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Macht es glücklich, schlank zu sein?

Macht es glücklich, schlank zu sein?
© Arman Zhenikeyev/Corbis
Eine gute Figur allein macht nicht glücklich. Aber warum wollen dann trotzdem alle schlank sein? Wir sollten endlich aufhören, uns zu belügen.

Neulich hatte meine Freundin K. einen echt schlechten Tag. Es ging schon morgens um sieben Uhr los, als sie entscheiden musste, ob sie frühstückt oder nüchtern zur Arbeit fährt, weil sie am Abend vorher mit mir in unserem Lieblingsrestaurant versackt war. Sie wählte Option 2, als Wiedergutmachung. Vormittags gab dann eine Kollegin Schokokuchen aus. Meine Freundin aß aus Höflichkeit ein halbes Stück und fühlte sich danach schlecht, weil sie das selbst auferlegte Fasten nicht mal drei Stunden durchgehalten hatte.

Zum Mittagessen bestellte sie zur Strafe gedünstetes Gemüse mit Kräuterquark - schmeckte zwar nicht, war aber prima für die Kalorienbilanz. Nachmittags auf dem Weg nach Hause packte sie eine Heißhungerattacke, noch im S-Bahn-Kiosk riss sie ein Snickers aus der Packung und schlang es gierig runter, was die Amygdala in ihrem Gehirn sofort Alarm schlagen ließ: Hilfe, böse Kohlenhydrate! Also schleppte sie sich abends noch ins Fitnessstudio, fertigte ihren Körper anschließend mit einem faden Eiweißshake ab und ignorierte sein wütendes Knurren, bis sie schließlich erschöpft einschlief.

Haben Sie sich auch schon mal über eine Magen-Darm-Grippe gefreut?

Hört sich leicht gestört an, finden Sie nicht auch? Vielleicht kommt es Ihnen trotzdem irgendwie bekannt vor. Wissen Sie auch, wie viele Kalorien ein Croissant hat (250)? Und haben sich schon mal insgeheim über eine Magen-Darm-Grippe gefreut, weil man dabei so schön abnimmt? Willkommen im Klub!

93 Prozent der Frauen beschäftigen sich laut einer Studie der Universität Wisconsin täglich mit ihrer Figur. Mehr Frauen als je zuvor machen Diät, noch nie trainierten so viele in Fitnessstudios, und laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gewis würden fast drei Viertel der Frauen zehn Punkte ihres IQs opfern, wenn sie damit einen Schönheitsmakel ausgleichen könnten.

Es gibt Websites zu "Thinspiration", auf denen man Ideen findet, wie man dünner wird, und Foren für Jugendliche, die Tricks austauschen, damit ihre Eltern nicht merken, dass sie magersüchtig sind. In Amerika gibt es sogar einen eigenen Begriff für die kleinen negativen Bemerkungen, die zeigen, wie sehr uns unser Körper beschäftigt: Fat Talk. Er hat sich unbemerkt in unsere Gespräche geschlichen, aber auch in Filme, Bücher, Zeitschriften. "Fat Talk ist ein herabsetzender Umgang mit dem Körper und dem Essen", sagt Alexandra F. Corning, Psychologieprofessorin an der University of Notre Dame, Indiana. "Frauen bestätigen sich damit gegenseitig, dass es okay ist, den eigenen Körper zu hassen."

Das Paradoxe daran: Es hat gar nichts damit zu tun, wie dick oder dünn wir tatsächlich sind, sondern nur damit, wie wir uns sehen. Betroffen sind nahezu alle Frauen. Die Dünnen, weil sie neidische Blicke und Sprüche aushalten müssen - und die Dicken alle Häme dieser Welt. Aber auch die Normalgewichtigen, deren Pfunde unsichtbar sind, weil sie nur mit reichlich Sport und noch mehr Selbstdisziplin in Form bleiben.

Heute gehe ich joggen, statt Torte zu essen. Es ist ein ständiger Verzicht.

Man mag es doof finden, in einer Welt zu leben, in der es wichtiger ist, in eine enge Jeans zu passen, als abends lecker mit Freunden zu essen. Tue ich auch. Aber es ist doch so: Die meisten von uns machen mit beim täglichen Schlankheitswettbewerb. Warum? "Weil alle es tun und wir dazugehören wollen", sagt die Soziologin Waltraud Posch. "Die wenigsten Menschen wollen Models imitieren. Die meisten wollen dabei sein beim allgemeinen Körpertrend, den Anschluss nicht verpassen und sich durch ein geschöntes Aussehen möglichst viele Optionen offen halten."

Zur Recherche für diesen Artikel habe ich mit vielen Frauen über das Thema "Schlanksein und Zufriedenheit" gesprochen, mit Dicken, Dünnen, mit Frauen ohne Taille und Frauen mit Fettschürzen (das ist die Haut am Bauch, die nach dem Abnehmen übrig bleibt - ein sehr beliebtes Thema beim Fat Talk). Die Bilanz: Alle von ihnen denken regelmäßig über ihre Figur nach und achten darauf, was sie essen.

"Ich glaube keiner Frau, dass sie sich wirklich wohl fühlt, wenn sie dick ist. Das redet man sich ein", sagt eine Freundin, die gerade 15 Kilo abgenommen hat. Eine andere meint: "Meine Ausstrahlung und mein Selbstbewusstsein sind besser, seit ich abgenommen habe. Trotzdem frage ich mich ständig: Geht da nicht noch mehr? Im Vergleich zu anderen fühle ich mich immer noch dick. Der Druck, weiter abzunehmen, ist ständig da. Schlank sein macht also vielleicht glücklich, ist aber auch viel Arbeit und ein ständiger Kampf gegen mich selbst."

Eine Kollegin, die sich im vergangenen Jahr zwölf Kilo runtergehungert hat, sagt: "Heute gehe ich joggen, statt Torte zu essen. Es ist ein ständiger Verzicht. Glücklich macht mich das nicht. Ob ich allerdings meinen Freund kennen gelernt hätte mit zehn Kilo mehr auf den Hüften und einem mickrigen Selbstbewusstsein? Keine Ahnung."

Es ist vor allem dieser Widerspruch in uns, der dem Schlankheitsterror so viel Raum gibt. Einerseits hassen wir das permanent schlechte Gewissen und die mühsame Selbstdisziplin. Andererseits lieben wir den Blick in den Spiegel, wenn wir gerade mit unserer Figur zufrieden sind. Einerseits sind wir Feministinnen: Wir kämpfen gemeinsam dafür, dass Frauen den gleichen Lohn bekommen wie Männer und die gleichen Chancen auf eine Führungsposition. Aber gute Feministinnen machen keine Diät - und andere nicht fertig, nur weil sie ein paar Kilo zu viel mit sich herumtragen.

Wir wollen nicht auf unser Äußeres reduziert werden und ärgern uns, dass Frauen oft noch immer eher nach ihrem Aussehen als nach der Leistung ihres Gehirns beurteilt werden. Andererseits schminken wir uns, tragen nette Kleidung und freuen uns über Komplimente - was wir aber öffentlich natürlich nie zugeben würden, weil es nicht zu dem Bild passt, das wir selbst von uns haben wollen.

Kognitive Dissonanz nennen das übrigens die Fachleute: Wir haben zu einem Thema verschiedene Emotionen, die nicht miteinander vereinbar sind. Warum geben wir nicht einfach zu, dass es sich gut anfühlt, wenn der Körper fest und straff ist? Und ja, ich sage das jetzt mal so offen, auch wenn es politisch nicht korrekt und oberflächlich ist: dass Schlanksein tatsächlich glücklich macht?

Wenn mir eine gute Figur wichtig ist - was bin ich bereit dafür aufzugeben?

Vielleicht ist Aufrichtigkeit der erste Schritt. Mir ist eine schlanke, muskulöse Figur wichtig. Sie zeigt: Ich achte auf mich. Und ich bin froh, in einer Zeit zu leben, in der es so viele Möglichkeiten gibt wie nie zuvor, meinen Körper in Form zu bringen: Fitnessstudios an jeder Ecke und für jeden Typ, Personal Trainer, die man per Skype überall auf der Welt zuschalten kann, Fitness-Apps und -Ratgeber ohne Ende. Noch nie ist es so einfach gewesen, sich zu bewegen und gesund zu ernähren. Trotzdem bekommen es viele nicht hin.

Vielleicht bedeutet es ihnen einfach nicht genug. Und das ist auch vollkommen okay, sofern man es sich ehrlich eingesteht. Die entscheidende Frage ist doch: Wenn mir eine gute Figur wichtig ist - was bin ich bereit, dafür aufzugeben und zu investieren? Esse ich morgens gern ein Franzbrötchen und gehe dafür vorher 30 Minuten joggen? Oder arrangiere ich mich eben mit der kleinen Rolle, die sich deshalb vielleicht an meiner Taille breitmacht?

Mich nerven Freunde und Kollegen, die mir vorjammern, dass sie keine Zeit haben, so oft Sport zu treiben wie ich, und im gleichen Atemzug sagen, dass ihre Waage wieder ein paar Kilo mehr anzeigt. Ich denke dann: Setz deine Prioritäten doch anders. Ich habe auch zwei Kinder und einen Job, trotzdem schaffe ich es zweimal pro Woche ins Fitnessstudio und zweimal zum Laufen in den Wald. Sport ist für mich wie Zähneputzen: ganz selbstverständlich in meinen Wochenablauf integriert und keine Selbstkasteiung oder Genussfeindlichkeit, sondern Spaß und ein Bedürfnis.

Klar, das erfordert Disziplin. Manchmal auch Geld, wenn ich mir einen Babysitter holen muss. Und eine Haltung: Will ich wirklich eine schlanke Figur, mit allen (manchmal unbequemen) Konsequenzen, oder lieber eine Figur mit kleinen Makeln und viel Genuss? Ich habe mich schon vor langer Zeit für Ersteres entschieden. Und finde: Es lohnt sich, denn ich esse Schokolade und Kuchen, wenn ich Lust drauf habe, und fühle mich wohl in meinem Körper. Der übrigens auch mal zwei Kilo zu viel draufhat, wenn der Urlaub schön war.

Text: Daniela Stohn Ein Artikel aus BRIGITTE 25/2014

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