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Alkohol: Trinken - aber kontrolliert!

Nie wieder Alkohol trinken? Wer abhängig oder gefährdet ist, kann es auch anders versuchen. Denn Lernprogramme zum kontrollierten Trinken zeigen gute Erfolge.

Am Wochenende ein üppiges Essen mit Wein, am Montag die Restbestände noch schnell vor dem Fernseher geleert. Dienstag ein sektseliges Treffen mit der besten Freundin. Und Mittwoch? Ist der gute Vorsatz, mal nichts zu trinken, auch irgendwie gescheitert.

Ist das schon Abhängigkeit oder gar bereits Sucht? Antworten auf solche Fragen, wo nötig auch Hilfe, gibt es in Trainingsprogrammen zum so genannten kontrollierten Trinken: Immer mehr Suchtberatungsstellen bieten dazu gezielt Gruppen oder Einzelgespräche an.

Für Frauke Schneider* zum Beispiel wurde eine Zeitungsnotiz über diesen neuen Ansatz in der Suchtvorbeugung zum Wink mit dem Zaunpfahl. Die Leiterin einer Berliner Kindertagesstätte hatte ihr Leben scheinbar im Griff. Nicht aber ihren Alkoholkonsum: Jeden Abend Bier, Wein oder Schnaps - das behagte ihr selber nicht. Immer häufiger nahm sie sich vor, wenigstens einen Tag ohne Alkohol auszukommen. Immer häufiger quälten sie Schuldgefühle, weil sie es wieder nicht schaffte.

Oder Sabine Boettger*: In der Karriere der 37-Jährigen lief lange Zeit alles glatt. Das änderte sich nach der Trennung von ihrem Partner. Einsamkeit und Leere versuchte sie jeden Abend mit anderthalb Litern Wein zu betäuben. Morgens schaffte sie es kaum mehr aus dem Bett, spürte, dass sie in wichtigen Verhandlungen oft fahrig und unkonzentriert reagierte.

Massive Alkoholprobleme kommen bei Frauen seltener vor als bei Männern - sagt die Statistik: Nur 23 Prozent der Ratsuchenden in Beratungsstellen und Suchtkliniken sind weiblich. Doch wo Gruppen oder Einzeltrainings zum kontrollierten Trinken angeboten werden, nehmen 35 bis 40 Prozent Frauen teil. Das verhaltenstherapeutische Programm, das in seiner heutigen Form von dem Nürnberger Suchtforscher Joachim Körkel entwickelt wurde, bricht mit einem althergebrachten Dogma der Suchthilfe: dass Alkoholprobleme nur zu lösen seien, wenn die Betroffenen bereit sind, nie wieder einen Tropfen zu trinken.

Auch Frauke Schneider, die das Programm in Einzelsitzungen absolvierte, war überrascht, dass sie einfach weitertrinken durfte wie bisher. Nur die Umstände ihres Konsums musste sie in einem Trink-Tagebuch notiern. Als Erstes stellte sie fest, dass sie mehr trank, als sie sich eingestanden hatte, mit zwei Bier am Abend war es nicht immer getan. Dann fand sie heraus, wann ihr Konsum ausuferte: Vor allem bei Konflikten mit ihrem Mann oder nach stressigen Arbeitstagen spülte sie Ärger und Anspannung mit Bier oder Höherprozentigem herunter. "Es ist typisch für Frauen, dass sie aus Kummer über Konflikte trinken", sagt Rosemarie Heger, Suchttherapeutin in der Berliner Beratungsstelle "Die Gierkezeile", "bei Männern geht es eher darum: Wer säuft wen als Erstes unter den Tisch?"

Ihren Alltag so zu gestalten, dass Entspannung nicht nur durch Alkohol möglich ist, lernte Frauke Schneider in den Einzelstunden. Zum kontrollierten Trinken gehört aber auch, den Alkoholkonsum für die Woche zu planen. Realistische Ziele stellen sich dabei oft erst im Laufe der Sitzungen heraus.

Die Berliner Pädagogin zum Beispiel will sich künftig an die WHO-Empfehlung für Frauen halten: am Abend nicht mehr als eine Flasche Bier oder ein Glas Wein, das sind 20 Gramm Alkohol. Außerdem nimmt sie sich zwei alkoholfreie Tage pro Woche vor. Das klappt nicht immer, aber immer besser: "Wenn ich bei einem Fest mal drei Bier und drei Schnäpse trinke, wirft mich das nicht aus der Bahn, weil ich weiß: Den Rest der Woche habe ich das wieder im Griff."

"Erfolg ist, wenn die Menschen ihren Alkoholkonsum reduzieren", stellt die Suchttherapeutin Heger fest. Internationale Studien zeigen: Fast zwei Drittel der Teilnehmer solcher Kurse schaffen es, zwischen 30 und 60 Prozent weniger zu trinken, und dieser Erfolg hält oft über Jahre an.

Für andere wird der Versuch des kontrollierten Trinkens ein Schritt zur Selbsterkenntnis. In fast jedem Kurs sitzen einige Teilnehmerinnen oder Teilnehmer, die schließlich ganz auf Alkohol verzichten - weil sie merken, dass sie ihre Abhängigkeit nur durch radikale Abstinenz in den Griff bekommen.

Gruppen- und Einzeltrainings zum kontrollierten Trinken bieten rund 600 Suchttherapeutinnen und -therapeuten und 100 Beratungsstellen in ganz Deutschland an. Einige Krankenkassen beteiligen sich an den Kosten. Selbstlernprogramme gibt es im Internet oder als Handbuch.

Nähere Infos: www.kontrolliertes-trinken.de oder GK Quest Akademie, Maaßstraße 28, 69123 Heidelberg, Tel. 062 21/739 20 30.

Weitere Infos zum Thema Sucht

Info-Telefon der BZgA (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung): 0221/89 20 31

Deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren e. V. (DHS), Postfach 13 69, 59003 Hamm, Tel. 02 381/901 50, www.dhs.de

Blaues Kreuz in Deutschland e. V., Postfach 20 02 52, 42202 Wuppertal, Tel. 02 02 /62 00 30 www.blaues-kreuz.de

Deutscher Guttempler Orden e. V., Adenauerallee 45, 20097 Hamburg, 040/24 58 80, Im Internet: www.guttempler.de

Kreuzbund e. V., Münsterstr. 25, 59065 Hamm, Tel. 023 81/67 27 20, Im Internet: www.kreuzbund.de

Freundeskreise für Suchtkrankenhilfe e. V., Kurt-Schumacher-Str. 2, 34117 Kassel, Tel. 05 61/78 04 13, www.freundeskreise-sucht.de

Anonyme Alkoholiker e. V., Postfach 46 02 27, 80910 München, Tel. 089/316 43 43 www.anonyme-alkoholiker.de

Narcotics Anonymous deutschsprachige Region, NA Service Komitee Postfach 11 10 10, 64225 Darmstadt www.narcotics-anonymous.de

Text: Martina Keller BRIGITTE 17/05

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