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Schadstoffe in Kosmetik: Gefährlich oder nicht?

Schadstoffe in Kosmetik: Gefährlich oder nicht?
© iStockphoto/Thinkstock
Wenn Chemikalien wie Hormone wirken: Seit der BUND Verbraucher mit der App "ToxFox" vor Schadstoffen in Kosmetik warnt, stehen Hersteller unter Druck. Müssen wir uns Sorgen machen? Darüber haben wir mit dem Toxikologen Hermann Kruse von der Uni Kiel gesprochen.

BRIGITTE.de: Herr Kruse, in vielen Kosmetikprodukten stecken hormonell wirksame Stoffe. Warum stehen Chemikalien wie Parabene und UV-Filter in der Kritik?

Hermann Kruse: Parabene sind sehr umstritten, spätestens seit eine Publikation einen Zusammenhang mit Brustkrebs hergestellt hat (Anm. d. Red.: Eine britische Studie aus dem Jahr 2004 wies bei 19 von 20 untersuchten Frauen Spuren von Parabenen in den Brustkrebstumoren nach. Das beweist zwar noch keinen kausalen Zusammenhang zwischen Parabenen und Brustkrebs, zeigt aber, dass Parabene im Brustgewebe verbleiben können). Nach Erscheinen dieser Studie habe ich mir mit Kollegen die Wirkung der Parabene auf den Menschen etwas sorgfältiger angeschaut. Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht Brustkrebs verursacht haben. Sie haben jedoch eine schwach hormonaktive - in Fachsprache: endokrine - Wirkung. Auch andere Verbindungen haben diese hormonelle Wirkung, Butylhydroxyanisol (BHA) oder Benzophenone etwa. Das sind biologisch aktive Stoffe. Ihr Vorkommen in Kosmetika muss kritisch hinterfragt werden.

Warum können synthetisch hergestellte Konservierungsstoffe überhaupt wie Hormone wirken?

Weil sie sich die gleichen Stellen wie Hormone suchen - sie reagieren also in Konkurrenz zu natürlichen Hormonen: Treffen diese Stoffe auf den menschlichen Organismus, docken sie sich an bestimmte Rezeptoren an und können dort auch wie Hormone reagieren. Der Weichmacher Diethylphtalat ist auch endokrin, hat aber einen anderen Wirkmechanismus. Er greift in die Synthese von bestimmten Hormonen ein und stört so ihre Wirkung im Organismus.

Der Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warnt vor einem "Cocktail-Effekt", also der Kombination von Wirkstoffen aus verschiedenen Produkten. Wie schätzen Sie diesen Effekt ein?

Leider wissen wir in der Toxikologie über solche Kombinationswirkungen überhaupt nichts. Dass es eine Verstärkung von solchen Stoffen im Gemisch geben kann, ist eine Vermutung, die jedoch wissenschaftlich so gut wie nicht beweisbar ist. Bei einzelnen Kosmetikprodukten werden Sie die zugelassenen Tagesdosen für Einzelstoffe nie überschreiten. Diese Werte basieren allerdings auf dem sogenannten ADI-Konzept für Einzelstoffe: Acceptable Daily Intake. Sie beziehen sich auf mögliche, massive Organschäden - daher sind sie auch relativ hoch. Das Problem: Endokrin wirksame Stoffe können schon in sehr kleinen Mengen Schäden im Körper anrichten. Es ist schwierig, dort eine Gefahrengrenze festzustellen. Das gilt übrigens auch für krebserzeugende Stoffe.

Wieso lässt sich der Cocktail-Effekt nicht beweisen?

Man könnte das schon untersuchen, aber: Wir haben unsere Erkenntnisse meist aus Tierexperimenten. Daraus ziehen wir Rückschlüsse auf den Menschen. Wenn nun mehrere Stoffe gleichzeitig einwirken, haben Sie Tausende von Kombinationsmöglichkeiten, die ausgetestet werden müssten. Das ist nicht zu leisten.

Der BUND hat eine Liste mit gefährlichen Inhaltsstoffen veröffentlicht. Besteht denn bei den aufgeführten Stoffen eine Krebsgefahr?

Beim BHA gibt es Hinweise, dass es schon in geringen Konzentrationen einen Krebs, der im menschlichen Körper bereits gebildet worden ist, schneller wachsen lässt. Das sind sogenannte Krebspromotoren. Ein anderes Problem neben endokrin wirksamen Stoffen sind allergie-wirksame Stoffe - und da wird es noch komplizierter. Manche Menschen können sich eine Creme knüppeldick auf die Haut auftragen, ohne dass sie etwas merken. Und andere tragen nur einen Hauch dieser Substanz auf und reagieren sofort mit Hautrötungen und Ekzemen. Das ist das Hauptkennzeichen einer Allergie: Bei betroffenen Menschen, die sensibilisiert sind, können schon sehr niedrige Konzentrationen so etwas auslösen. Das gilt für das BHA, aber auch für die UV-Absorber wie Benzophenone. Sie können bei Sonnenlicht photoallergische Kontaktdermatiden, also Rötungen, hervorrufen - besonders auf sensiblen Hautpartien wie etwa unter den Augen.

Auch das Europäische Parlament und die WHO äußern sich kritisch zu hormonell wirksamen Chemikalien. Wieso wurden diese Stoffe bisher nicht verboten?

Das ist immer ein weiter Weg, bis es zu solch einem Verbot kommt. Selbst bei einem Stoff wie Asbest, der nachweislich hochgiftig ist und die Gesundheit vieler Menschen geschädigt hat, dauerte das Jahrzehnte. Über Diethylpthalat, das als weichmachender Stoff beispielsweise in Haarprodukten eingesetzt wird, wurde lange diskutiert - vielleicht wird es in nächster Zeit verboten. Doch dafür müssen eindeutige Effekte beim Menschen vorliegen. Ergebnisse aus Tierexperimenten reichen da nicht aus, um ein Verbot zu erwirken. Um es ganz deutlich zu sagen: Sie nehmen über Kosmetika Stoffe auf, die die ADI-Werte nicht überschreiten. Aber bei hormonellen und allergischen Reaktionen zählen diese Werte nicht mehr. Trotzdem muss man mit Effekten rechnen.

Dr. Hermann Kruse
arbeitet am Institut für Toxikologie und Pharmakologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Er bewertet chronische Belastungen gegenüber Metallen und schwer abbaubaren organischen Schadstoffen in Luft, Boden, Nahrungsmitteln und Wasser. Außerdem erstellt er Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) und Gutachten für Gerichte und Kommunen.
© Uni Kiel

Die "ToxFox"-App vom BUND prüft Kosmetikprodukte auf ihre Zusammensetzung. Sie basiert auf einer Datenbank, die von Usern befüllt wird - ähnlich wie Wikipedia. Für wie zuverlässig halten Sie die App als Informationsquelle?

Ich fände es sinnvoller, sich die Substanzen im Einzelnen anzuschauen, statt die Produkte als Ganzes mit einer Warn-Ampel zu bewerten. Das muss man ein wenig tiefgreifender beurteilen, so verunsichert das die Leute zu sehr. Viel wichtiger finde ich aber die grundlegende Frage nach alternativen Produkten. Da muss man gar nicht lange rumtüdeln: Es gibt Verbindungen, die ich mir besser nicht auf die Haut schmieren sollte.

Ist für Sie die Konsequenz daraus, nur noch zertifizierte Naturkosmetik zu verwenden?

Da will ich mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich würde Naturkosmetik bevorzugen: Produkte mit natürlichen Mitteln, die die gleiche Wirkung haben - die als Antioxidantien oder Konservierungsmittel dienen. Obgleich man selbst dort vorsichtig sein muss. Denn es gibt auch natürliche Stoffe, die nicht ganz ohne sind. Trotzdem sind sie synthetischen Stoffen vorzuziehen.

Was hindert Ihrer Meinung nach Kosmetikkonzerne daran, natürlich Stoffe einzusetzen?

Mit synthetischen Stoffen sind sie auf der sicheren Seite. Das sind Mittel, die tatsächlich eine gute Konservierungskraft haben und auch antioxidativ wirken. Darüber hinaus sind sie preiswert. Das ist natürlich immer der bequemere Weg. Es kostet Mühe, Ersatzstoffe zu finden, die nicht diese endokrine Wirksamkeit haben.

Wirken die Parabene bei Kleinkindern anders als bei Erwachsenen?

Kinder reagieren vielleicht sogar noch heftiger darauf, weil der junge Organismus noch nicht ausgewachsen und ihr Stoffwechsel intensiver ist. Dazu gibt es aber noch keine Untersuchungen.

Können Sie etwas zu möglichen Langzeitfolgen sagen?

Bei den Stoffen auf der Liste sind keine dabei, die akkumulieren - das bedeutet, dass sie sich im menschlichen Körper anreichern und vielleicht mal das Fass zum Überlaufen bringen. Und es ist auch kein Stoff dabei, der nachweislich eine krebserzeugende Wirkung hat. Selbst das BHA ist zwar ein Krebspromotor, aber kein Krebsinitiator. Heißt: Es macht von sich aus keinen Krebs; nur wenn schon einer vorhanden ist, kann der schneller wachsen.

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