Anzeige

Interview Brustkrebs behandeln: Viel hilft nicht immer viel

Brustkrebs behandeln: Frau hält rotes Band in die Kamera
© alexkich / Shutterstock
Vier von fünf Brustkrebspatientinnen werden heute geheilt. Ein toller Erfolg – allerdings häufig erkauft mit schweren Nebenwirkungen. Dabei ist eine weniger aggressive Therapie oft genauso effektiv, wie Prof. Dr. Sara Brucker im Interview erklärt.

Schadet die Brustkrebstherapie manchmal mehr, als sie nutzt?

Prof. Dr. Sara Brucker: Solche Fälle von Übertherapie gibt es tatsächlich. Ein Beispiel: Eine Frau hat einen sehr kleinen Tumor, und ihre Heilungsaussichten nach einer Operation plus Bestrahlung sind exzellent. Wenn diese Frau dann "sicherheitshalber" noch mit Chemotherapie behandelt würde, würden ihre Überlebenschancen durch die möglichen Nebenwirkungen der Therapie sogar sinken. Und ihre Lebensqualität wäre ebenfalls schlechter.

Aber in so einem Fall würde eine Ärztin oder ein Arzt doch gar nicht erst eine Chemo empfehlen.

Natürlich nicht, wenn der Fall ganz eindeutig wäre. Wir haben aber auch immer wieder Grenzfälle, bei denen wir wissen, dass ein Teil der Patientinnen von einer zusätzlichen, sogenannten adjuvanten Therapie profitieren würde, sei es nun eine Chemo- oder Hormontherapie. Das Problem ist nur: Wir wissen oft nicht genau, welche Patientinnen davon wirklich einen Vorteil haben werden und welche eben nicht.

Also werden alle nach dem Gießkannenprinzip behandelt.

Davon wollen wir wegkommen. Wir entwickeln immer individuellere Therapien. So gibt es mittlerweile eine ganze Reihe sogenannter Gensignaturtests, mit denen man anhand der genetischen Eigenschaften des Tumors abschätzen kann, wie aggressiv er wieder wachsen könnte. Das kann in Grenzfällen helfen, die Entscheidung für oder gegen eine Chemotherapie zu fällen. Aber es gibt noch eine ganze Reihe drängender Fragestellungen.

Welche sind da gerade besonders aktuell?

Beispielsweise die Frage, ob und wie viele Lymphknoten man aus der Achsel entnehmen muss. Denn viele Frauen haben nach einem solchen Eingriff ja große Probleme mit einem Lymphödem im Arm. Im Moment wird das überwiegend so gehandhabt, dass man auf jeden Fall den sogenannten Wächterlymphknoten in der Achsel entnimmt. Wenn dort keine Tumorzellen nachgewiesen werden, verzichtet man auf die Entfernung weiterer Lymphknoten. Wenn er aber schon befallen ist, werden auch die anderen Achsellymphknoten entnommen.

Und was könnte man da anders machen?

Zurzeit gibt es Überlegungen, dass man auf die Entfernung des Wächterlymphknotens ganz verzichten könnte, wenn Ultraschall und Tastbefund unter der Achsel unauffällig sind. Und wenn der Wächterlymphknoten tatsächlich schon Tumorzellen enthält: Muss man dann wirklich die anderen Lymphknoten auch entnehmen? Schließlich weiß man inzwischen, dass sich die weitere Ausbreitung des Tumors so gar nicht verhindern lässt. Es könnten sich schon längst, beispielsweise über das Blut, auch anderswo Metastasen gebildet haben. Dann kann man einer Frau die belastende Ausräumung der Achselhöhle auch ersparen, denn dann muss sie ohnehin systemisch, also zum Beispiel mit Chemotherapie, behandelt werden.

Und die OP des Brusttumors selbst?

Inzwischen wird ja immer öfter eine sogenannte neoadjuvante Therapie durchgeführt, das heißt, eine Chemotherapie vor der Operation. Und zwar mit dem Ziel, den Tumor vorab zu verkleinern, um danach schonender operieren zu können. Im Moment ist es noch so, dass an der Stelle, wo der Tumor saß, auf jeden Fall Gewebe wegoperiert wird – selbst wenn der Tumor durch die Vorabtherapie so stark geschrumpft ist, dass man ihn gar nicht mehr findet. Inzwischen wird diskutiert, ob man sich die Operation in solchen Fällen nicht ganz sparen könnte.

Linkshänderinnen haben ein höheres Brustrkrebsrisiko

In vielen Köpfen steckt aber die Überzeugung, dass die Überlebenschancen umso besser sind, je mehr weggeschnitten wird.

Es ist in den meisten Fällen genauso sicher, nur den Tumor mit einem entsprechenden Sicherheitsrand – der heute während der Operation mit Ultraschall kontrolliert werden sollte – herauszuschneiden; allerdings nur, wenn anschließend nachbestrahlt wird. Auch die Totalentfernung der Brust birgt übrigens ein gewisses Restrisiko, dass der Tumor wiederkommt, denn man kann das Drü­sengewebe direkt unter der Haut nicht hundertprozentig entfernen. Und da bei der kompletten Brustamputation oft nicht nachbestrahlt wird, kann von solchen Drüsenresten wieder ein Tumorwachstum ausgehen.

Gibt es denn auch bei der Strahlen­therapie inzwischen Möglichkeiten, weniger intensiv zu behandeln?

Schon seit Längerem erfolgt die Bestrahlung sehr gezielt, sodass benachbarte Organe wie das Herz und die Lunge geschont werden. In letzter Zeit gibt es auch immer mehr Studien, die darauf hindeuten, dass man mit kürzerer und geringer dosierter Bestrahlung genauso gute Ergebnisse erzielen könnte wie mit aggressiveren Bestrahlungsmetho- den. Aber hier brauchen wir insgesamt noch mehr Erkenntnisse.

Und wie kommt eine Patientin am besten durch diesen Behandlungsdschungel?

Letztlich muss sie immer mitentscheiden, wie sie den möglichen Nutzen und die potenziellen Risiken einer Therapie für sich selbst gewichtet. Dafür braucht sie eine sehr gute Beratung, die man an zertifizierten Brustkrebszentren be­kommt. Und auch das Beratungstelefon des KID* ist eine große Hilfe.

*Krebsinformationsdienst des Deutschen Krebsforschungszentrums. Kostenlose Beratung unter 0800-420 30 40 

Prof. Dr. Sara Brucker ist Leiterin des Zentrums für gynäkologische Onkologie und Ärztliche Direktorin des Forschungsinstituts für Frauengesundheit an der Universität Tübingen.

Holt euch die BRIGITTE als Abo - mit vielen Vorteilen. Hier könnt ihr sie direkt bestellen.

BRIGITTE 16/2020

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel