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Ist es schon krankhaft, "nur" dünn zu sein?

Ist es schon krankhaft, "nur" dünn zu sein?
© Photographee.eu/shutterstock
Anorexie-Patienten sind völlig abgemagert und Model-Shows treiben Mädchen in die Magersucht? Zwei Annahmen, die laut neuesten Erkenntnissen veraltet sind.

Was treibt Menschen in die Magersucht?

Familie, Leistungsdruck, sexistische Werbung oder Model-Shows: Die Reihe an möglichen Magersucht-Ursachen, über die in den vergangenen Jahrzehnten in den Medien spekuliert wurde, ist lang. Doch nicht nur die Medien, auch die Wissenschaft suchte Gründe für die Krankheit und bezeichnete sie als "das Enigma Anorexie" oder "das Rätsel Anorexie". Inzwischen ist man den Ursachen für die Krankheit jedoch ein großes Stück nähergekommen. Das zeigt eine kürzlich im Fachmagazin "Lancet Psychiatry" veröffentlichte Studie um Stephan Zipfel, Leiter der Psychosomatischen Medizin am Uni-Klinikum Tübingen.

Gemeinsame Standards in Diagnostik und Therapie

Das Forscherteam hat die Entwicklung der Anorexie-Forschung in den vergangenen fünf Jahren bewertet. Besonders positiv hebt Zipfel hervor: "Die bahnbrechende Neuerung ist, dass wir uns in der jüngeren Vergangenheit auf drei verschiedenen Kontinenten - Europa, Nordamerika und Australien - auf Standards bei Diagnostik und Therapie einigen konnten." Und auch in puncto Psychotherapie sei man vorangekommen: Sowohl in der psychodynamischen Therapie als auch in der kognitiven Verhaltenstherapie gäbe es inzwischen moderate Belege für den Erfolg der Behandlungen.

Wichtig ist, dass den Betroffenen früh geholfen wird. Nach einer Erkrankungsdauer von drei Jahren, wird eine vollständige Genesung schwieriger, sagt Zipfel. Eines sollte klar sein: "Es gibt keine Medikamente gegen die Magersucht!"

"Nur" dünn und trotzdem krank

Eine weitere Erkenntnis der letzten fünf Jahre: Auch weniger ausgeprägte Fälle, in denen die Betroffenen nicht bis auf die Knochen abmagern, müssen berücksichtigt werden. "Wir haben deutliche Hinweise, dass diese Gruppe belastet ist und auch ein Risiko für andere psychische Erkrankungen trägt", so Zipfel. Auch deshalb wurde der Body-Mass-Index, ab dem man von Anorexie spricht, von 17,5 auf 18,5 hochgesetzt. Eine erwachsene Frau, die bei einer Körpergröße von 1,60 Meter nur 45 Kilogramm wiegt, ist demnach unter Umständen schon magersüchtig.

Sind Model-Shows Schuld am Magerwahn?

Wer trägt Schuld daran, dass junge Frauen magersüchtig werden? In den vergangenen Jahren wurde diese Frage heftig debattiert. Heute sehe man das differenzierter. "Es wird nicht eine einzige Ursache haben," erklärt der Studienleiter. Es gibt psychische und soziale Faktoren – zu letzteren gehören natürlich auch Fernsehsendungen. Doch Zipfel gibt zu bedenken: "Allerdings ist die Anorexie keine neue Erkrankung, während 'Germany 's next Topmodel eine relativ neue Erscheinung ist." Schon vor 500 Jahren waren hungernde Frauen bekannt. Die Motive hätten sich vermutlich geändert, nicht aber die Ursachen.

Anorexie kann vererbbar sein

Magersucht mag zahlreiche unterschiedliche Ursachen haben, eines sollte man sich jedoch bewusst machen: Die Krankheit tritt oft familiär gehäuft auf und gilt als erblich. Schätzungen hinsichtlich der Erblichkeit schwanken zwischen 30 und 75 Prozent.

jg

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