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Aufklärung: Ungewollt schwanger

Aufgeklärt ... und trotzdem schwanger? Wir fragten die Berliner Frauenärztin Dr. Cordula Stumpf, warum das so oft passiert.

Brigitte.de: Frauen wissen doch, ob sie nachlässig oder gar nicht verhütet haben. Warum kommen so viele trotzdem monatelang nicht darauf, dass sie ein Kind erwarten?

Dr. Cordula Stumpf: Schwangerschaften werden oft schlichtweg verdrängt. Und das ist ja auch verständlich: Ein Kind ist etwas so Gigantisches, gerade Erstgeborene oder Nachzügler krempeln das Leben der Frauen total um. Und davor haben sie große Angst. Weil die schwer auszuhalten ist, wird sie verdrängt. Das hat nichts mit mangelnder Aufklärung zu tun, es passiert sogar Frauenärztinnen.

Brigitte.de: In welchen Situationen werden Frauen Ihrer Erfahrung nach besonders leicht schwanger?

Dr. Cordula Stumpf: Zum Beispiel, wenn ein Paar sich trennt. Dazu gibt es auch eine psychoanalytische Theorie, ihr zufolge haben die Frauen einen unbewussten Versöhnungswunsch. Generell scheinen Veränderungen eine Schwangerschaft zu erleichtern: Patientinnen erzählen mir, sie hätten gerade den Traumjob angetreten oder ein Haus gekauft. Oder sie seien gerade von zu Hause ausgezogen, hätten sich von ihrem alten Leben frei gemacht. Manchmal ist es auch ein Freimachen von dem Druck, endlich schwanger werden zu wollen.

Brigitte.de: "Ich kann doch gar nicht schwanger werden, bei all der Arbeit"... Ist an solchen Einschätzungen wirklich etwas dran?

Dr. Cordula Stumpf: Nein. Ein ungesundes Leben mit viel Stress, Alkohol und womöglich Zigaretten ist absolut kein Verhütungsmittel, obwohl z. B. Zigarettenrauch die Östrogenproduktion beeinflussen kann. Es ist eher umgekehrt: Wenn eine Schwangerschaft ausbleibt, suchen die Betroffenen nach Gründen und meinen, in ihrem Lebensstil schnell fündig zu werden. Sie nehmen sich dann vor, gesünder zu leben - und versäumen darüber, mal überprüfen zu lassen, ob sie tatsächlich einen Eisprung haben und ob die Eileiter auch wirklich durchlässig sind, so dass das Ei in die Gebärmutter gelangen kann.

Brigitte.de: Es gibt Kinder, die am 6. oder am 28. Tag des Zyklus gezeugt wurden. Wie kann das passieren?

Dr. Cordula Stumpf: Patientinnen, die zu einem so ungewöhnlichen Zeitpunkt empfangen, sind meist völlig überrascht, wenn sie in die Praxis kommen. Wir Gynäkologen können - medizinisch gesehen - aber nur mit den Schultern zucken. Es kann in jedem Zyklus einen Eisprung außer der Reihe geben, auch wenn zuvor jahrelang alles ganz regelmäßig ablief. Nur an den errechneten gefährlichen Tagen aufzupassen ist ein Vabanque-Spiel: Es geht fast immer irgendwann schief.

Brigitte.de: Wenn eine Frau die Pille absetzt: Ab wann kann sie wieder schwanger werden? Gleich am Tag nach der letzten Einnahme?

Dr. Cordula Stumpf: Nein. Der Hormonabfall nach der letzten Pille ruft eine Blutung hervor - und während Schleimhaut ausgestoßen wird, ist es fast unmöglich, dass sich ein befruchtetes Ei in der Gebärmutter festsetzt. Gefährlich werden kann es ab etwa dem siebten Tag nach der letzten Einnahme, wenn die Blutung zu Ende geht. Von da an lässt sich keinerlei Aussage darüber machen, ob ein Tag riskanter ist als ein anderer - bis der natürliche Zyklus wieder da ist. Das dauert bei rund zehn Prozent der Frauen einige Monate, die anderen ovulieren sofort. Und zwar völlig unabhängig davon, wie lange die Pille genommen wurde. Seit man das genau weiß, sind Pillenpausen übrigens sinnlos geworden. Denn sie hatten vor allem einen Zweck: zu testen, ob eine Frau auch nach Jahren hormoneller Verhütung einen regelmäßigen Zyklus entwickeln kann.

Brigitte.de: Es passiert fast jeder Frau einmal, dass sie eine Pille vergisst oder sie wieder erbricht. Wie sehr erhöht ein einziger Ausfall das Risiko?

Dr. Cordula Stumpf: Wenn eine der ersten zehn Pillen vergessen wird, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass eine Schwangerschaft möglich wird: Der geringe Hormonausfall reicht, um einen Eisprung auszulösen. Bei der 11. bis 15. Pille ist das immer noch gut denkbar. Wer eine der letzten Pillen in der Packung vergisst, riskiert am wenigsten: Zu dieser Zeit ist ein Eisprung eherunwahrscheinlich - aber auch nicht ausgeschlossen.

Brigitte.de: Je älter eine Frau ist, desto geringer ihre Fruchtbarkeit. Wann kann man denn beruhigt aufhören zu verhüten?

Dr. Cordula Stumpf: Streng genommen erst, wenn massive Wechseljahressymptome zu spüren sind, die Frau also zum Beispiel plötzlich Schweißausbrüche bekommt. Davor ist eine Schwangerschaft zwar unwahrscheinlich - trotzdem gibt es das Phänomen der Nachzügler-Kinder. Das liegt daran, dass die Zyklen unregelmäßiger und die Eisprünge damit noch weniger voraussagbar werden.

Brigitte.de: Was kann man denn tun, um nicht überrascht zu werden?

Dr. Cordula Stumpf: Da hilft nur eines: sehr, sehr konsequent verhüten, bei absolut jedem Geschlechtsverkehr und nicht erst beim Samenerguss. Das klappt allerdings oft nur mit eiserner Selbstdisziplin und vielen Diskussionen, es ist mitunter anstrengend und unerotisch. Kurz gesagt: Es erfordert manchmal einfach Übermenschliches.

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