"Sie sind dann morgen als Erste dran", sagt die Oberärztin und steckt dabei nur kurz den Kopf durch die Tür. Doris Schmitt glaubt erst an eine Verwechslung - die Gewebeentnahme, für die sie in der Klinik ist, hat sie doch schon hinter sich. "Es ist bösartig, wir müssen Sie operieren", fügt die Ärztin noch schnell hinzu. Dann ist sie wieder weg. So hat Doris Schmitt vor neun Jahren erfahren, dass sie Brustkrebs hatte. Und wie fatal es ist, wenn in der Medizin etwas Grundsätzliches nicht gelingt: das Gespräch zwischen Arzt und Patientin.
Dr. Jana Jünger, Oberärztin an der Universitätsklinik Heidelberg, kennt das Dilemma von der anderen Seite: Als junge Medizinerin stieß sie schnell an ihre Grenzen, wenn es darum ging, Patienten gut durch Schmerzen, Ängste und Verzweiflung zu begleiten. "Ich habe gemerkt, wie viel mir fehlt, und mich sehr schlecht vorbereitet gefühlt", sagt sie. Den Schwerkranken einfühlsam zu begegnen, ohne sich dabei selbst komplett aufzureiben, das hatte ihr niemand beigebracht.
Zwei Erfahrungen, aber keine Einzelfälle. Denn in der medizinischen Beziehungskiste rappelt es kräftig. Ärzte haben mit immer mehr Bürokratie und Sparmaßnahmen zu kämpfen, Patientinnen und Patienten klagen über lange Wartezeiten und das Gefühl, trotz steigender Kassenbeiträge immer weniger für ihr Geld zu bekommen.
In Deutschland scheint dabei besonders viel im Argen zu liegen: So bewerteten in einer internationalen Studie deutsche Patientinnen und Patienten ihr Gesundheitssystem zwar in vielem besser als in anderen Nationen - aber die Kommunikation, etwa die Aufklärung über Nebenwirkungen von Arzneimitteln, schnitt deutlich schlechter ab. Und wer sich in der Krankheit schlecht betreut und informiert fühlt, das zeigten zum Beispiel zwei Münchener Studien mit Brustkrebspatientinnen, hat sogar Jahre nach der Therapie noch eine schlechtere Lebensqualität.
Tatsächlich sehen deutsche Hausärzte pro Woche rund doppelt so viele Patientinnen und Patienten wie ihre Kollegen in Holland, Kanada oder den USA. Sie haben für den Einzelnen im Schnitt nur knapp acht Minuten Zeit - gegenüber 11 bis 19 Minuten anderswo. Doch allein an der Zeit mangelt es nicht, glaubt Dr. Jana Jünger. "Auch in acht Minuten kann ich mit einer zugewandten Gesprächsführung viel von einem Patienten erfahren, seine wichtigsten Beschwerden erfassen und eine gute Beziehung aufbauen", sagt sie.
Das Problem sei, so die Internistin, dass zwar jeder angehende Arzt bereit sei, Operationstricks zu üben und Pillenwirkungen zu büffeln; das Gespräch mit den Patienten aber meinen die meisten aus dem Bauch heraus zu beherrschen. Erst seit kurzem gibt es Kommunikationstrainings für angehende Ärzte, wie sie Jana Jünger an der Universität Heidelberg entwickelt hat. Darin lernen diese zum Beispiel, dass sie von bis zu 50 Prozent der Beschwerden ihrer Patientinnen und Patienten nichts erfahren, wenn sie ihnen schon nach 20 Sekunden ins Wort fallen - was noch viel zu oft vorkommt.
Die Kosten für unsere Gesundheit steigen, unter anderem weil es immer bessere Diagnosetechniken und Therapien gibt. Doch dieses Mehr an Sicherheit für Kranke schafft auch neue Unsicherheiten. Denn die Kassen müssen sparen und haben den finanziellen Spielraum der Ärzte begrenzt. Seitdem können Patientinnen und Patienten oft nicht mehr einschätzen: "Bekomme ich eine Therapie nicht, weil sie wenig hilfreich oder weil das Praxisbudget ausgeschöpft ist?"
Zwar werden diese Kostenlimits seit dem 1. Januar 2009 nicht mehr Budget, sondern "Regelleistungsvolumen" genannt, aber in der Sache ändert das wenig. Gleichzeitig gibt es immer mehr "IGeL", privat zu zahlende "individuelle Gesundheitsleistungen", deren Sinn oder Unsinn Laien schwer beurteilen können. Gynäkologen "igeln" besonders kräftig - sie bieten solche Leistungen rund zehnmal häufiger an als etwa Allgemeinärzte. "Dass der Arzt zum Verkäufer wird, kann das Grundvertrauen sehr erschüttern", sagt der Psychologe Dr. Andreas Loh, der am Universitätsklinikum Freiburg das Arzt-Patienten-Verhältnis erforscht. "Der Doktor wird plötzlich zu einem, der auch an mein Geld will." Manche Arztpraxen wiederum könnten ohne die Zusatzeinnahmen durch IGeL kaum noch überleben.
Nicht nur bei den Finanzen wird immer lauter an die Selbstverantwortung der Patienten appelliert: Vorsorgefreudig, gesundheitsbewusst und vor allem informiert sollen wir sein als moderne Patientinnen. Und tatsächlich gibt es dank Internet so viele und leicht zugängliche medizinische Informationen wie noch nie. Aber sie schwemmen auch neue Probleme in die Sprechstunde.
"Cyberchondrie" heißt das Problem von Menschen, die bei "Dr. Google" ihre Symptome eingeben - und angesichts der Flut von Ergebnissen befürchten, schwer krank zu sein. Wer aber bei jedem Husten auf Lungenkrebs und bei einem Kribbeln in den Fingern auf multiple Sklerose tippt, kommt von vornherein eher misstrauisch und verängstigt in die Arztpraxis und wünscht sich technische Diagnostik statt sprechender Medizin.
Je mehr die Medizin über Krankheiten und Therapien weiß, desto komplizierter werden die Entscheidungen. Darüber müssen die Patientinnen und Patienten aufgeklärt werden, auch aus rechtlichen Gründen. Denn wenn Ärzte nicht auch auf seltene Risiken und Nebenwirkungen hinweisen, gilt das als Kunstfehler. Gleichzeitig aber schüren lange Listen möglicher Komplikationen die Angst.
Dennoch wünschen sich heute rund zwei Drittel der Patientinnen und Patienten, über Diagnostik und Behandlung mit dem Arzt gemeinsam zu entscheiden. Und wo das gelingt, das belegte zuletzt eine Auswertung von mehr als 250 Studien, haben Patientinnen und Patienten realistischere Erwartungen an die Therapie und weniger Zweifel an ihrer Wahl. Und das sind beste Voraussetzungen für den Erfolg einer Behandlung.
Wege aus der Beziehungskrise
Beide Seiten können also ein Coaching für die gelungene Kommunikation in der Arztpraxis gut gebrauchen. Deshalb schult Doris Schmitt heute Brustkrebspatientinnen für das Gespräch mit ihren Ärzten. In ihren Seminaren lernen Frauen, sich darauf so gründlich vorzubereiten wie auf andere wichtige Termine auch, z. B. durch Rollenspiele und gezielte Fragetechniken. Nicht zuletzt geht es darum, innere, oft unbewusste Haltungen wahrzunehmen und zu verändern. "Ich will das Selbstbewusstsein der Patientinnen so stärken", sagt die Seminarleiterin, "dass sie auch mit Ärzten klarkommen, die meinen, keine Zeit zu haben, um lange 'rumzulabern'."
Ein anderes Modell: In der ersten deutschen "Patientenuniversität" an der Medizinischen Hochschule Hannover können sich Interessierte in Vorträgen, an praktischen Lernstationen und in Seminaren medizinisch weiterbilden. Die rund 350 Plätze sind heiß begehrt. Doch Information allein genügt nicht, weiß Prof. Marie-Luise Dierks, Leiterin der Patientenuniversität: Wenn Patienten ihre eigene Krankheit verstehen wollen, "spielt der Arzt dabei weiterhin eine wichtige Rolle".
Erst kürzlich zeigte wieder einmal eine Studie, wie wichtig der ärztliche Kommunikationsstil für Heilungsprozesse ist. Forscher der amerikanischen Harvard-Universität ließen Patienten mit einem Reizdarmsyndrom an wirkungslosen Punkten akupunktieren. In einer Gruppe befragten, informierten und ermutigten die Ärzte ihre Patienten ausführlich und einfühlsam und betonten ihre große Erfahrung. Resultat: Fast doppelt so viele dieser Patienten erlebten eine deutliche Besserung ihrer Beschwerden als in der Vergleichsgruppe, mit der kurz und sachlich gesprochen wurde.
Angesichts knapper Gesundheitskassen ist es also umso wichtiger, dass die ärztliche Sprechstunde ihrem Namen in Zukunft wieder gerechter wird. Doch leider werden Gespräche in der Regel schlechter honoriert als Labortests oder der Einsatz teurer Diagnosetechniken. Und in den Fortbildungen der Ärzteorganisationen zum Thema Kommunikation trifft sich oft nur das Häuflein der ohnehin besonders Engagierten. Dr. Jana Jünger ist dennoch optimistisch - auch weil mittlerweile Kurse wie in Heidelberg an immer mehr Universitäten zum Pflichtprogramm zählen. "In einigen Jahren haben wir ganz andere Mediziner", glaubt sie, "das ist fast wie eine kleine Revolution."
Was Patientinnen für eine bessere Behandlung tun können
Wollen Sie nur ein Rezept, um schnell wieder auf die Beine zu kommen? Oder bestimmten Beschwerden tiefer auf den Grund gehen? Wenn Sie eigene Erwartungen benennen, kann der Arzt oder die Ärztin besser darauf eingehen.
Was Ihnen wichtig ist, können Sie oft schon in ein bis zwei Minuten erklären. Wenn der Arzt Ihnen vorher ins Wort fällt: Machen Sie höflich, aber bestimmt klar, dass Sie sich kurzfassen, aber ausreden möchten.
Zu diesem Zweck wird jetzt die elektronische Gesundheitskarte erprobt. Sie können sich auch selbst unnötige Belastungen und Ihrer Krankenkasse Kosten ersparen, wenn Sie den Arzt/ die Ärztin informieren, welche Untersuchung schon woanders gemacht wurde. Besonders sinnvoll: ein Röntgenpass, in dem jede radiologische Diagnostik notiert wird. Zu beziehen bei Krankenkassen oder in Arztpraxen.
Individuelle Gesundheitsleistungen auf eigene Kosten sind nur selten medizinisch notwendig, manchmal aber sinnvoll. Hier sind Sie als kritische Kundin gefragt: Lassen Sie sich diese Angebote nicht von der Arzthelferin oder per Ankreuzliste "verkaufen", sondern fragen Sie genau nach, welchen Nutzen diese Leistungen für Sie persönlich haben.
Viele Arztpraxen haben in den letzten Wochen des Quartals ihr "Regelleistungsvolumen" erfüllt und bekommen für weitere Behandlungen kein Geld mehr. Längerfristig geplante Arztbesuche vereinbart man also besser am Anfang des Quartals.