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Muss man beim Training an sein Limit gehen?

Beim Training an sein Limit zu gehen, ist gerade total angesagt. BRIGITTE-Mitarbeiterin Daniela Stohn fragt sich, was daran so wunderbar sein soll.

Es grassiert ein neues Virus in meinem Bekanntenkreis: die sportliche Midlife-Crisis. Eine Freundin trainiert gerade für ihren ersten Marathon und sprintet dazu wie ein Hamster im Laufrad Runde um Runde auf der Tartanbahn. Eine andere geht zweimal in der Woche zum "CrossFit", wo sie laut stöhnend unmenschlich schwere Gewichte in die Luft hievt und 50 Liegestütze am Stück macht (beide Frauen sind übrigens älter als 40). Wenn ich so etwas höre, kriege ich sofort ein schlechtes Gewissen und miese Laune. Ich mache auch Sport, ja. Aber es gibt Schöneres, als sich bis zum Umfallen zu quälen, oder? Muss man das? Und vor allem: Was habe ich davon?

"Wem es reicht, jede Woche dieselbe Runde bei demselben lockeren Tempo zu laufen - wunderbar! Regelmäßige Bewegung ist gut fürs Wohlbefinden und für die Gesundheit", erklärt mir der Sportwissenschaftler Professor Dr. Alexander Ferrauti von der Ruhr-Universität Bochum. Leider währt meine Erleichterung nur kurz, denn, das schiebt er gleich im nächsten Satz hinterher: Besonders fit und schlank wird man so leider nicht. Wer zweimal in der Woche 30 Minuten joggt, verbrennt gerade mal 700 Kalorien, und die sind mit nur einer Pizza genauso schnell wieder drauf.

Muss man beim Training an sein Limit gehen?
© kissenbo/istockphoto.com

Jetzt verstehe ich, warum die zwei Kilos wie festgeschweißt an meiner Taille kleben und sich beim Training nichts mehr tut. "Gerade Frauen neigen dazu, sich zu unterfordern, und wundern sich dann, wenn sie nicht abnehmen oder schneller werden", meint der Sportwissenschaftler und Autor Dr. Dr. Michael Despeghel. Deswegen rät er: Wir sollten unseren Körper öfter mal herausfordern, ihm das Gefühl geben, dass er nicht genug kann. Wie das geht? Indem man ihm neue Reize setzt, also häufiger, länger - oder vor allem: intensiver trainiert. Dann muss er nämlich alles geben und besser werden, um die neuen Anforderungen zu bewältigen.

Das hört sich erst mal wahnsinnig anstrengend an. Und ob man wirklich Lust zu so viel Schinderei hat, steht auf einem anderen Blatt. An seine Grenzen zu gehen bringt aber ganz viel, zeigen wissenschaftliche Studien: Ein intensives Intervalltraining macht fitter und verbrennt mehr Kalorien und Fett als ein langes, lockeres Training. Denn die Anstrengung kurbelt den Stoffwechsel an und sorgt deswegen für einen Nachbrenneffekt - ein prima Kalorienkiller.

Schmerzabwehr produziert Glückshormone

Dass diese neue Art von Fatburn-Fitness-Training bei vielen Frauen offenbar gut ankommt, zeigt übrigens ein Blick in die Kurspläne der Studios: Dort geht der Trend zu hochintensiven ganzheitlichen Workouts wie "Deepwork", "Grit" oder "Body Skills" (siehe unten), die den Puls hochtreiben und die Fettpolster schmelzen lassen. Daran mag übrigens auch die Tatsache schuld sein, dass der Körper dann Endorphine ausschüttet, wenn er sich gegen Schmerzen wehren muss. Je mehr und je länger Muskeln beansprucht werden, desto stärker produziert er Glückshormone. Die Ausschüttung findet aber erst statt, wenn der Schwellenwert der Belastung erreicht ist - man muss sich also dafür anstrengen. Auch Wachstumshormone werden bei intensivem Training ausgeschüttet - das sorgt außerdem für einen Anti-Aging-Effekt.

Mich hat das Midlife-Crisis-Quäl-Virus inzwischen übrigens auch infiziert, dank der Recherchen für diesen Artikel. Ich gehe jetzt einmal die Woche zum "Deepwork" ins Fitnessstudio und baue in meine Jogging-Runden kleine Sprints ein. Alle fünf Minuten renne ich 30 Sekunden lang, so schnell ich kann. Das fühlt sich richtig gut an: Weil ich merke, wie leistungsfähig mein Körper ist und was ich ihm zumuten kann.

So schinden Sie sich richtig

Beim Ausdauersport

Ideal ist für fortgeschrittene Läuferinnen ein Mischtraining: pro Woche je eine gemütliche lange Einheit (30 bis 90 Minuten), ein Intervalltraining (beispielsweise 8 x 400 Meter Sprint, dazwischen 200 Meter locker laufen) und ein Tempotraining (zehn Minuten locker, dann 15 Minuten zügig mit steigendem Tempo, zum Abschluss wieder fünf Minuten locker).

Beim Krafttraining

Vergessen Sie ewig viele Wiederholungen! Hohe Gewichte und acht bis zwölf Wiederholungen erschöpfen den Muskel und bauen Muskelmasse auf.

Beim Workout

In den Studios sind hochintensive Workouts der neue Trend: "Deepwork" zum Beispiel ist eine Mischung aus Yoga-, Cardio- und Kraftelementen mit vielen Sprüngen und Schwungübungen - das strafft und entspannt gleichzeitig. "Grit" dauert nur 30 Minuten, aber die haben's in sich: In den drei verschiedenen Workouts "Strength", "Cardio" und "Plyo" wird mit hohen Gewichten und Sprints trainiert, bis die Muskeln brennen. "Body Skills" ist ein funktionales Training, das Kraft, Cardio und Beweglichkeit trainiert und durch die hohe Intensität effektiv die Fettverbrennung ankurbelt.

Daran merken Sie, dass Sie wirklich zu viel gemacht haben

Wenn der Ruhepuls am Tag nach dem Training um einige Schläge erhöht ist. Intensives Training erfordert längere Erholungsphasen von ein (sehr fitte Sportler) bis drei Tagen (Einsteiger).

Text: Daniela Stohn BRIGITTE 18/2013

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