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Chronisches Fatigue-Syndrom CFS: Mehr als müde

Chronisches Fatigue-Syndrom: eine Frau liegt erschöpft auf dem Sofa
© fizkes / Adobe Stock
Julia, 26, leidet am Chronischen Fatigue-Syndrom, kurz CFS. Eine rätselhafte Krankheit, die auch Menschen mit Long Covid betreffen kann. Wie lebt man damit?

"Du siehst gar nicht krank aus“, diesen Satz höre ich oft. CFS ist eine sehr unbekannte Krankheit, deshalb muss man immer darum kämpfen, ernst genommen zu werden – auch in der Medizin. Man hört immer wieder: "Das ist psychisch“, "Sie sind einfach nur unmotiviert“, "Sie müssen sich mal zusammenreißen“ oder "Wenn jemand ein bisschen müde ist, braucht er doch keine starken Medikamente“. Leider lernen Ärzt:innen im Studium in der Regel nichts über CFS. Dadurch fehlt es oft an Verständnis für die Schwere der Erkrankung. Viele Betroffene suchen deshalb lange jemanden, der sie behandelt. Dass auch in den Medien im Zuge von Long Covid mehr über CFS berichtet wird, hilft in Sachen Glaubwürdigkeit natürlich total, aber bis heute ist es auf vielen Ebenen ein Kampf, eine angemessene Versorgung zu finden. Ein Kampf, für den ich eigentlich keine Kraft habe, denn ich bin eben nicht nur ein bisschen müde.

Begonnen hat es vor gut drei Jahren. Kurz bevor ich meine Bachelor-Arbeit abgegeben habe, hatte ich einen Magen-Darm-Infekt, nach dem ich nicht wieder richtig fit wurde. Ich war schlapp, hatte immer mal wieder erhöhte Temperatur und Bauchschmerzen. "Ihnen fehlt nichts“, haben die Ärzte, bei denen ich war, gesagt, aber die Symptome wurden immer stärker. Ich habe mich zur Arbeit gezwungen, auch wenn es mir schlecht ging, und hatte kurz vor Ende meiner Probezeit im neuen Job meinen ersten Crash. So nennt man die Symptomverschlechterung durch Belastung, die oft zeitlich etwas versetzt auftritt. Ich habe mich bei der Arbeit übernommen und bin danach noch zu Freunden gefahren. Am nächsten Tag habe ich mich gefühlt, als wäre ich vom Lkw überrollt worden. Zum Glück war Wochenende und ich konnte liegen bleiben und mich ausruhen, aber es wurde nicht besser.

Als Fieber dazu kam, hat mich meine Hausärztin ins Krankenhaus geschickt. Dort haben sie mich von Kopf bis Fuß durchgecheckt und trotzdem nicht herausgefunden, was mir fehlt. Ein Chefarzt hat irgendwann eine rheumatische Erkrankung vermutet – heute weiß ich, dass die zum CFS dazugekommen ist. Ich wurde entsprechend behandelt, irgendwann auch mit ein wenig Besserung, trotzdem konnte ich ein Dreivierteljahr gar nicht arbeiten. Und ich hatte immer das Gefühl, so ganz passt es nicht. Die anderen Patient:innen in der rheumatischen Reha, die ich gemacht habe, hatten ganz andere Beschwerden als ich.

Das Chronische Fatigue-Syndrom erwähnte das erste Mal mein niedergelassener Rheumatologe. Er sagte gleich, er habe damit keine Erfahrung, aber könne sich vorstellen, dass es das ist. Ich habe mich daraufhin informiert und es passte alles eins zu eins. Bald darauf bin ich einer Selbsthilfegruppe beigetreten, denn festzustellen, dass man nicht die Einzige ist, der es so geht, ist extrem wichtig. Dort tauschen wir uns aus, geben uns Tipps und können uns auch einfach mal nur ausheulen. Persönliche Treffen aber gibt es aber fast nie – nicht nur wegen Corona –, wir haben viele dabei, die bettlägerig sind.

Oberstes Ziel: Grenzen einhalten

Ich selbst bin nur leicht bis moderat betroffen, aber schon das heißt, dass ich ungefähr 70 Prozent weniger Leistungsfähigkeit habe. Da bleibt nicht viel Spielraum. Alles im Alltag danach auszurichten, innerhalb der knappen Leistungsgrenzen zu bleiben, auch Pacing genannt, ist ein offiziell empfohlenes Konzept und die einzige Möglichkeit, die Krankheit halbwegs stabil zu halten. Also versuche ich, meine Tage so gut es geht zu planen: Sie bestehen aus Arbeit, maximal zwei Stunden am Stück, und ganz vielen Pausen. Im Job waren zum Glück alle immer total verständnisvoll und unterstützen mich, sodass ich mir meine Zeit flexibel einteilen kann. Ich kann auch mal eine Woche kürzer arbeiten oder, wenn es mir morgens nicht gut geht, später anfangen. Ich arbeite an vier Tagen, aber am Stück schaffe ich das nicht. Deswegen habe ich einen freien Tag, meistens am Mittwoch.

Tückisch ist, dass kognitive Aktivität ähnlich anstrengend ist wie körperliche. Ich bin dann nicht nur erschöpft, sondern kriege Kopfschmerzen, mir wird übel und ich fühle mich, als hätte ich einen Infekt. Ich kann zwar vieles noch, aber nicht mehr vieles zusammen. Ich kann zum Beispiel die Spülmaschine ausräumen und ich kann Wäsche waschen, aber nicht beides an einem Tag. Auch einkaufen geht nicht mehr. Ich nutze einen Service, der mir die Lebensmittel liefert, und was ich sonst noch brauche, besorgt mir eine Freundin. Die Wohnung verlasse ich nur, wenn es nötig ist, vielleicht ein- bis zweimal die Woche, manchmal weniger.

Ins Restaurant gehen, Freunde treffen – da bin ich leider inzwischen komplett raus. Wenn ich Urlaub habe, kriege ich es vielleicht mal hin, aber Arbeit, Arzttermine und das Nötigste im Haushalt verbrauchen meine ganze Energie. Deswegen haben auch nur die Freundschaften überlebt, die längere Pausen vertragen; ab und zu telefonieren, das kriege ich hin. Die Lockdowns während der Pandemie waren da fast eine Entlastung, sie haben die Welt ein bisschen auf mein Niveau heruntergeholt und mir mit Videokonferenzen, telefonischen Arztterminen usw. das Leben erleichtert.

Hoffnung auf neue Therapien

Ich habe relativ schnell einen konstruktiven Umgang mit der Erkrankung gesucht und mir gesagt: Jetzt ist es so und was kann ich machen, um trotzdem nicht unterzugehen. Was bleibt einem denn auch anderes übrig? Mein Glaube, meine Familie und gute Freunde geben mir dabei Halt. Aber natürlich bin ich trotzdem oft emotional sehr an der Kante. Wenn ich versuche, ins Bad zu gehen, und es einfach zu anstrengend ist, ist das echt frustrierend. Manchmal kann ich kaum meine Zahnbürste halten.

Bald ziehe ich in eine neue Wohnung. Ich wohne aktuell im vierten Stock und die Treppen waren schon lange mühsam, aber nun werden sie zum echten Problem. In der neuen Wohnung werde ich einen Aufzug und mehr Platz haben, was mir vieles leichter machen wird.

Im Februar habe ich meinen Job auf 18 Stunden reduziert, aber selbst das ist mittlerweile eigentlich schon zu viel. Und das obwohl ich komplett von zu Hause arbeite, Präsenztermine schaffe ich in der Regel nicht mehr. Denn leider kämpfe ich gerade gegen eine Verschlechterung der Symptome. Wenn man CFS wie ich bereits drei Jahre hat, entspricht das leider der Prognose. Natürlich bin ich total motiviert, Crashs zu vermeiden, damit ich zumindest meinen momentanen Zustand halten kann. Aber leider lässt der Alltag das nicht immer zu.

Ich habe inzwischen – auch durch die Selbsthilfegruppe – Ärzt:innen gefunden, die sich in das Thema eingelesen haben. Sie unterstützen mich, meine Symptome wie Schlafstörungen oder Schmerzen besser zu managen. Und natürlich hoffe ich, dass es irgendwann eine ursächliche Therapie gibt. Durch Long Covid wird etwas mehr zu dem Thema geforscht. Ein Medikament, das zwei Long-Covid-Patienten geheilt hat, hat bei uns Betroffenen für ziemlich viel Aufmerksamkeit gesorgt. Gerade ist es in der klinischen Erprobung und langsam beginnen auch, Forschungsgelder zu fließen. Es ist gut, dass es durch solche Studien zumindest eine Perspektive gibt. Aber mir läuft auch ein bisschen die Zeit davon.

Chronische Fatigue: die wichtigsten Fragen

Um welche Erkrankung geht es genau?

Die vollständige Bezeichnung lautet ME/CFS: Myalgische Enzephalomyelitis bzw. Chronisches Fatigue-Syndrom, wobei schon das in die Irre führt: Eine Entzündung von Gehirn und Rückenmark (Enzephalomyelitis) ist nicht eindeutig belegt. Als Fatigue wird auch Erschöpfung als Symptom infolge von z. B. Krebs oder Multiple Sklerose bezeichnet, die sich anders als ME/CFS aber durch Aktivität (leichtes Ausdauertraining, Yoga) verbessert. ME/CFS ist als neurologische Erkrankung eingestuft, betrifft aber nicht nur das Nerven-, sondern auch das Immunsystem und den Energiestoffwechsel.

Was genau läuft da schief?

Das weiß man bis heute nicht. Vermutlich liegt eine Fehlregulation des Immunsystems vor. Es lassen sich außerdem Autoantikörper nachweisen, also Abwehrzellen, die körpereigene Strukturen angreifen. Und es gibt Hinweise, dass die Mitochondrien, die "Kraftwerke“ der Zelle, nicht mehr richtig arbeiten. Bei zwei Drittel der Betroffenen steht der Beginn der Erkrankung in Zusammenhang mit einer Infektion, zum Beispiel mit Epstein-Barr- oder Grippeviren, Borrelien oder Chlamydien.

Wie erfolgt die Diagnose?

Im Ausschlussverfahren, denn einen Messwert, der ME/CFS anzeigt, gibt es bisher nicht. Hauptsymptom ist die ausgeprägte Verschlechterung des Zustands nach körperlicher und geistiger Belastung. Dazu kommen u. a. Schlafstörungen, Muskelschmerzen, Schwindel, Konzentrationsprobleme und eine erhöhte Infektanfälligkeit.

Wie viele Betroffene gibt es?

In Deutschland vermutlich 250 000, darunter 40 000 Kinder und Jugendliche, drei von vier Betroffenen sind Frauen. Ein Viertel der Patient:innen kann das Haus nicht mehr verlassen, 60 Prozent sind arbeitsunfähig.

Was ist mit Long Covid?

Long Covid heißt, dass Beschwerden länger als vier Wochen nach einer Corona-Infektion bestehen, etwa anhaltender Geschmacksverlust, Kurzatmigkeit oder Konzentrationsstörungen bis hin zu schwerer Erschöpfung. Studien haben gezeigt, dass ein Teil der Long-Covid-Patient:innen die Diagnose-Kriterien von ME/CFS erfüllt.

Wo gibt es Hilfe?

Spezialisierte Ambulanzen haben die Charité in Berlin und (für Menschen bis 25) die Kinderpoliklinik der TU München. Beide nehmen nur Patient:innen aus der Region auf. Darüber hinaus gibt es einige wenige Ärzt:innen, die Erfahrung mit CFS haben. Infos, Kontakt zu Regionalgruppen und Telefonberatung bietet Fatigatio e.V. (fatigatio.de). Eine Online-Selbsthilfegruppe gibt es unter me-cfs.net. Infos für Patient:innen und Ärzt:innen gibt auch die Charité: cfs.charite.de.

Brigitte

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