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Kann ich Bewegung lieben lernen?

Die einen gehen gern dreimal die Woche zum Sport, die anderen quälen sich schon beim Gedanken daran. Ist die Lust an Bewegung etwa typabhängig? Nein! Da lässt sich was machen!

Einen Monat lang kein Sport! Katastrophe! Ich bin ein absoluter Bewegungsmensch, und dann das: vier Wochen Zwangspause nach einem harmlosen Eingriff im Krankenhaus.

Doch nur einen Tag lang fand ich es wirklich schrecklich, dann gewöhnte ich mich langsam daran. Mal ehrlich, es gibt Schöneres als Waldlauf oder Bauch-Beine-Po-Hopsen. So wurden aus vier Wochen Pause plötzlich fünf, dann sechs. Der innere Tenor, der mich sonst immer so lautstark antrieb, verkümmerte mit einem Mal zu einem dünnen Stimmchen. Ich hatte irgendwie verlernt, den Sport zu lieben. Oder hatte ich sogar schon vergessen, sportlich zu sein? Ganz gewiss nicht. Sport verlernt man nicht so schnell. "In sechs Wochen passiert das garantiert nicht", erklärt Prof. Petra Platen vom Institut für Sportmedizin der Ruhruniversität. Unser Gehirn speichert Bewegungen, die wir beständig wiederholen, als neuronales Muster ab. Beispiel Joggen: Fuß aufsetzen, abrollen, im richtigen Rhythmus ein- und ausatmen - daran erinnert sich der Organismus noch ewig. Ob man Lust dazu hat, steht auf einem anderen Blatt.

Sport strengt an, das weiß auch unser Körper: Genetisch betrachtet liegt die Schinderei uns deshalb nicht besonders. "Bei 98 Prozent der Menschen bleibt der innere Schweinehund auf der Couch liegen", sagt Gabi Ingrassia, Diplom-Psychologin und Sportcoach aus München. Dazu kommt ein fataler Psycho-Effekt: Gerade weil ich so lange nicht gelaufen war, hatte ich plötzlich massiven Respekt davor. Eine halbe Stunde durchjoggen?! Bestimmt würde ich nach zehn Minuten zusammenbrechen. Also lieber gar nicht erst anfangen. Ein Phänomen, das viele Beinahe- und Ex-Sportlerinnen und -Sportler befällt. Immerhin 60 bis 80 Prozent der Deutschen wären gern aktiver. Und bis zu 50 Prozent aller Neumitglieder in Fitnessclubs entpuppen sich nach einem halben Jahr als Karteileichen. Wer sich dauerhaft bewegen will, braucht nämlich vor allem einen guten Grund. Motivationspsychologin Maja Storch von der Universität Zürich rät deshalb dazu, zunächst zu analysieren, wieso man Sport machen will. Steht die Gesundheit im Vordergrund oder die Abwechslung vom Büroalltag? Mein Motiv lieferte nach sechs Wochen die Anzeige der Waage: drei Kilo mehr!

Dann also los! Und zwar sofort! Nichts verhindert künftige Sportlerkarrieren effizienter, als das Vorhaben ständig auf die lange Bank zu schieben. "Wenn Sie mit Sport anfangen wollen, tun Sie es gleich, nicht erst nächsten Monat", rät Gabi Ingrassia. Also stellte ich mir schon am Vorabend die Laufschuhe direkt an mein Bett, programmierte meinen Wecker eine halbe Stunde früher und stapfte am nächsten Morgen total verschlafen los.

Was soll ich sagen: Es hat Spaß gemacht. Locker und flockig lief ich durch den Wald, schaffte mühelos eine halbe Stunde, trieb mich vor lauter Euphorie zur persönlichen Bestleistung und sprintete die letzten paar hundert Meter elastisch nach Hause.

Aber dann am nächsten Morgen: Muskelkater, Frust, ein überwältigendes "Nie wieder!"-Gefühl. Sportpsychologen kennen dieses Phänomen. "Die meisten Menschen übernehmen sich total, wollen zu viel auf einmal", erklärt Coach Ingrassia. Besonders schlimm treiben es dabei so genannte Weekend-Warriors: Beim Versuch, das Versäumte auf einen Schlag nachzuholen, rasen die Wochenendkrieger wie bekloppt durch den Wald, können sich montags nicht mehr rühren und lassen die Joggingschuhe künftig stehen. Dabei schadet seltene exzessive Körperertüchtigung sogar: Einmal-Hochleistungssportler schneiden in der Sterblichkeitsstatistik deutlich schlechter ab als Menschen, die sich moderat, aber häufig bewegen.

Sportfans in spe sollten also vor allem realistisch bleiben. Die meisten Menschen müssen - so die Experten - eine "Desensibilisierungsphase" durchlaufen. Will heißen: ganz klein beginnen und sich dann allmählich steigern. "Am besten funktioniert das mit einem Plan", erklärt Ingrassia. Und der könnte so aussehen: montags, mittwochs, samstags zehn Minuten so joggen, dass ich mich noch locker unterhalten kann. Die Woche darauf: das Pensum um fünf Minuten steigern - immer nur so viel, dass der Körper die Komfortzone höchstens minimal verlässt. Wenn das gelingt, passiert etwas Erstaunliches: Nicht nur die Furcht vor dem Versagen schwindet, die Psyche wird generell gestärkt durch die wundervolle Erfahrung, Hürden überwinden zu können. Und verlangt nach mehr. Irgendwann schaltet der Organismus dann auf Automatik um. "Nach drei bis etwa sechs Monaten hat sich der Körper daran gewöhnt, Sport zu treiben", erklärt Ingrassia. Nur dann, wenn wir pausieren - im Winter zum Beispiel oder nach einer Krankheit -, kommt diese Routine zum Erliegen. "Die allermeisten Menschen bleiben ansonsten dabei", erklärt die Sportpsychologin.
 

Vorausgesetzt, sie haben den Sport gefunden, der zu ihnen passt. Hier lohnt sich, in der Vergangenheit zu kramen. Was hat einem als Kind Spaß gemacht? Welche Sportarten sorgten für Horroranfälle? In meinem Gedächtnis schlummern zum Beispiel noch Erinnerungen an ewige Fahrradtouren im bayerischen Voralpenland mit meinen Eltern und mies gelaunten Geschwistern. "Nie wieder!", schwor ich mir damals. Joggen hingegen hat in meinem Gemüt noch nicht solche Kerben hinterlassen. Damit kann ich eigene Erfahrungen machen. Zum Beispiel die, dass es Spaß macht.

Der Spaßfaktor ist für Sportneulinge ohnehin das Wichtigste. "Wer nach drei, vier Trainingsrunden merkt, dass er mit dieser Art der Bewegung nichts anfangen kann, sollte sich lieber etwas anderes suchen", rät Ingrassia. Denn Sport ist auch Typsache. Für die Frischluftfanatikerin ist es sicher nichts, in der Halle Bälle zu werfen. Genauso wenig wie Qi-Gong für das Energiepaket. Auch Talent und Vererbung spielen eine Rolle. Egal, wie viel und gut wir trainieren - nicht jeder kann in allen Sportarten reüssieren.

Teilweise liegt das daran, welche Muskelzellen im Organismus vorherrschen. Die der schnelleren Art lassen Menschen prima sprinten. Die langsameren bringen größere Ausdauer. Da hilft nur: ausprobieren, was gut tut. Und schön bei der Sache bleiben - und zwar bei einer. Neu- Sportlerinnen wollen häufig alles gleichzeitig: Joggen, Hanteltraining, nebenher mit Rauchen aufhören plus drei Kilo abnehmen. Das schafft niemand. Wer sich den ganzen Tag den ersehnten Schokoriegel verkneift, kann sich abends viel schlechter zur geplanten Jogging-Runde aufraffen, so eine Studie der Florida State University. Unsere Selbstkontrolle ist eben nicht unendlich. Fazit: Gute Vorsätze lassen sich in kleineren Portionen viel besser umsetzen.

Und so begann ich wieder zu laufen. Erst in kleinen Dosen, dreimal die Woche. In mittleren Etappen zweimal die Woche. Einmal auch ein ganz langer Lauf. Dann wieder etwas kürzer - je nach Laune und Zeit. Außerdem habe ich mit Pilates angefangen. Denn: "Sport bringt vor allem dann Spaß, wenn man ab und zu etwas Neues ausprobiert", sagt Expertin Ingrassia. Nur eines mache ich garantiert nie: Rad fahren.

Text: Anne-Bärbel Köhle Fotos: Werner Wallington Shirt: USA Pro BRIGITTE Heft 07/08

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