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"Sag mal, rauchst Du gar nicht mehr?"

Zigarette
© Pcess609 / Shutterstock
Einen Tag lang nicht rauchen. Dann noch einen. Und noch einen. Und dann? BRIGITTE-Mitarbeiterin Stefanie Winter hat es versucht.

Früher hätte ich mir jetzt erst mal eine angezündet. Hätte eine Zigarette aus der Schachtel gezupft, das Feuerzeug schnappen lassen, hätte gelauscht, wie die Flamme mit dem Tabak flüstert, und gespürt, wie es wärmer wird, in mir und um mich. Ich hätte in die Luft geguckt und geträumt, dass ich nachdenke. Und einen ganz und gar ausgefüllten Moment erlebt. Rauchen ist - war - zigtausende solcher Momente für mich. Rauchen machte aus einer Hand voll Minuten einen echten Zeitraum mit Anfang und Ende, mit Sinn und Sinnlichkeit: Tasten, Riechen, Schmecken. Dabei hatten die, die rauchten, mich davor gewarnt: dass ich bloß nicht damit anfangen solle. Weil man dann nicht wieder damit aufhören kann. Und ich? Hörte viele Jahre nicht wieder mit dem Rauchen auf. Weil ich glaubte, ohne Zigaretten nicht lange durchhalten zu können. Ein Irrglaube, wie ich jetzt weiß.

Kein Raucher möchte im Grunde seines Herzens wirklich weiterrauchen. Und dass es tödlich sein kann, wissen auch alle. Sie - wir - kennen allerdings auch eine andere, sehr vitale Seite des Rauchens: In einer Welt voller akzeptierter Regeln und Selbstkontrolle funktioniert das Rauchen ganz hervorragend als kleiner Ausbruch zwischendurch. Etwas, das Leichtigkeit und Lebendigkeit in ein erwachsenes Dasein zurückbringt. Die Zigarette als ganz privates Lagerfeuer. Zum Wärmen, Sich-Sammeln und zum Rauchzeichengeben: Ich friere. Ich denke. Ich finde dich toll. Sprich mit mir. Hilfe. Alles wird gut.

Besonders lebendig wird es dadurch, dass man den Platz am Feuer üblicherweise teilt: Kann ich eine, hast du mal? Und weißt du noch, wie wir nachts in der Kneipe die Welt verändert haben? Das achtgängige Gelage in Andreas winziger Wohnung. Die geile Party bis zum Morgengrauen. Jede dieser Erinnerungen glüht und qualmt ein bisschen. Ausgerechnet eine solche Party stellte meine Lebendigkeit dann doch vor einiger Zeit in Frage, vielmehr: der Morgen danach. Mit dumpfem Schmerz vom Nacken bis zu den Schläfen, einem moosigen Geschmack im Mund, grauer Haut, sehr knappem Atem und der Gewissheit: Das Leben ist schön, die Party war klasse - aber rauchen und gleichzeitig schön leben und feiern wird nicht mehr lange gut gehen. Angesichts dessen schien es mir plausibler, das Rauchen einzustellen, nicht das schöne Leben generell. Allerdings: Ginge das eine überhaupt ohne das andere? Aus heutiger Sicht? Problemlos. Damals? Ein Albtraum.

Und so bin ich es angegangen: Weil mir rigorose Verbote grundsätzlich zuwider sind, habe ich etwas gemacht, was mit Albträumen nur in Ausnahmefällen geht - ich habe den Horror in winzige, harmlose Kapitel eingeteilt. Nahm mir jeden Tag vor, heute nicht zu rauchen. Und morgen? Mal sehen. So stand zumindest nicht zu befürchten, nun auf ewig eine asketische Langweilerin zu sein. Ein Tag Pause, erklärte ich mir selbst, noch ein zweiter vielleicht, du liebe Güte, kannst ja jederzeit wieder mit dem Aufhören aufhören. Auf diese Weise hat man sehr regelmäßig Erfolgserlebnisse: jeden Tag eines. Und mein freier Wille fühlte sich weiterhin frei genug.

Allerdings weiß jeder, der schon mal unglücklich verliebt war (also jeder), dass ein einziger Tag "ohne" durchaus die Hölle sein kann: Eine wilde Horde Huftiere tobt durch den Brustkorb, man ist fünf Jahre alt und fiebrig krank und möchte schlafen, weinen, schlafen. Oder man würde sehr, sehr gern etwas kaputt machen, Geschirr, Polstermöbel, das neue Kleid. Man kann nicht aufhören, daran zu denken. Kann nur daran denken. Kann gar nicht denken, nur sich sehnen. Ungefähr so fühlten sich die ersten Tage ohne Zigaretten an.

Dann ließ das Verlangen nach. Und die gefürchtete innere Leere, die Raucher meinen mit dem Griff in die Schachtel bekämpfen zu müssen, blieb aus. Und wenn Zigaretten den Tag früher in genießbare Häppchen gegliedert haben, in ein Davor, ein Danach, ein Eine-noch-und-dann ... dann traten jetzt andere Dinge an ihre Stelle. Fast an jeder Ecke wartete ein neuer Flirt: Innerhalb weniger Tage schon wurde aus nervöser Unruhe eine fremdartige, aber nicht unangenehme Wachheit. Nach einigen Wochen brauchte ich weniger Schlaf, hatte kaum noch Kopfweh, fand alles, was ich aß, fast überirdisch köstlich. Außerdem investierte ich den Gegenwert der ungerauchten Zigaretten beherzt in andere unvernünftige Dinge: vorwiegend maßlos teure Cremes, Pullis oder Dessous. Ich hatte viel geraucht, das Budget war entsprechend. Angesichts dessen fand ich es nicht wirklich asketisch, aufs Rauchen zu verzichten. Sondern irgendwie anders genussvoll.

Was besonders geholfen hat: die neidvolle, aber ehrliche Anerkennung rauchender Freunde, die nach dem dritten Bier in der Kneipe irritiert fragten, ob ich denn gar nicht mehr rauchte. "Im Moment nicht, nein", habe ich geantwortet, wissend und lässig und ein kleines bisschen unglücklich - weil ich gerade nach einer Zigarette gierte.

Mit etwas Abstand und möglicherweise leicht verklärt kommt es mir vor, als sei aus dem "Heute nicht" fast beiläufig ein "Nicht mehr" geworden. Als zickige Ex-Raucherin gebärde ich mich dennoch möglichst selten. Weil ich zwar weiß, dass man's lassen kann. Aber auch weiß, wie es ist, wenn man unbedingt rauchen will. Ich freue mich einfach, jeden Tag aufs Neue, dass ich das nicht mehr wollen muss.

BRIGITTE Heft 15/2006

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