BRIGITTE.de: Sie wollten wissen, wie eine Depression "aussieht". Wie kam es zum Fotoprojekt?
Nora Klein: Als studierte Fotojournalistin möchte ich mit Bildern Geschichten erzählen. Außerdem hatte ich Personen in meinem Bekanntenkreis, die an einer Depression erkrankt waren. Ich konnte mir darunter schwer etwas vorstellen, da ich selber nicht betroffen bin. Was denken und fühlen Betroffene, habe ich mich gefragt. Ich bin dann auf die "Deutsche DepressionsLiga e.V." zugegangen – eine Selbsthilfeorganisation von Betroffenen – und habe mein Projekt vorgestellt. Sie waren begeistert und haben mein Vorhaben an Betroffene weitergeleitet. Das war gut, denn somit hatte ich Leute im Boot, die selbst das Bedürfnis hatten, sich mitzuteilen.
Das Projekt ging über mehrere Jahre und Sie haben mit neun Personen zusammengearbeitet. Wie sind die Bilder entstanden?
Ich habe erst Vorgespräche geführt. Die Betroffenen, die sich danach für das Projekt entschieden haben, konnten den Zeitraum der Aufnahmen selbst bestimmen. Bei Sabine Fröhlich habe ich zum Beispiel drei Tage am Stück gewohnt.
Manch andere habe ich blockweise getroffen, mal vier mal drei Stunden täglich. Das passierte immer in einer stabilen Phase der Depression. Wir haben sehr langen Gespräche geführt, in der die Betroffenen unter anderem versucht haben, ihre Gefühle zu beschreiben. Das hat mir geholfen, Motive zu entwickeln. Bei Sabine sieht man im Bildband zum Beispiel das Bett, aus dem sie nicht mehr aufstehen konnte oder die Tapete, die sie stundenlang anstarrte.
Sie haben anonyme oder nicht-anonyme Porträts aufgenommen, haben die Rückzugsorte der Betroffenen fotografiert oder Naturaufnahmen gemacht. Wonach haben Sie dabei entschieden?
Das passierte sehr individuell und lag an den jeweiligen Personen. Dabei habe ich immer auf meine Intuition gehört und an die Gespräche mit den Betroffenen gedacht. Ich bin auch auf Motivsuche in meinem Alltag gegangen. Manchmal hatte ich konkrete Ansätze, wie den düsteren Wohnungsflur einer Person, mit der ich gerade ein Gespräch geführt habe. Manchmal habe ich offenere Motive gewählt, in denen ich Symptome wie die Leere und Einsamkeit einer Depression darstellen wollte. Die Rückmeldung der Betroffenen und anderen Fotografen hat mir bei der Auswahl sehr geholfen.
Was haben Sie durch das Projekt über die Depression gelernt?
Sie ist zum Teil immer noch ein großes Fragezeichen. Ich habe jetzt aber viel mehr die Komplexitäten der Krankheit verstanden. Mir ist bewusst geworden, wie vielschichtig die Depression aussehen kann, wie viele Symptome, Ausprägungen und Verläufe es gibt und wie ernst die Erkrankung ist.
Das Fotoband wird mittlerweile sogar in Therapien eingesetzt. Wie genau?
Ja, das ist toll. Es ist ein Ziel von mir, dass man ein Medium an der Hand hat, um die Kommunikation zu vereinfachen. Einigen Betroffenen fällt es leichter, über ihre Depression zu sprechen, wenn sie sich Bilder anschauen, die was in ihnen auslösen. Sie sehen zum Beispiel eine Stimmung, bestimmte Gesten oder Haltungen einer Person, in der sie sich wiederfinden. Das nehmen sie dann als Startpunkt, um über sich zu sprechen.
Mehr Infos zum Bildband, der Fotoausstellung und der Vortragsreihe findet ihr unter: malgutmehrschlecht.de.