass der zweite ähnliche Auswirkungen hatte.

Wie ist die Versorgung während der Pandemie?

"Hier liegt der wichtigste Grund zur Sorge, denn die Versorgung hat sich leider bei mehr als der Hälfte der depressiv Erkrankten deutlich verschlechtert", so Ulrich Hegerl. Ambulante Behandlungstermine sind ausgefallen oder wurden aus Angst vor Ansteckung nicht wahrgenommen, geplante Klinikaufenthalte wurden abgesagt, auch Gruppenangebote wie Selbsthilfegruppen fanden nicht oder nur eingeschränkt statt.

Selbst als die Infektionszahlen über den Sommer längere Zeit niedrig waren, berichtete noch ein Drittel der Betroffenen über eine schlechtere medizinische Versorgung. "Das ist bei dieser schweren Erkrankung natürlich eine Katastrophe", sagt Hegerl. "Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung bedeutet das, dass mehr als zwei Millionen Menschen schlechter versorgt wurden – mit allen erwartbaren negativen Konsequenzen: Verschlechterung der Symptome, mehr Rückfälle, mehr Suizidversuche."

Der Experte kritisiert, dass gesundheitliche Nebenwirkungen des Infektionsschutzes nicht ausreichend mitgedacht werden: "Die Maßnahmen gegen Corona sollen Leid und Tod verhindern, verursachen aber auch Leid und Tod an anderen Stellen. Wo hier die richtige Balance liegt, muss viel intensiver diskutiert werden. Eine Verengung der Sicht nur auf das Infektionsgeschehen wäre unverantwortlich."

Welchen Stellenwert haben Online-Therapien?

Ihre Bedeutung ist im letzten Jahr auf jeden Fall gestiegen. Auch wenn sie für viele Betroffene, wie zum Beispiel Ältere, nicht zugänglich sind, weil es an den technischen Voraussetzungen mangelt. 14 Prozent der Patientinnen und Patienten mit akuter Depression haben laut des "Depressions-Barometers" Telefon- oder Videosprechstunden genutzt. Die allermeisten bewerten dies positiv. "Wenn man eine Diagnose hat und auch bereits ein Vertrauensverhältnis zu Ärztin oder Psychotherapeut, kann so tatsächlich viel aufgefangen werden", so Ulrich Hegerl.

Auch digitale Therapieangebote werden seitdem stärker genutzt. "Die Programme funktionieren allerdings vor allem dann gut, wenn eine professionelle Begleitung stattfindet." Inzwischen gibt es Programme wie etwa "ifightdepression", zu denen man nicht nur den Zugang über den*die Behandler*in erhält, sondern auch in der Durchführung unterstützt wird. Der Experte warnt: "Die Botschaft ‚Wenn du eine Depression hast, geh ins Internet und behandele dich selbst‘ ist fatal."

Wo findet man Hilfe?

Die richtigen Ansprechpartner*innen sind Fachärzt*innen für Psychiatrie, psychologische Psychotherapeut* innen oder die Hausärztin oder der Hausarzt. Tatsächlich behandeln Letztere die Mehrzahl der Erkrankten, die nicht in Kliniken sind. Ulrich Hegerl ist vor allem wichtig, Betroffenen zu vermitteln: "Menschen mit Depressionen steht auch in Corona-Zeiten eine gute medizinische Versorgung zu. Sie müssen nicht zurückstecken, sondern sollen sich wie immer professionelle Hilfe holen."

Was können und sollten Angehörige tun?

Zunächst einmal sich informieren. Denn wer die Erkrankung versteht, kann auch das Verhalten des Betroffenen besser einordnen. "Sonst erlebt man es vielleicht als ein Sich-gehen- Lassen oder als Lieblosigkeit oder entwickelt sogar Schuldgefühle", sagt Ulrich Hegerl. "Wichtig ist auch zu begreifen, dass man als Angehöriger nicht für die Behandlung zuständig ist. Oder schlicht gesagt: Mit Liebe kann man Depressionen nicht heilen, genauso wenig wie Diabetes."

Trotzdem lässt sich einiges tun, Betroffene zu unterstützen. Vielen fehlen Energie und Hoffnung, sich um die Behandlung zu kümmern und diese durchzuhalten. "Da haben Angehörige auf jeden Fall eine wichtige Rolle und können Termine ausmachen, den oder die Depressive begleiten und motivieren", so Hegerl. Hilfreich sind Partner, Freundeskreis und Familie auch im Alltag, wenn es darum geht, eine Tagesstruktur aufrechtzuerhalten. "Einen Wochenplan, der natürlich Pflichten enthält, aber eben auch bewusst etwas Schönes, das man vielleicht schon immer mal machen wollte, kann man auch gemeinsam aufstellen." Und nicht zuletzt hilft dieser Fokus auf das Positive nachweislich auch Menschen, die momentan einfach "nur" schlecht drauf sind.

Hier gibt es Hilfe und Informationen

Am Telefon: Rund um die Uhr erreichbar ist die Telefonseelsorge unter 0800/111 0 111 bzw. 222. Es ist auch möglich, per Mail oder Chat Kontakt aufzunehmen (online.telefonseelsorge.de). Das Info- Telefon Depression bietet deutschlandweit Informationen zu Krankheit, Behandlung und Anlauf­stellen: 0800/334 45 33

Im Netz: Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat auf ihren Seiten ein umfangreiches Informationsangebot mit Selbsttest, Tipps und Adressen: deutsche-depressionshilfe.de

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