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Klappt das, Ballett lernen als Erwachsene?

Klappt das, Ballett lernen als Erwachsene?
© Artur Didyk / Shutterstock
Mädchen, das wird nix, sagte die Ballett-Lehrerin vor 20 Jahren zu Merle Wuttke. Der Spann zu flach, die Beine zu kurz. Jetzt hat unsere Autorin es als Erwachsene noch mal ausprobiert und festgestellt, dass Kleinmädchenträume ein Leben lang dauern können.

Gerade. Alles muss ganz gerade sein. Rücken, Beine, Arme. Der Kopf? Hoch damit! Und bitte schön locker aussehen dabei. Das hier ist nämlich Ballett und kein Kindergeburtstag.

Ich fange jedenfalls bereits an zu schwitzen, obwohl ich erst seit fünf Minuten an der Stange stehe. Neben mir wacht Nina Stuwe, die Ballettlehrerin, groß und grazil, im schwarzen Body und schwingenden Ballettrock. Ich, mit Sechsmonatsbauch und - ob schwanger oder nicht - immer zu kräftigen Oberschenkeln neigend, brauche neben ihr gar nicht erst zu versuchen, mich federleicht und zart zu fühlen. Aber darum geht es ja schließlich heute Abend auch nicht. Sondern um den Sport, den Tanz und die Frage: Kann man, wenn man das Alter von sechs Jahren überschritten hat, noch Ballett lernen?

Als Kind habe ich zwar schon Ballett getanzt, aber nur bis zum zehnten Lebensjahr. Dann gab mir die Lehrerin zu verstehen: Mit dem Spann und den Beinen - Mädchen, das wird nix. Also stieg ich aufs Pferd um. Trotzdem: Die Faszination für die Biegsamkeit des Körpers, das Überwinden der Schwerkraft, die Eleganz dieses Sports, all das blieb auch die letzten 20 Jahre in mir.

Der Unterricht der Hamburger Ballettschule Circle of Movements findet in einem kleinen Rahmen statt, heute sind wir nur zu dritt, Mona, Jutta und ich. Zwei andere Anfängerinnen haben abgesagt. Umso besser, dann blamiere ich mich nicht vor großem Publikum. Mit 51 Jahren ist Jutta die Älteste. Auch sie erfüllt sich mit dem Ballettunterricht einen alten Mädchentraum.

Wir fangen mit den"Exercises" an. So nennt man die Aufwärmübungen an der Stange. Es geht vor allem um die Beugung und Streckung der Beine und der Fußgelenke. Wir stehen seitlich zur Stange und üben aus den unterschiedlichen Fußpositionen heraus. Von der ersten in die zweite, von der vierten in die dritte. Dann geht es in die Knie, in die so genannten "Pliés". Während wir uns bemühen, die Beine möglichst weit seitlich zu beugen, korrigiert Nina unsere Haltung. Vor jeder nächsten Übung zeigt sie uns kurz die Abfolge der Schritte, die wir dann zu klassischer Musik und mit einem Bruchteil ihrer Eleganz nachmachen. Also, die anderen machen nach. Ich versuche zumindest Beine und Füße richtig zu halten und den Rücken zu strecken. Meine Arme angeln derweil in der Luft nach imaginären Kirschen.

"Kein Hohlkreuz. Mona, nicht so schnell." Der Ton im Kurs ist ruhig und streng. Er sagt: "Ballett ist eine ernste Sache. Konzentrier dich." Ein bisschen fühle ich mich wie mit sechs Jahren, als ich zum ersten Mal das Ballettstudio Weidenfels besuchte und mir eine alte Dame namens Frau Klemka die Grundlagen sportlicher Disziplin zu vermitteln versuchte. Als unschuldige Erstklässlerin war mir bis zu diesem Zeitpunkt nicht klar, dass alte Damen mit grau melierten Haaren furchterregender sein können als fremde Männer, die einen auf der Straße ansprechen.

Aber ich verzweifelte damals nicht nur an Frau Klemkas Ton, sondern vor allem an der Konzentration, die diese Art der Bewegung fordert. Heute Abend macht es jedoch richtig Spaß, wachsam zu bleiben. Auch nach einem anstrengenden Tag mit Job und Kind. Ballett als Freizeitsport ist eben anders als Bauch-Beine-Po. Beim Schwimmen, Laufen oder bei Gymnastik leert sich mein Kopf, ich entspanne, weil ich an nichts denken muss, weil mein Körper automatisch auf gelernte Abläufe reagiert. Jetzt ist der Kopf voll, ich muss ganz genau hinschauen und zuhören, und trotzdem fühle ich mich befreit vom Alltagsstress. Und darüber hinaus ein wenig königlich.

Ich hatte ganz vergessen, wie allein eine gerade Haltung, ein durchgestreckter Rücken und hoch erhobener Kopf die Selbstwahrnehmung verändern.

Ich fühle mich elegant, graziös, würdevoll. Auch wenn der Blick in den Spiegel offenbart, dass es noch lange dauern wird, bis ich auch so würdevoll aussehe, wie es sich anfühlt. Denn eins steht fest: So geschmiert wie als Kind arbeiten meine Gelenke schon lange nicht mehr. Ich spüre, wie sie unter den ungewohnten Positionen ächzen und stöhnen. Mein Rücken möchte lieber krumm bleiben, statt sich gerade zu machen, und die Knie lassen sich nicht ganz durchstrecken, wie sehr ich mich auch bemühe. Egal. Es ist trotzdem schön, die eigene Biegsamkeit zu trainieren. Besonders, wenn man weiß: Das wird wieder. Es braucht nur ein wenig Zeit und Übung. Und es gibt einen großen Unterschied zu früher: Diesmal tue ich es für mich und nicht für Frau Klemka. Bei den "Jetés", das sind Übungen bei denen man versucht, die Beine gespannt über dem Boden zu halten, schwöre ich mir jedenfalls, dieses Gefühl in meinen Alltag hinüberzuretten. In Zukunft werde ich auf dem Weg zur Kantine nicht einfach gehen, nein, ich werde schreiten wie eine Königin. Irgendwie war es mir doch schon immer klar: So sehr Ballett auch ein Kleinmädchentraum sein mag - es ist ein sehr erwachsener Sport.

Wo kann man lostanzen?

Bundesweit bieten Ballettschulen, Fitness-Studios oder ganz normale Sportvereine Kurse für Erwachsene an. Bei den Studiokursen handelt es sich nicht immer um rein klassischen Tanz, manchmal übernehmen die Trainer in den Kursen nur Elemente und integrieren sie in das Workout. Das heißt dann "A.E.R.o.- Ballet" oder "Ballett-Workout". An den Tanz- oder Ballettschulen dagegen wird klassisches Ballett unterrichtet. Leider gibt es keinen Dachverband, der über bundesweite Adressen informiert. Da viele Schulen aber über eine eigene Website verfügen, lohnt ein Blick ins Internet, um sich einen Überblick zu verschaffen.

Was bringt's für den Körper?

Beim Ballett trainiert man den ganzen Körper, und das besonders schonend. Fast alle Muskelpartien kommen zum Einsatz, besonders die Bauch- und Rückenmuskulatur, was wiederum die Wirbelsäule festigt und die Körperspannung erhöht. Durch die Schrittkombinationen stärkt man außerdem die Konzentration, tut also etwas für den Kopf. Gerade für Ältere ist Ballett ein idealer Sport, um den Muskelabbau zu stoppen und sich wieder in Balance zu bringen.

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Fallback-Bild
Text: Merle Wuttke Ein Artikel aus BRIGITTE BALANCE

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