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Besserwissen für Fortgeschrittene

Wenn man etwas weiß, was andere nicht wissen, kann man das für sich behalten. Viel schöner ist es aber, sein Wissen herauszuposaunen, sagt Anne Otto und begeht die Lieblingssünde: Alles besser wissen.

Meine Freundin Monika weint, sitzt bei mir im Wohnzimmer auf dem Teppich und zieht Bilanz, warum diese Beziehung mit Fred einfach nicht mehr funktioniert. Entpuppte er sich doch im Laufe des Jahres als Schaumschläger, Heißdüse - eben als Windei. Ich sollte nicken, zuhören, trösten. Tatsächlich tue ich etwas anderes. Ich haue mit der Hand auf den Tisch, dass die Rotweingläser klirren und rufe triumphierend: "Ich wusste es. Von Anfang an: Der Typ ist neunzig Prozent Fassade."

Erst Monikas Befremden dämpft meinen Enthusiasmus, lässt mich gerade noch die Kurve kriegen, wieder ernst und angemessen zu sagen: "Tut mir echt leid, dass es in die Brüche gegangen ist." Trotzdem. Die süße Euphorie bleibt, dieses angenehm angeregte Sausen in der Magengegend als hopsten dort fünfzehn Springteufel wild herum.

Und wieder einmal merke ich: Es besser zu wissen, ist einfach ein erhebendes Gefühl. Als stiller Triumph funktioniert diese auch "Klugscheißerei" genannte Charakterschwäche bei mir allerdings nicht. Ich will schlau anmerken, mit gesammeltem Halbwissen glänzen, den Fakten-Joker ziehen. Dabei fühle ich mich wie Hermine, die Musterschülerin aus den "Harry Potter"-Büchern, die wild mit dem Finger in der Luft rudert, als wollte sie sagen: Fragt mich, ich weiß es doch.

Auch wenn andere den Kopf schütteln. Mir ist es egal. Ich will sagen, was ich weiß. Trifft man mit seinem Spitzenwissen auf gutmütige Geister, hat man leichtes Spiel: Bei der erkälteten Kollegin trumpfe ich mit ultimativen Hausmitteln auf. Sitze ich mit Freunden im Auto, weiß ich garantiert einen kürzeren Weg. Und wenn das Gespräch mit Bekannten auf das Thema Reisen kommt, gebe ich Tipps und Einschätzungen, egal, ob es um Venedig oder New York geht, gleichgültig, ob ich von der Stadt nur den Flughafen gesehen habe oder sie wirklich kenne.

So richtig in Fahrt kommt die ganze Besserwisserei aber erst dann, wenn ehrgeizige Spezialisten zusammenkommen: Ob das beste Stück auf diesem Rolling-Stones-Album im Original von Chuck Berry ist oder eben doch nicht (genau, liebe Mit-Besserwisserinnen, es geht um den Song "Route 66"), darüber kann ich mich mit meinem Liebsten so in die Haare kriegen, dass ich beherzt Türen knalle, besagte Stones-Platte brüllend laut aufdrehe oder beleidigt abschalte.

Nach ein paar Minuten tumben Schmollens raufen wir uns dann vor dem Computer zusammen, immer noch voll im Besserwisser-Modus. Wahlweise er oder ich: "Nein, was gibst du das denn jetzt bei Wikipedia ein, geh lieber über Google." Wenn dann klar ist, dass wir beide Unrecht hatten, verebbt der Sturm. Ernüchtert, fast ein bisschen verkatert sagt dann einer: "Na, jetzt wissen wir es wenigstens." Eine solche Pattsituation ist nicht schön. Doch gibt es beim Wettlauf um den Wissensvorsprung einen noch sehr viel unschöneren Fall: Dass man falsch liegt - und der andere recht hat.

Halbwegs glimpflich kommt man in so einem Fall noch weg, wenn man im Vorfeld eine saubere Wette abgeschlossen hat, aus der man zwar als Verliererin hervorgeht, aber als eine sportliche. Aber wehe dem, der kein Schlupfloch offen gelassen hat und den eleganten Rückzug aus der herbeigeredeten Sackgasse nicht mehr schafft. So wie mein Großvater, von dem man sich erzählt, dass er in einer Diskussion unter Freunden beharrlich darauf bestand, dass Steine wachsen können.

Immer weiter trieb er sich selbst in Behauptungen von geologischen Gutachten und gelesenen Zeitungsartikeln hinein. Dieses Wissens-Luftschloss war ihm lieber, als einfach zuzugeben, dass er peinlichen Blödsinn geredet hatte. Aber ich habe für solche Fälle eine gute Taktik: zurücklehnen. Entspannen. Und ebenso überzeugend wie gelangweilt zurückgeben: "Sag mal, musst du eigentlich immer das letzte Wort haben?"

BRIGITTE BALANCE: 01/08 Text: Anne Otto Foto: Mauritius

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