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Lindy-Hop: Tanzen für Swingfans

Tanzendes Paar
© Africa Studio / Shutterstock
In den Dreißigern wurde wild geswingt. Jetzt ist der "Lindy Hop" wieder da. Sina hat es ausprobiert - wenn gar nichts mehr ging, rettete sie sich mit "bouncen".

Lässig schwingen und von alten Zeiten träumen? Beim Lindy Hop kein Problem. Eigentlich...

"Du denkst zu viel", sagt er. Bis jetzt war mir dieses Problem höchstens beim Sex begegnet. Aber auch beim Swingtanzen scheint es essenziell wichtig zu sein, da oben auf Standby zu schalten. Ich versuche Lindy Hop zu tanzen - einen Stil aus den 30er-Jahren zu lässiger Swingmusik. Aber jetzt steht unser Lehrer Konstantin schon zum dritten Mal an diesem Workshop-Wochenende neben mir. Langsam wird's peinlich. Ich hatte mir das so einfach vorgestellt: entspannt zu lässiger Musik schwofen, von vergangenen Zeiten (und dem guten alten Robbie Williams) träumen und mich ab und zu ein bisschen herumwirbeln lassen. Was mir allerdings nicht klar war: Meine Füße sind sehr emanzipiert. Sie machen nur, was sie wollen. Ein Step zurück, ein Kick nach vorn - so die eigentlich recht simple Schrittfolge. Ich kicke aber leider hinten und steppe vorne.

"Mach dir ein Mantra!", rät der Swing-Experte. Ein Mantra? "Na, Ba - Ba - Di - Ba ... zum Beispiel." Ah ja. Ich entscheide mich für "Step - Kick - Step - Kick ...", murmele mein neues Mantra leise vor mich hin. Und: Es klappt! Endlich verhasple ich mich nicht mehr, sondern merke zum ersten Mal, was hier eigentlich läuft: ziemlich gute Musik. Ella Fitzgerald, Ray Charles und Diana-Krall-gute-Laune-Sound. Meine Stimmung steigt von Beat zu Beat. Ich swinge mich ein und denke nicht mehr an meine bedrohlich hohen Schreibtischstapel, sondern nur noch an das eine: Step - Kick - Step - Kick ... Der Typ dahinten hat's leider bislang nicht so raus. Tanzt immer knapp neben dem Takt ... Mist. Ich auch. Ganz schön schnell, dieses Stück. Wie komme ich wieder rein? Mein "Leader" kickt unverdrossen weiter. Kann ich vergessen, dass er sich hier einschaltet.

Zum Glück schaut Konstantin mal wieder vorbei und hat noch einen Tipp: Ich soll mich von der Musik nicht scheuchen, sondern einfach ziehen lassen. Darf dem Beat nicht hinterherrennen. Muss mir Zeit lassen, statt mich zu hetzen. "Swing kann nur schnell tanzen, wer ihn auch langsam tanzen kann", sagt er. Also versuche ich, meine Bewegungen ein wenig zu strecken, immer mit ganz kleiner Verzögerung auf die Schritte meines Partners zu reagieren. Erstaunlich: Je ruhiger ich werde, desto weniger komme ich aus dem Rhythmus.

Ein ziemlich gutes Entschleunigungsprogramm, dieser Lindy Hop. "Kein Stress!", rufen unsere Tanzlehrer dann auch noch in den Raum. "Lehnt euch zurück!" Swing sieht nämlich nur richtig gut aus, wenn er ganz entspannt, eben "laid back", und wie beiläufig getanzt wird. Gerade das fällt am Anfang am schwersten. Nicht nur mir. Aber mir besonders. Meine Kleidung und mein Körper bilden mittlerweile eine leicht klebrige Einheit. Wer nicht gern transpiriert, sollte sich überlegen, ob Lindy Hop der passende Tanz für ihn ist. Spätestens, wenn es auf eine der vielen Tanzpartys geht, die von Swingfans in der gesamten Republik veranstaltet werden, bleibt kein Shirt trocken. Mir tut es richtig gut, mich maximal entspannt auszupowern.

Jetzt allerdings beginnt das Pausenprogramm - "Breaks" stehen auf dem Tanzstundenplan: kleine, bewusst gesetzte Pausen sollen die Schrittfolge für Sekunden unterbrechen, den Tanz aber nicht. So die Theorie. In der Praxis ist es überraschend unmöglich, einfach mal Pause zu machen, während um einen herum alles stoisch weiterswingt. Oder fällt mir das nur so schwer, weil ich es auch im Alltag nicht hinkriege, zwischendurch mal das Tempo rauszunehmen und mir konsequent eine Auszeit zu gönnen? Stopp! Nicht so viel denken, Mantra murmeln. Tanzlehrer Konstantin nähert sich schon wieder bedrohlich. "Wenn mal gar nichts mehr geht: Einfach bouncen!", flüstert er mir im Vorbeigehen zu. Heißt: locker in den Knien federn und so den Takt wiederaufnehmen. Sieht lustig und ein bisschen ungelenk aus, macht aber wahnsinnig Spaß. Und so werde ich mich heute noch ein paarmal öfter durchbouncen. Und fast am Ende des Workshops erfahren: Lindy Hop ist kein Tanz für Perfektionisten. Sagt Konstantin und bindet sich seinen Schnürsenkel wieder zu, der sich bei der letzten wild- entspannten Drehung gelockert hat. "Und das Beste ist: Es gibt keinen falschen Schritt, es gibt nur eine neue Variation."

Ganz zum Schluss wird noch eine kleine Tanzparty simuliert: viele lindyhoppende Leute, noch mehr laute Musik, aber überhaupt kein Platz. Wir rempeln uns an und treten uns auf die Füße. Keiner hat's wirklich raus, alle bouncen wie verrückt. Es ist eng, heiß und stickig. Kurz: Wir haben extrem viel Spaß.

Ein Artikel BRIGITTE Balance Fotos: Anja Lubitz, Bettmann/CORBIS

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