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Essstörung "Ich wollte magersüchtig werden"

Buchvorstellung: Antonia während der Magersucht
© Antonia Wesseling / Privat
Jahrelang litt die Autorin Antonia C. Wesseling unter Magersucht. In ihrem Buch beschreibt sie, wie sie den Weg aus der Krankheit fand.

Die Pubertät ist für die meisten Menschen eine schwierige Phase: Man fängt an, seinen Körper richtig wahrzunehmen und zu vergleichen. Welche Auswirkungen das haben kann, weiß auch Antonia, genannt Toni. Mit gerade mal 14 Jahren stellte sie das Essen von heute auf morgen komplett ein. "Es fühlte sich so an, als hätte ich nichts mehr zu verlieren", schildert Toni heute in ihrem Buch "Wie viel wiegt mein Leben?"

Das ist doch nur eine Phase – oder?

Ihre Ärzte taten Antonias Verhalten als vorübergehende Phase ab, dabei war sie längst dabei, nach irgendetwas im Leben zu suchen, worüber sie die Kontrolle behalten konnte. Und fand dieses Etwas schließlich in ihrem Gewicht. Obwohl ein Teil von ihr wusste, wie gefährlich der Weg war, den sie beschritt, wollte ein wesentlich größerer Teil nicht umdrehen. Heute weiß Toni: "Ich wollte magersüchtig werden."

Alles war einfach zu viel, und ich wollte es loswerden. Deshalb war ich auch der festen Überzeugung, ich könnte mein Leben unter Kontrolle bringen, indem ich an Gewicht abnahm.

Es folgte ein Kreislauf aus Lügen, leugnen und hungern. Antonia ließ ihre Schulbrote auf dem Pausenhof im Mülleimer verschwinden, achtete darauf, in der Kantine fast ausschließlich Gemüse auf den Teller zu laden und erfand Ausreden, warum sie gerade nicht essen könne. Irgendwann waren es ihre Eltern, die die Reißleine zogen: Sie wiesen Toni in die geschlossene Psychiatrie ein. Ab September 2014 bestimmten ein strikter Ernährungsplan und ein endgültiges Zielgewicht ihr Leben.

Zwar fühlte Toni sich unter den anderen Patienten nach einiger Eingewöhnung wohl, doch obwohl sie nach und nach etwas zunahm, konnte der Aufenthalt ihre Einstellung nicht verändern. Ihre innere Stimme riet ihr noch immer, Teile ihrer Mahlzeiten unbemerkt im Müll zu versenken. Selbst als sie irgendwann das festgelegte Zielgewicht erreicht hatte, war die Magersucht an sich immer noch in ihrem Kopf verankert: "Ich war weit davon entfernt, geheilt zu sein."

Die Psychiatrie als Blase

Buchvorstellung: Cover
© Edenbooks / PR

Das Leben in der Psychiatrie war wie eine große Blase, die platzte, sobald Antonia wieder in ihrem Alltag war. Die Ängste kehrten zurück und damit auch die Auswirkungen der Krankheit. Toni brach ihre ambulante Therapie ab, weil sie glaubte, sie sei schon viel zu gesund für eine weitere Behandlung. Ein Fehler, den viele Betroffene machen, wie sie heute weiß. Nach einem Jahr entschied sie sich selbst zu einem zweiten Klinikaufenthalt. Und machte wieder einen Fehler: Toni legte die gesamte Verantwortung in die Hände der Ärzte, der Therapeuten und ihrer Eltern. Dabei war sie selbst innerlich immer noch nicht in der Lage, die Krankheit loszulassen. Auch diesmal gelang es ihr nicht, die Magersucht zu besiegen.

Gleichzeitig litt sie an starken Depressionen – und entschied sich schließlich nach einiger Zeit, es noch einmal mit einem Klinikaufenthalt zu versuchen. Diesmal aber mit Schwerpunkt auf ihrer Depression, die Magersucht sollte nur sekundär behandelt werden. In der Klinik fand Antonia dann endlich den Ansatz, den sie brauchte, um sich von ihrer Magersucht zu lösen: Statt sich an strikten Ernährungsplänen entlang zu hangeln, wurde die Therapie individuell auf sie zugeschnitten.

Buchvorstellung: Antonia heute
Heute hat Antonia ein gesundes Gewicht und kann ihr Leben wieder genießen
© Sebastian Knoth / PR

Toni bekam viele Freiheiten, musste gleichzeitig aber auch zum ersten Mal Verantwortung für sich selbst übernehmen. Zusätzlich gewann sie in Gesprächen mit älteren Patient*innen langsam an innerer Reife und fing an, sich zu überlegen, was sie eigentlich mit ihrem Leben anfangen wollte und warum sie der Magersucht so viel Platz darin gab. Lange Spaziergänge in der Natur halfen ihr dabei ebenso wie die Erkenntnis, was Achtsamkeit ist und wie sie sich auf ihr Leben übertragen lässt.

Ohne Selbstdisziplin geht es nicht

Irgendwann wurde ihr aber bewusst, dass der Aufenthalt in der Klinik nur der Anfang sein konnte. Sie musste das, was sie über sich gelernt hatte, auch zu Hause umsetzen können. Also entließ Antonia sich einen Tag vor ihrem 19. Geburtstag selbst, obwohl sie nur wenig zugenommen hatte und immer noch als krank galt. Doch ihre innere Einstellung hatte sich endlich geändert: Zuhause gewöhnte sie sich tatsächlich nach und nach wieder daran, normal zu essen, indem sie anfing, auf ihr Hungergefühl zu hören.

Mittlerweile hält Antonia seit einem Jahr ein gesundes Gewicht. Aber: Ein Wundermittel gegen die Magersucht kennt auch sie nicht. Auf die Frage, wie sie die Krankheit besiegt hat, antwortet sie:

Mit sehr viel Selbstdisziplin. Mit mehr Selbstdisziplin, als ich sie je zum Abnehmen gebraucht habe.

Außerdem hat sie von ihrer Therapeutin einen wichtigen Tipp bekommen: Sie solle sich auf das konzentrieren, was ihr im Leben wichtig ist. Und das sollten möglichst verschiedene Bausteine sein – für den Fall, dass einer auseinanderbricht. Daran hält sie sich bis heute.

Tipps von Antonia: So lernst du, deinen Körper zu akzeptieren

  • Frage dich, warum du deinen Körper verändern willst. Antonia merkte beispielsweise, dass es ihr nie ums Aussehen ging, sondern darum, dass sie damit Disziplin und Anerkennung verknüpfte.
  • Stelle deinen Körper nicht ständig in Frage. Lenke dich ab, wenn solche Gedanken auftauchen.
  • Rede nicht schlecht von deinem Körper – Wörter haben die Macht, wahr zu werden.

Antonias ganze Geschichte und noch mehr ihrer Tipps, wie man den eigenen Körper zu akzeptieren lernen kann, findest du in ihrem Buch.

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