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Ausblick Das große Glück nach den Wechseljahren

Frau schaut durch ein kleines Fernglas direkt in die Kamera
© stockfour / Shutterstock
Kreatives Denken, Sinn für Schönes, Ausgeglichenheit: Nach den Wechseljahren, mit der Postmenopause, beginnt eine glückliche Zeit.

Wir sind gewohnt, das Leben als Bogen zu sehen: Man wird geboren, wächst und entwickelt sich, bildet Fähigkeiten und Stärken aus bis zu einem Höhepunkt im frühen Erwachsenenalter. Ab da, glauben wir, beginnt der Niedergang: schwindende Kräfte, schütteres Haar, Gelenkschmerzen, Lesebrille, Ungeschicklichkeit.

"Aber je mehr wir über das Altern lernen, desto deutlicher wird, dass es ganz falsch ist, von einem pauschalen Abwärtstrend zu sprechen", sagt Psychologin Laura Carstensen, die das Altern an der Universität Stanford erforscht. Vielmehr bringe diese Lebensphase in etlichen Bereichen erhebliche Verbesserungen mit sich. Statt des Bogens scheint die Metapher der Leiter passender: Der Mensch entwickelt sich weiter, solange er lebt. Ganz neu ist diese Sicht nicht: "Klimakterium" stammt vom griechischen Wort für Leiter ab, und "Klimax" steht für Zenit oder Höhepunkt. Nach Abbau klingt das nicht! Aber was geschieht nun in diesem "dritten Akt" des Lebens, wie es die Schauspielerin Jane Fonda nennt?

Mit den Jahren steigert sich auch die Lebenszufriedenheit - Stress, Sorgen und Ärger nehmen ab

Historisch befinden wir uns in einer einmaligen und überaus spannenden Situation, deren Auswirkungen wissenschaftlich noch kaum erforscht sind. Denn in sehr kurzer Zeit, etwa 120 Jahren, hat sich die durchschnittliche Lebenserwartung praktisch verdoppelt. Damit haben heutige Frauen nach den Wechseljahren viel mehr Lebenszeit vor sich als je eine Generation zuvor. Und dabei fühlen sie sich erstaunlich jung: laut einer Umfrage rund elf Jahre jünger, als sie tatsächlich sind. Verglichen mit Fotos von Frauen aus früheren Generationen sehen sie auch jünger aus.

Es ist nicht nur das Äußere. Studie um Studie hat gezeigt: Ältere sind glücklicher als junge Erwachsene und auch glücklicher als Menschen mittleren Alters. Sozialwissenschaftler sprechen vom "Paradox des Alterns": Denn auch wenn das Altwerden mit Verlusten und Einbußen einhergeht, werden Stress, Sorgen und Ärger typischerweise im Alter weniger - und die Lebenszufriedenheit nimmt zu. Erst im hohen Alter, zum Ende des Lebens hin, sei ein leichter Abwärtstrend zu beobachten, sagt Carstensen. "Aber so mies wie in jungen Jahren wird es nie mehr."

Im Alter erinnert man sich häufiger an die schönen Momente und Traurigkeit kann besser akzeptiert werden

Die höhere Lebenszufriedenheit ist keine Frage der Generation, wie zunächst gemutmaßt wurde. Es sind nicht bestimmte Jahrgänge, die das Alter besonders genießen, weil sie unter besonders günstigen Bedingungen gelebt haben. Wie Langzeitbeobachtungen zeigen, berichten Personen von immer mehr positiven Erfahrungen, wenn sie älter werden. Auch entwickeln sie ein stabileres Selbstwertgefühl. Sie sind innerlich gefestigt und nicht mehr so abhängig von äußerer Bestätigung wie in jungen Jahren.

BRIGITTE-Dossier „Wechseljahre“

So kommst du gelassen durch die Wechseljahre

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Ihr größeres Wohlbefinden
verdanken ältere Menschen verschiedenen Strategien, die sie
geschickt nutzen: Sie richten
ihre Aufmerksamkeit stärker auf
positive Dinge. Unangenehmes
vergessen sie gnädig. Sie zeigen sich versöhnlich. Die Zukunft
sehen sie optimistisch. Zeigt man Versuchspersonen Bilder mit positivem oder negativem Inhalt (zum Beispiel lächelnde oder ärgerliche Gesichter), so bleiben jungen Leuten besonders die verstörenden Bilder im Gedächtnis. Bei den Älteren ist es genau umgekehrt: Sie erinnern sich vor allem an die schönen Momente.

Im Alltag führt die Ausrichtung auf das Schöne und Gute im Leben zu größerer Zufriedenheit. Aber ältere Menschen sind nicht nur allgemein glücklicher, sie sind auch besser in der Lage, mit schwierigen und belastenden Gefühlen umzugehen. So können sie Traurigkeit akzeptieren, ohne davon überwältigt zu werden.

"Sie können mit Mitgefühl auf Ungerechtigkeit schauen statt mit Verzweiflung", sagt Carstensen. Sie kommen auch gut zurecht mit gemischten Gefühlen, wissen zum Beispiel Glücksmomente zu genießen, obwohl die von Trauer und Wehmut durchzogen sind. "Wenn Ältere schöne Augenblicke erleben, ist ihnen zugleich bewusst, dass das Leben zerbrechlich und endlich ist", sagt Laura Carstensen. "Das ist ein gutes Zeichen, es beweist emotionale Gesundheit." 

Ältere Menschen sind emotional stabiler und verträglicher als jüngere

Früher gingen Forscher davon aus, dass sich die Persönlichkeit irgendwann stabilisiert und kaum noch verändert. "Es war eine große Überraschung, als ich im Rahmen meiner Doktorarbeit darauf stieß, dass die Persönlichkeit im Alter ähnlich instabil ist wie im jungen Erwachsenenalter", sagt Jule Specht, Entwicklungspsychologin und Professorin in Berlin. Wissenschaftlich gemessen wird die Persönlichkeit meist an der Ausprägung der "Big Five", fünf grundlegenden Persönlichkeitseigenschaften, die per Fragebogen ermittelt werden: emotionale Stabilität, Extraversion, Offenheit für neue Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit.

Es zeigte sich, dass Ältere weniger offen für Neues sind und lieber an Bewährtem festhalten. Zugleich sind sie im Durchschnitt weniger gewissenhaft. Dafür aber emotional stabiler und verträglicher als jüngere Personen - die grummeligen Alten sind nur ein Klischee. Englische Wissenschaftler prägten dafür das Schlagwort von der La-dolce-vita-Persönlichkeit, die das süße italienische Leben zu genießen weiß: Pflichterfüllung und Erkunden der Umwelt sind im Alter nicht mehr so wichtig, was zählt, sind Wohlbefinden und gute Beziehungen zu vertrauten Personen.

Nach den Wechseljahren wissen wir, worauf wir uns konzentrieren sollten - und was gut für uns ist

Bei diesen typischen Veränderungen handelt es sich allerdings um Durchschnittswerte - der Einzelfall kann völlig anders aussehen. Und gerade die ältere Generation sei besonders heterogen, sagt der Psychologe und Altersforscher Hans-Werner Wahl, der Prozess des Älterwerdens ist deshalb höchst individuell. Wie es Frauen nach den Wechseljahren geht, hängt unter anderem von den Genen ab, von Einkommen, Bildung und Lebensweise, wie sie sich zum Beispiel ernähren und ob sie sich viel bewegen - aber auch von Vorstellungen und inneren Überzeugungen.

Wer bereits in jüngeren Jahren positiv über das Altwerden denkt, sei 20 oder 30 Jahre später besser dran, sagt Wahl: Menschen, die das Alter als Chance und Herausforderung betrachten, leben im Durchschnitt länger und bleiben auch länger geistig rege und körperlich gesund. Allen aber wird mit dem Älterwerden bewusst, dass die verbleibende Lebenszeit begrenzt ist. Das führt dazu, dass wir nach den Wechseljahren unsere Energie eher darauf verwenden, herauszufinden, was im Moment gut für uns ist – und nicht irgendwann in einer fernen Zukunft, die wir vielleicht gar nicht erleben werden.

Ältere setzen einfach klare Prioritäten. Psychologin Laura Carstensen nennt das "sozio-emotionale Selektivität". Aus Studien ist bekannt, dass die sozialen Kontakte mit zunehmendem Alter weniger werden.
Das muss kein Zeichen für Rückzug sein, sondern ist durch die
verkürzte Zukunftsperspektive zu erklären: Während junge Leute danach streben, neue Menschen kennenzulernen und möglichst viele Informationen aufzusaugen, konzentrieren sich Ältere auf die Beziehungen und Dinge, die ihnen wichtig sind. Sie sind, wie Wahl sagt, "Weltmeisterinnen in der Herstellung von Alltagswelten, die ihnen gut tun".

Das Denken wird langsamer, aber auch effektiver – Was wir vergessen, kompensieren wir mit ausgereifteren Entscheidungen

Altersbedingte Einbußen kompensiert die überwiegende Mehrheit der Frauen über 60 dabei so erfolgreich, dass alles weiterhin gut funktioniert. Denn Ältere greifen im Alltag einfach auf ihre Routinen zurück, das hilft. Dass wir mit den Jahren generell etwas langsamer agieren als früher, könne man auch als Anpassung oder als Tugend sehen, sagt Wahl, erst recht in einer Gesellschaft, die sich nach Entschleunigung sehnt. "Die Älteren leben sie uns vor!"

Auch das Arbeitsgedächtnis lässt spätestens mit den Wechseljahren nach. Namen fallen uns nicht mehr ein, der Titel des Films, den wir gestern gesehen haben - und wo zum Teufel ist das Handy geblieben? Die Nervenzellen im Stirnhirn arbeiten ab den mittleren Jahren nicht mehr so effektiv. So landen Frauen früher oder später "auf dem nebligen Planeten der verlegten Schlüssel und fehlgeleiteten Gedanken", wie es die verstorbene Autorin Barbara Strauch beschrieb. Der Münchner Psychologe Ernst Pöppel fand heraus, dass sich mit den Jahren das Zeitfenster erweitert, in dem das Gehirn gleichzeitig eintreffende Signale verarbeitet. Das geht auf Kosten der Reaktionsgeschwindigkeit.

Auch wird die Verknüpfung von Gesichtern und Namen mit dem Alter schwächer. In Labortests sind Ältere den Jüngeren deutlich unterlegen, wenn es um Schnelligkeit der Informationsverarbeitung geht. Aber, so Pöppel, die Langsamkeit ermöglicht eben auch komplexere Denkprozesse und ausgereiftere Entscheidungen.

Wir hängen die Jungen locker ab, wenn es um das Finden kreativer Lösungen geht

Und es kommt noch besser. Denn Längsschnittuntersuchungen belegen, dass wichtige kognitive Fähigkeiten nach den Wechseljahren sogar zunehmen: Im Alter zwischen 53 und 60 Jahren, so zeigte sich in einer Studie aus Seattle, ist das Leistungsniveau höher als zwischen 20 und 30 Jahren. Was den Wortschatz und das verbale Gedächtnis betrifft, verbessern sich Frauen sogar bis weit über das 60. Lebensjahr hinaus.

Auch die soziale Kompetenz und das Urteilsvermögen wachsen - schließlich haben Ältere jede Menge Erfahrung, die ihnen hilft, mit anderen richtig umzugehen oder Situationen korrekt einzuschätzen. "Das Gehirn wird im mittleren Alter besser, gar keine Frage", resümiert die Entwicklungspsychologin Sherry Willis. Ältere sind langsamer, das ja. Aber wann immer es darum geht, kreative Lösungen in realen Szenarien zu finden, hängen sie die Jungen locker ab. Früher nannte man diese Fähigkeit Weisheit, und die Gesellschaft hatte großen Respekt davor.

Noch immer gibt es Frauen, die sich vor dem Einschnitt der Menopause und dem Eintritt in die dritte Lebensphase fürchten. Während viele kaum etwas von der hormonellen Umstellung merken, kann sie für manche in der Tat beschwerlich sein. Aber ganz gleich, wie diese Zeit erlebt wird, irgendwann ist es damit vorbei. Keine durchgeschwitzten Blusen mehr, keine unerklärlichen Stimmungsschwankungen. Stattdessen Ruhe im Körper. Gleichmaß. Frieden. Der Östrogenspiegel hat sich auf einem Niveau wie vor der Pubertät eingependelt. Eigentlich eine richtig schöne Vorstellung: Denn im Vergleich zu pubertierenden Mädchen sind Neunjährige ausgeglichen, tatkräftig - und so richtig fröhlich.

Wir drücken uns sehr gut aus, denken komplex und urteilen sicher: Das gilt als weise

Im Alter stellt sich nicht selten eine ähnlich stabile Gefühlslage ein. Auch wenn es sich jüngere Frauen kaum vorstellen können: Nach den Turbulenzen der Wechseljahre beginnt eine glückliche und harmonische Zeit. Wie sinnierte einmal Jane Fonda, inzwischen 80 Jahre alt: Als Mädchen seien wir frech und selbstbewusst und die Hauptfigur in unserem Leben. Mit Beginn der Pubertät aber wollten Frauen, die meisten jedenfalls, vor allem dazugehören und beliebt sein - und verwandelten sich zu Figuren im Leben anderer. "In unserem dritten Akt", sagt sie, "ist es vielleicht möglich, zum Anfang zurückzukehren."

Zum Weiterlesen

Ernst Pöppel, Beatrice Wagner: "Je älter, desto besser. Überraschende Erkenntnisse aus der Hirnforschung", 352 Seiten, 8,99 Euro, Goldmann

Jule Specht: "Charakterfrage. Wer wir sind und wie wir uns verändern", 256 Seiten, 14,99 Euro, Rowohlt

Laura Carstensen: "A Long Bright Future", Sprache: Englisch, 338 Seiten, 12,99 Euro, Public Affairs

Hans-Werner Wahl: "Die neue Psychologie des Alterns. Überraschende Erkenntnisse über unsere längste Lebensphase", 224 Seiten, 20 Euro, Kösel

BRIGITTE WIR 5/2018

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