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Warum ist Triathlon plötzlich so beliebt?

Warum ist Triathlon plötzlich so beliebt?
© Birgit Kliemke
Triathlon boomt. Warum der Dreiklang aus Laufen, Radfahren und Schwimmen so den Nerv trifft, erklärt der Triathlon-Experte Sebastian Zeller.

BRIGITTE: Wie kommt es, dass Triathlon gerade so beliebt ist?

Sebastian Zeller: Der Trend hängt mit der Individualisierung in unserer Gesellschaft zusammen. Man ist im Triathlon nicht auf feste Trainingszeiten angewiesen, wie man sie aus Mannschaftssportarten kennt, das klappt in vielen Jobs und bei der zunehmenden Arbeitsverdichtung heute oft nicht mehr. In unserer schnelllebigen Gesellschaft suchen viele Menschen außerdem nach einem Ausgleich zum Alltag, sie wollen ihre Grenzen ausloten und etwas für ihre Gesundheit tun. Triathlon ist ein perfektes Ganzkörpertraining, es kräftigt das Herz-Kreislauf-System, kurbelt den Stoffwechsel an und baut Stress ab.

Reicht es nicht, wenn ich nur laufe?

Beim Laufen trainiert man vor allem die untere Körperhälfte, die Belastung für die passiven Strukturen wie Sehnen, Bänder und Gelenke ist groß. Das schränkt die Trainingsumfänge ein. Triathleten können aufgrund der Abwechslung in den drei Disziplinen immer und vor allem länger trainieren, so kann auch mal eine Laufverletzung durch Radfahren oder Schwimmen kompensiert werden.

Triathleten haben ja den Ruf, verrückt und masochistisch zu sein: Einzelkämpfer mit Hang zur Sportsucht...

Es gibt Triathleten, die sogar bei Wind,Regen und Schmerzen verbissen trainieren. Nicht wenige übertreiben es und vernachlässigen andere Bereiche des Lebens. Die meisten Sportler, die ich kenne, motiviert aber der Spaß am Sport. Sie trainieren gern in der Natur und mit Gleichgesinnten zusammen. Eine Studie hat gezeigt, dass der typische Triathlet zwischen 30 und 50 Jahre alt ist, männlich, Akademiker und gut verdienend. Aber die Frauen sind auf dem Vormarsch, das sieht man in den Vereinen.

Sebastian Zeller
Der 28-jährige Sportwissenschaftler leitet den Triathlon-Stützpunkt an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er selbst macht seit acht Jahren Triathlon - eine Lieblingsdisziplin hat er dabei nicht.
© privat

Warum fangen viele Leute erst in der Lebensmitte mit Triathlon an?

Wenn die Kinder größer werden und man eine neue Aufgabe braucht, ist Triathlon bei Einsteigern sehr beliebt. Man kann sich austoben, es ist ein prima Ausgleich zu Familie und Job, weil es auspowert und den Kopf frei macht.

Ist es vielleicht auch eine Flucht vor dem stressigen Alltag?

Es kann natürlich auch ein Zeichen für eine Midlife-Crisis sein, nach dem Motto: Ich brauche das jetzt für mich. Es gibt sicher auch Athleten, die durch Triathlon ihre Beziehung vernachlässigt oder sogar beendet haben.

Man verbringt eben viel Zeit damit, drei Sportarten zu trainieren. Ist das nicht automatisch beziehungs- und familienfeindlich?

Die meisten Triathleten können gut einschätzen, wie viel Zeit sie in den Sport investieren sollten, um das Gleichgewicht zwischen Sport und Familie zu erhalten. Man muss sein Training eben so planen, dass es ins Leben passt, zum Beispiel frühmorgens vor der Arbeit schwimmen gehen oder in der Mittagspause laufen. Danach kommt man entspannter und besser gelaunt nach Hause, das ist ja auch ein Vorteil für den Partner oder die Kinder. Ich kenne allerdings Sportlerinnen, die sagen: Ich will keine Kinder, ich will nur meinen Job und meinen Triathlon. Und ich kenne Athleten, die sich im Sport völlig verlieren.

Woran merkt man das?

Eine Bekannte von mir hat letztes Jahr geheiratet. Drei Wochen vorher fragte ich sie, was denn die Vorbereitungen für das anstehende Event machen würden. Sie schaute mich empört an und sagte: "Du weißt doch, dass ich verletzt bin, ich kann im Moment nicht trainieren." Dabei meinte ich doch die Hochzeit! Wenn die Gedanken nur noch um den Sport, das Material und die Leistung kreisen, sollte man sich die Frage stellen, ob einem Triathlon immer noch Spaß macht und ob man nicht den Blick für das Allgemeine, für den Spaß am Sport und das übrige Leben verloren hat.

Und dann?

Wenn das so ist, gibt es nur eines: darüber sprechen, drastisch das Training reduzieren und vor allem wieder andere Dinge in den Vordergrund rücken.

Wieso ist das Suchtpotenzial gerade beim Triathlon so groß?

Durch die drei Sportarten kann man einen sehr hohen Trainingsumfang realisieren, weil man den Körper unterschiedlich belastet. Man geht einfach noch einmal öfter zum Schwimmen oder fährt eine längere Runde auf dem Rad. Beim Laufen geht das nicht, es ist irgendwann zu gelenkbelastend. Auch das Fachwissen spielt für viele Triathleten eine Rolle, man kann sich in Büchern und Internetforen informieren über Material, Ernährung und Trainingslehre.

Apropos Ausrüstung: Was braucht man denn eigentlich?

Nicht viel: einen Badeanzug, ein Straßenrad, Laufschuhe, Shorts und ein TShirt. Das reicht, um einen Jedermann-Triathlon zu bewältigen, und damit sollte man auch unbedingt anfangen und sich nicht gleich auf die olympische Distanz stürzen. Wenn man dann Lust auf mehr bekommt, kann es sinnvoll sein, sich ein Rennrad zu kaufen. Hier spielt vor allem die Sitzposition eine große Rolle, für Frauen gibt es spezielle Rahmen. Am besten lässt man sich beim Händler beraten. Neopren-Anzüge sollte man besser nicht im Internet bestellen, sondern vorher ausprobieren, dazu gibt es regelmäßig Testschwimmen.

Wie lange muss ich mich als Anfänger auf die Volksdistanz vorbereiten?

Das hängt davon ab, wie fit man ist. Wenn man nach einer längeren Pause wieder mit Sport beginnt, ist es wichtig, sich vorher beim Sportmediziner mit Belastungs-EKG durchchecken zu lassen und dies alle zwei Jahre zu wiederholen. Es kommt im Triathlon immer wieder zu Todesfällen, weil Menschen sich beim Training oder im Wettkampf überlasten, eventuell sogar eine Vorschädigung mitbringen, von der sie nichts wissen. Ein halbes Jahr Training zur Vorbereitung ist sinnvoll, dabei reicht es, jede Disziplin einmal pro Woche zu trainieren.

Wie trainiere ich am besten?

Am Anfang konstant im lockeren Tempo, bis man die 1,5-fache Strecke der Wettkampfdistanz schafft. Unbedingt sollte man vor dem ersten Wettkampf zur Gewöhnung im See schwimmen und den Übergang vom Radfahren zum Laufen trainieren.

Und wenn ich mehr will?

Dann ist eine professionelle Begleitung sinnvoll. Die Vereinstrainer sind gut ausgebildet, man vermeidet typische Anfängerfehler. Mit dem Schwimmen haben die meisten Einsteiger Probleme, Einzelstunden für die Technik können sinnvoll sein. Von der Volksdistanz zur olympischen Distanz sollte man noch mal mindestens ein halbes Jahr einplanen. Mein Tipp: Wählen Sie im ersten Jahr drei Jedermann-Wettkämpfe aus, im Jahr darauf eine olympische Distanz. Der häufigste Fehler ist, zu schnell zu lange Distanzen zu wählen.

Die Ironman-Weltrekordlerin Chrissie Wellington hat mal gesagt: "Der Ironman begeistert wie keine andere Sportart. Er verändert das Leben." Warum?

Man steht beim Ironman morgens an der Startlinie und hat die Strecke gar nicht vor Augen, die Distanzen sind so unvorstellbar lang. Man schwimmt, fährt Rad und denkt irgendwann: Oh je, ich habe noch nicht mal die Hälfte geschafft! Manchmal ist der Kopf leer, dann kommen wieder Gedanken, die man Ewigkeiten nicht hatte. Es gibt Krisen, die man bewältigen muss, wenn man zum Beispiel nicht genug gegessen hat. Es geht einem nicht gut, aber man muss weitermachen. Wenn man dann im Ziel ankommt, begreift man zuerst nicht, was man da gerade geschafft hat. Dann stellt sich langsam ein unglaubliches Glücksgefühl ein. Man traut sich danach im Leben mehr zu, weil man weiß: Ich bin belastbar. Was soll mich jetzt noch erschüttern?

Interview: Daniela Stohn Ein Artikel aus BRIGITTE 18/2014

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