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Trailrunning: Weglaufen gilt

24 Stunden raus aus dem Alltag. Weg vom Schreibtisch, weg vom Kinderspielplatz - und rein ins Outdoor-Abenteuer. Beim Trailrunning geht es auf schmalen, unbefestigten Wegen in den Wald und in die Berge. Ein Selbstversuch.

Blätter rascheln. Sind das Schritte, die sich meinem Zelt nähern? Da: ein tiefer kehliger Laut... Ich halte die Luft an. Mein Puls rast. "Was war das?", fragt Andrea. Sie liegt einen halben Meter entfernt in ihrem Zelt. "Vielleicht ein brunftiger Hirsch?", flüstere ich. Ich sehe nichts. Aber meine Ohren hören jedes Geräusch des nächtlichen Waldes, als würde ein Verstärker neben mir stehen. Unruhig wälze ich mich hin und her. An Schlaf ist nicht zu denken.

Andrea und ich mussten mal raus. Nach Babyzeit und Wiedereinstieg in den Job suchten wir eine sportliche Herausforderung. Zufällig fiel mir ein Buch über Trailrunning in die Hände, und ich war begeistert von den Bildern: Läufer in den Bergen, am Strand, auf schmalen Waldwegen. Dazu pralle Sonne, Regen, Schlamm. Manche Sportler sahen fix und fertig aus, andere strahlten. Die Fotos wirkten so lebendig und intensiv, so viel interessanter als meine Standardlaufrunde in der Stadt, dass ich das auch machen wollte. Meine Freundin Andrea war sofort dabei. Wir stürzten uns in ein Abenteuer und waren danach um einige Erkenntnisse schlauer.

Erkenntnis 1: Euphorie hilft

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Wir hätten es wissen müssen: Bereits beim ersten Anstieg bringt uns das Bergauflaufen an unsere Grenze. Dabei sind wir nicht mal in den Alpen, sondern im Mittelgebirge. Der Plan: Wir laufen auf dem Hexenstieg, einem bekannten Wanderweg, der quer durch den Harz führt. Der Hexenstieg ist gut beschildert, wir können uns leicht orientieren. Das Teilstück, das wir ausgewählt haben, ist mit insgesamt 600 Höhenmetern vergleichsweise harmlos. Den Brocken, den höchsten Berg im Harz, umgehen wir. Wir wollen eine komplette Marathondistanz laufen, abseits von Asphalt, nur im Grünen. Dafür nehmen wir 24 Stunden Auszeit. Ohne Kinder, ohne Männer, nur wir beide. Die Nacht verbringen wir im Zelt.

So weit, so gut. Dumm nur, dass der Weg schon so bald nach dem Start steil nach oben führt. Steine und Wurzeln machen ihn noch schwieriger. Kurzzeitig verlässt mich der Mut: Was, wenn wir vorzeitig abbrechen müssen, weil wir die 42 Kilometer nicht schaffen? Wenn wir uns quälen, statt die Zeit zu genießen?

Andrea teilt sich ihre Kraft bei dieser schwierigen Etappe gut ein, sie geht zwischendurch immer wieder ein paar Schritte. Mich hat der Ehrgeiz gepackt. Ich jage meinen Puls nach oben, auch wenn das natürlich total unvernünftig ist. Der Kopf hat jetzt Pause. Ich spüre die Kraft in meinem Körper und laufe. Hier ist niemand, der etwas von mir will. Ich fühle mich frei und lebendig und muss mich richtig zwingen, auf die Steine und Wurzeln zu achten. Mein Puls ist am Anschlag, trotzdem fällt mir das Laufen auf einmal leicht. Eine Welle aus Euphorie und Begeisterung spült mich nach oben.

Erkenntnis 2: Kinderstühle meiden!

Dabei hatten wir noch vor wenigen Wochen keine Lust mehr auf die Harz-Aktion, wollten das Ganze nur noch schnell hinter uns bringen. Das Training nervte. Vier Mal pro Woche Laufen neben Job und Familie - uns fehlte die Zeit, um Freunde zu treffen oder abends mit einem Glas Wein auf dem Balkon zu sitzen. Zumal wir auch noch unfreiwillig in die Verlängerung gingen: Andrea war barfuß gegen den Kinderstuhl ihrer Tochter gestoßen und hatte sich dabei den kleinen Zeh gebrochen. Die Folge: Vier Wochen Laufverbot, Enttäuschung, Wut. Andrea fing mit dem Training wieder fast bei null an.

Erkenntnis 3: Spaziergänger können ganz schön schnell sein

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"Wenn Sie langsam laufen, schaffen Sie das", hatte uns Markus de Mareés von der Sporthochschule Köln gesagt, als wir ihn vorab um Rat gefragt hatten. Daran halten wir uns bis auf die Ausnahme beim ersten Anstieg. So kommen wir ziemlich entspannt durch den Harz. Das einzig Quälende ist eine Blase an Andreas Fuß, mit der sie aber tapfer weiterläuft. Allerdings verfolgt uns bei einem Durchschnittstempo von fünf Kilometern pro Stunde die berechtigte Angst, beim Laufen von Spaziergängern überholt zu werden. Ich drehe mich ein paarmal unauffällig nach schnell ausschreitenden Rentnern um, aber die Schmach bleibt uns zum Glück erspart.

Erkenntnis 4: Wir sind Heldinnen

Wenn man mit einem sieben Kilo schweren Rucksack mit Zelt, Schlafsack und Isomatte durch den Harz joggt, schindet man selbst im Schneckentempo Eindruck. "Marathon de Sables?", ruft uns ein entgegenkommender Spaziergänger mit Blick auf unser Gepäck zu. Wir grinsen, von solchen Extremen sind wir zum Glück weit entfernt.

Der Marathon de Sables ist ein Ultramarathon. Die Teilnehmer tragen beim Laufen ihre Ausrüstung selbst. Das war es aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Die Extremsportler laufen 230 Kilometer durch die Sahara, wir nur 42 Kilometer durch den wohltemperierten Harz. Angeblich joggen sie im Sommer im Schneeanzug, um sich an die Anstrengung in der Hitze zu gewöhnen. Uns war es peinlich genug, im Training mit vollem Rucksack durch die Stadt zu laufen - in Laufklamotten, wohlgemerkt, nicht im Schneeanzug.

Erkenntnis 5: Gartenzwerge und Dauercamper sind nicht zu verachten

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Damit hatten wir nicht gerechnet: Die größte Herausforderung des Harz-Wochenendes ist die Nacht im Zelt. Dabei beginnt der Abend äußerst angenehm: Die erste Hälfte der Strecke ist geschafft, und wir liegen satt und zufrieden vor unseren Zelten mit Blick in den klaren Himmel. Unsere beiden Einpersonenzelte stehen direkt am Waldrand, im Garten eines Wanderheims. Wir wollten unter Bäumen in der Natur schlafen und nicht auf einem Campingplatz.

Keine gute Idee, wie sich herausstellt. Kaum schließe ich die Augen, geht die Fantasie mit mir durch. Bei jedem Geräusch halte ich ängstlich die Luft an - und es gibt viele Geräusche nachts im Wald. Dabei hatten wir bei der Planung alles Mögliche berücksichtigt, um die Nacht so angenehm wie möglich zu verbringen. Sogar ein Kissen haben wir auf Anraten von Sportwissenschaftler Markus de Mareés eingepackt. "Sie müssen sich in der Nacht erholen, das ist wichtig, wenn Sie am nächsten Tag Leistung bringen wollen", hatte er gesagt. Das Kissen ist bequem, schützt aber nicht vor irrationalen Angstattacken. Mit Dauercampern und Gartenzwergen hätte ich mich sicherer gefühlt.

Erkenntnis 6: Nichts geht über Moos

Am nächsten Tag entschädigt uns ein traumhafter Liegeplatz für die unheimliche Nacht. Als wir drei Viertel der Strecke hinter uns haben, gönnen wir uns eine ausgiebige Pause. Wir liegen im weichen, von der Sonne aufgewärmten Moos und essen Brötchen und Schokolade. Ich schließe die Augen, genieße die Sonne auf der Haut und den erdigen Geruch in der Nase. Diesen Platz würde ich nicht gegen einen Liegestuhl im schönsten Wellnesshotel der Welt tauschen.

Erkenntnis 7: Ein Stuhl, ein Tisch, ein Bett - auch sehr schön!

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Der Garten des kleinen Waldrestaurants ist voll besetzt. Unsere Familien haben dort gewartet und laufen uns jetzt jubelnd entgegen. Die anderen Gäste drehen sich um. Wir haben es geschafft und sind so stolz. Mein zweijähriger Sohn wirft einen kritischen Blick auf das GPS-Gerät, als wollte er die gelaufenen Kilometer kontrollieren. Ich freue mich riesig, in wiederzusehen. So schön und intensiv die 24 Stunden Auszeit waren - es tut gut, wieder in der Zivilisation zu sein. Das Weglaufen war genau richtig, aber auch, weil wir einen Ort hatten, wo wir nun wieder ankommen. Der fühlt sich jetzt übrigens viel besser an.

Ich packe meine Sachen...

  • Trailrunning-Schuhe, 2 Laufhosen, 2 Laufshirts, 1 Windjacke, 2 Paar Laufsocken, 1 dünnes Cap als Sonnenschutz, 1 warme Mütze für abends, Laufrucksack (z. B. von Salomon oder Raid Light), lange Skiunterwäsche für nachts (z. B. von Fuse)
  • GPS-Gerät (z. B. von Garmin) und Karte, Pulsuhr (z. B. von Polar), Stirnlampe (z. B. von Petzl), Erste-Hilfe-Set inkl. Rettungsdecke und Blasenpflaster (z. B. von High Peak), Schlafsack und Zelt (z. B. von Marmot), Isomatte und Kissen (z. B. von Therm-a-Rest)
  • 2 Trinkflaschen, Energieriegel, Bananen
  • Mit einer speziellen Leichtgewichts-Ausrüstung lassen sich überflüssige Kilos einsparen. Bezug z. B. über www.racelite.de

Der Sport

Beim Trailrunning geht es auf unbefestigten Wegen in den Wald und in die Berge. Dabei werden die Muskeln intensiver trainiert als in der Ebene. Zum Weiterlesen: S. Repke, D. Wischniewski: "Trail Running. Die neue Art zu laufen", Delius Klasing, 157 S., 24,90 Euro. www.trail-magazin.de

Unsere Route

Die Tour führt in zwei Etappen den Harzer Hexenstieg entlang, von Braunlage nach Torfhaus und dann von Torfhaus nach Buntenbock. Jeweils rund 21 Kilometer. Karte inklusive Guide: "KartoGuide Harzer Hexen-Stieg", Schmidt-Buch-Verlag, Karte + 47 S., 6,80 Euro. Infos und GPS-Daten: www.harzer-hexen-stieg.de

Restaurants und Hotels

IN BUNTENBOCK

Essen: "Polsterberger Hubhaus", Polsterberg 1, Clausthal-Zellerfeld, www.polsterberger-hubhaus.harz.de

Schlafen: "Landhaus Kemper", An der Trift 19, Clausthal-Zellerfeld, www.landhaus-kemper.de

IN TORFHAUS

Essen: "Bavaria Alm", Torfhaus 38 a, Torfhaus, www.bavariaalm.de

Schlafen: "Wanderheim Torfhaus", Goetheweg 18 (über Harzclub e. V., www.harzklub.de). Voraussichtlich ab Frühjahr 2013: "Harzresort Torfhaus", Vier-Sterne-Ferienanlage, www.torfhaus-harzresort.de

Sie wollen auch? Das Trailrunning-Training

Mit der richtigen Vorbereitung bekommen Sie das hin! Experte Markus De Marées von der Sporthochschule Köln hat ein Programm erarbeitet, das Sie optimal auf längere Laufeinheiten an zwei hintereinanderliegenden Tagen vorbereitet.

Voraussetzung: Die Trailrunning-Aktion ist nicht für Einsteiger geeignet. Sie brauchen Lauferfahrung. Konkret sollten Sie zehn Kilometer problemlos unter einer Stunde laufen können. Es wäre gut, wenn Sie schon mal einen Halbmarathon gelaufen sind und wissen, wie sich das anfühlt. Dann fehlt nur noch das Okay vom Arzt und Sie können mit dem Training loslegen.

Ideal sind als Vorbereitung sechs Monate intensives Training. Wer im Frühjahr loslegt, ist im Herbst startklar. Noch besser: Bleiben Sie im Winter aktiv. Für Lauf-Motivation sorgen kleinere Wettbewerbe in der kalten Jahreszeit (im Internet unter dem Stichwort "Winterlaufserie").

Die sechs Monate vor dem Lauf: Während der Woche zwei- bis dreimal mindestens 30 Minuten Lauftraining. Ideal: eine kurze, intensivere Einheit kombiniert mit ein bis zwei längeren Läufen. Dazu kommt ein längerer Lauf am Wochenende, diesen in den letzten sechs Wochen aufbauen bis hin zur Halbmarathon-Distanz von 21 Kilometern. Zusätzlich zweimal pro Woche Bauch- und Rückentraining (geeignete Programme unter www.brigitte.de/bauchtraining und www.brigitte.de/rueckentraining). Regelmäßig, am besten einmal pro Woche, mit gefülltem Rucksack laufen - am besten mit der Ausrüstung, die Sie auch beim großen Lauf dabei haben werden. Wer in Bergnähe wohnt, plant einmal pro Woche einen Berglauf. Alternativ bereiten auch Laufeinheiten im Treppenhaus oder auf dem Stepper auf die Steigungen vor. Mindestens einmal sollten aber auch Flachlandbewohner in den Bergen gelaufen sein. Wichtig: Schuhe und Bekleidung für den Lauf bereits im Training tragen.

Die letzten sechs Wochen vor dem Lauf: Jetzt heißt es, gezielt auf die entscheidenden Tage hinzutrainieren. Hier können Sie einen Trainingsplan für die letzten sechs Wochen vor dem Start im PDF-Format herunterladen - kostenlos: Zum Trainingsplan.

Fotos: Frederik Röh Text: Monika Herbst Ein Artikel aus BRIGITTE Balance Heft 5/2012

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