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Nachhaltigkeit Was können wir eigentlich noch essen?

Ernährung nachhaltig umstellen: Frau in Nachhaltigkeitsladen
© Iryna Inshyna / Shutterstock
Erdbeeren im Winter? Dafür sinkt in Spanien der Grundwasserspiegel. Milch und Fleisch? Verschärfen den Klimawandel. Schon lange geht es bei dem, was auf den Tisch kommt, nicht mehr nur um Genuss oder Gesundheit, sondern auch gleich um den Weltfrieden. Unsere Autorin plädiert für einen entspannteren Umgang mit dem Essen.

Lange Zeit dachte ich, ich hätte die Ernährungsfrage abschließend für mich gelöst. Ich esse seit 25 Jahren vegetarisch, mein letztes Fleisch waren Dosenravioli auf einem Campingkocher in Dänemark, der letzte Fisch ein Rollmops nach einer Party. Ich wusste damals nicht, dass es für immer sein würde, aber meine Skrupel, etwas zu essen, was mal ein Körper gewesen war, gingen einfach nicht mehr weg.

Schweine im Todeskampf – nie wieder Schnitzel

Für mich war es leicht zu verzichten, der Fleisch-Ekel ist biografisch bedingt. Ich komme vom Land, in meiner Familie wurden jedes Jahr zwei Ferkel angeschafft, denen ich Namen gab und Tricks beibrachte, und irgendwann hingen sie in Hälften geteilt hinterm Stall, und alles roch nach warmem Blut. Heute wäre das öko: zwei Schweine, Hausschlachtung, absolut korrekt. Damals war es eine tiefe Erschütterung. Wer einmal gehört hat, wie Schweine im Todeskampf schreien, wird nie wieder unbefangen ein Schnitzel essen können.

Als Vegetarierin führte ich ein Leben als unschuldige Esserin. Wegen mir mussten keine Felder zur Futtererzeugung vergeudet, keine Meere leer gefischt oder Ringelschwänze abgehackt werden. Aber trotzdem frage ich mich in letzter Zeit, ob das reicht. Denn zwar esse ich kein Fleisch, aber auf meinem Nutella-Brot liegt ein glänzender Palmöl-Schimmer aus Pflanzen, für die Regenwald abgeholzt wird. Meine Sojawürste unterstützen womöglich die Gensaat-Mafia, man weiß ja nie ganz genau, woher das Soja kommt. Und eigentlich ist es überhaupt nicht in Ordnung, französisches Tafelwasser zu trinken, wenn es doch gute regionale Quellen gibt.

Eigentlich ist gar nichts mehr okay. Mit jedem "Vegan"-Magazin, das ich mir im Öko-Laden mitnehme und das mich daran erinnert, dass Milchprodukte zu konsumieren den Klimawandel verschärft; mit jedem Kantinengespräch, in dem es um die Schummeleien der Lebensmittelindustrie geht, um mit Gelatine geklärte Apfelsäfte und gefälschte Bioprodukte, fühle ich mich mehr unter Druck – kritischer zu sein, noch mehr darauf zu achten, dass das, was ich esse, der Erde keinen Schaden zufügt. Man könnte es abtun als Erste-Welt-Sorgen einer Frau aus urban-liberalem Milieu, die in Ermangelung ernsthafter Probleme über Tomaten nachdenkt. Aber genau das ist es nicht: Die westliche Welt trägt hier Verantwortung. Beim aktuellen Hype ums Essen muss man die Lifestyle- von der Nachhaltigkeitsfrage trennen.

Normalesser gibt es kaum mehr

Da sind einerseits die verwirrend vielen Food-Fakten; was ist wirklich gut und gesund? Ich kenne Leute, die so fein ausgeklügelte Ernährungsziele verfolgen, dass sie zu einer Essenseinladung mit einer ganzen Batterie Tupper-Dosen anreisen. Und wer je ein Wochenende mit Freunden verbracht hat, die gerade Low Carb machen, weiß, wie der Verzicht auf Kohlenhydrate jedes andere Thema überlagern kann. Eine Freundin erzählte mir, ihre Tochter habe beschlossen, niemals wieder "etwas mit Zucker" zu trinken. Das Mädchen nimmt Wasser und grünen Tee zu sich, ganzjährig. Es ist elf.

Ich glaube, es stimmt: Essen ist wirklich eine Art Ersatzreligion geworden, Kontrolle, Leistungswille und Selbstoptimierung haben daran ihren Anteil. Für viele Menschen ist entscheidend, was sie nicht essen, manchmal denke ich, Normalesser gibt es kaum mehr. Neulich saß ich im Flugzeug neben einer jungen Frau, das Bordessen kam, sie stellte keine einzige Frage zu Emulgatoren oder Histaminen, sondern aß einfach die kleinen Behälter leer. Ich war verblüfft; es war lange her, dass ich jemandem zugesehen hatte, der einfach aß, ohne genau zu wissen, was drin ist.

Aber die Ernährungsfrage geht tiefer. Denn an dem, was wir uns auf den Teller füllen, hängt nicht nur unsere Gesundheit, sondern hängen die großen humanitären und geopolitischen Fragen, die Klima und Wasser, den Boden und damit die gesamte Menschheit beeinflussen. Alles ist mit allem verbunden: Das Industrie-Schwein wird mit Getreide gefüttert, während 800 Millionen Menschen hungern; das Ei kommt aus industrieller Landwirtschaft, die der zweitschlimmste Klimakiller ist und zu weltweiten Dürren und Überschwemmungen führt: Moderne Landmaschinen verdichten den Boden so, dass Wasser nicht mehr einsickern kann, was die Klimaerwärmung fördert und damit die Existenz der Bauern in den trockenen Regionen gefährdet. Und die Gurke stammt womöglich aus einem Betrieb, der, staatlich subventioniert, in Afrika die lokalen Gurken-Preise verdirbt.

6 "gesunde" Lebensmittel, die schlecht für dich sind

Unser Essverhalten gefährdet die Umwelt

Die Faktenlage ist eindeutig. Die Produktion von Nahrungsmitteln verursacht 30 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und verbraucht 70 Prozent des weltweit genutzten Süßwassers. Durch Erosion und Versiegelung gehen jedes Jahr rund 24 Milliarden Tonnen fruchtbaren Bodens verloren – mit ausgelöst durch die Abholzung der Wälder für Weiden und Felder zum Futteranbau. Unser Essverhalten richtet etwas an in der Welt, und wir sind darin verwickelt. Deshalb wollen viele Menschen sanft konsumieren, Ressourcen schonen, die Macht der Lebensmittelindustrie aushebeln.

Das viele etwas tun wollen, ist an sich eine schöne Entwicklung. Aber sie hat einen Riesenhaken: das ständige schlechte Gewissen. Nicht wie früher, wenn nach dem "Tatort" die Chipstüte leer war. So etwas quält zwar auch heute noch, aber es ist nichts im Vergleich zu den Gedanken, die man sich um die Erzeugungsbedingungen einer einzelnen Avocado machen kann. Viel über die Herkunft der Lebensmittel und die komplexen Zusammenhänge ihres Anbaus zu wissen bedeutet auch, jeden Bissen zu hinterfragen. Und das Dilemma ist unlösbar. Es gibt nicht die eine Checkliste, nach der moralisch einwandfreies Essen möglich ist, dazu ist unsere Welt zu durchglobalisiert. Es gibt nur Optionen.

Zum einen könnten wir ganz und gar auf Erzeugnisse setzen, die in der unmittelbaren Umgebung angebaut werden. Der Trend geht dahin, und ökologisch ist das allemal sinnvoll. Aber zugleich ist es auch irgendwie protektionistisch, und nationale Abgrenzungen finde ich in Brexit- und Trump-Zeiten das falsche Signal. Ich sage nicht, dass Grünkohl den Rassismus fördert, das wäre Unsinn. Aber ist es nicht ein befremdliches Gefühl, auf dem Teller eine fast protestantische Heimathinwendung zu zelebrieren, in einer Zeit, in der mit ähnlichen Gefühlen populistische Politik gemacht wird? Nein, ich möchte weiterhin Papaya essen, und ich möchte niemandem das Import-Bier missgönnen. Ein anderer Weg wäre, sich zu überlegen, welche Anliegen einem am dringlichsten am Herzen liegen, weil nicht jede*r Einzelne jedes Problem der Menschheit persönlich lösen kann. Bei mir ist es das Tierwohl, bei anderen der Verzicht auf Industrie-Essen oder der Spaß daran, selbst zu gärtnern.

Wir können die Umwelt schützen

Essen ist auch deshalb kompliziert geworden, weil es sich als Instrument der Selbstermächtigung anbietet; während wir überall die Kontrolle verlieren, glauben wir, da, wo wir unser Leben unmittelbar beeinflussen können, überregulieren zu müssen, sei es durch Superfood und Weißmehl-Verzicht oder durch den politisch-ökologisch korrekten Lebensmitteleinkauf.

Nur: Wir können nicht qua Schöpfkelle die Landwirtschaft in Afrika stärken und so die Gründe der Menschen, von dort zu fliehen, minimieren. Das kann nur eine gezielte, koordinierte Handelspolitik. Aber wir können etwas ausrichten, wenn wir zum Beispiel nur so viel einkaufen, wie wir auch verbrauchen. Wir können mühelos weniger Fleisch essen, ohne einen Mangel zu erleiden. Und wir können für eine andere Landwirtschaft streiten, es gibt gute Konzepte, die unsere Agrarindustrie so umkrempeln würde, dass es den Tieren gut ginge, den Böden, dem Grundwasser – und den Landwirten.

Und dann dürfen wir auf das, was wir damit bewirken, stolz sein. Sonst geriete etwas in Gefahr, was wir dringend brauchen: einen unneurotischen Umgang mit dem Essen, das uns Freude macht, unsere Sinne anspricht und uns zusammenbringt.

5 Fakten

Jeder Deutsche wirft jährlich etwa 85 Kilogramm Lebensmittel weg.

Ca. 37 Kilogramm davon wären vermeidbar, wenn wir weniger einkaufen, besser lagern und nicht so bedenkenlos entsorgen würden.

Ernährung ist für ca. 1/5 der in Deutschland verursachten Treibhausgase verantwortlich. 

55 Prozent der Klimaschädigung entfallen dabei nicht auf die Herstellung der Lebensmittel, sondern auf ihre Lagerung, unsere Zubereitung daheim und die Einkaufsfahrten.

Mehr als 2,6 Millionen Hektar Anbaufläche in Deutschland werden für die Tonne bewirtschaftet. 

Davon sind 1,6 Millionen Hektar auf Fleisch- und Milchproduktion zurückzuführen. Das ist so, als würden wir Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland in einen riesigen Acker umwandeln und die eingefahrene Ernte einfach wegwerfen.

70 Prozent der Treibhausgasemissionen aus unserer Ernährung gehen auf tierische Ernährung zurück. 

Allein die Produktion von einem Kilogramm Rindfleisch setzt sieben bis 28 Kilogramm Treibhausgase frei.

Wenn wir unseren Fleischverzehr um die Hälfte verringern 

und nur wie empfohlen 300 bis 600 Gramm Fleisch pro Woche essen würden, sänke unsere ernährungsbedingte Treibhausgasemission um rund 9 Prozent.

5 Fragen

Warum schadet die Art, wie wir essen, dem Klima und der Umwelt? 

Lebensmittel sind ein Faktor für den Umwelt- und Klimaschutz, der kaum zu übersehen und zugleich beispielhaft für unsere Konsumkultur steht. Ungefähr zehn Prozent unseres Haushaltseinkommens geben wir für Lebensmittel aus – in den 1950ern war es rund die Hälfte. Ein Drittel der Lebensmittel landet im Müll. Unsere Wertschätzung und unser Konsumverhalten wirkt sich systemisch aus, ganz gleich, ob es um Biodiversität, Wasser- und Bodenqualität oder um angemessene Preise und Löhne für die Erzeuger geht. Diese priorisieren zugunsten nachhaltiger Produktion oder niedriger Preise. Der Preisdruck auf Lebensmittel ist enorm.

Wie kann eine nachhaltigere Ernährung aussehen?

Umweltbewusst und zugleich gesund ernährt sich, wer fünfmal Obst und Gemüse am Tag isst und tierische Produkte reduziert. Wer biologisch, regional und saisonal einkauft, sorgt für Abwechslung im Speiseplan, profitiert von hoher Qualität und niedrigen Preisen. Und wer den Sonntagsbraten als seltene Delikatesse betrachtet, hat es leichter, auf artgerechte Tierhaltung zu achten – auch wenn das Fleisch in der Regel teurer ist. 
Yvonne Zwick, Stellvertretende Generalsekretärin, Rat für Nachhaltige Entwicklung

Ist BIO ein Weg zu nachhaltigem Essen? 

Der Vorteil von Bio-Lebensmitteln ist, dass für ihre Produktion keine Pestizide eingesetzt werden. Daher gibt es auf ökologisch bewirtschafteten Flächen mehr Wildkräuter und dadurch mehr Insekten und Vögel. Die Bodenfruchtbarkeit wird durch vielfältige Fruchtfolgen, also verschiedene Ackerfrüchte im Wechsel, und organischen Dünger von Tieren gefördert. Das führt dazu, dass meist deutlich weniger gedüngt wird. So wird verhindert, dass Nährstoff-Überschüsse in den Boden gelangen und als Nitrat im Wasser freigesetzt werden oder als Lachgas in der Luft. Lachgas wirkt ungefähr 300-mal so stark aufs Klima wie CO2. 
Dr. Christine Toelle-Nolting, Biologin mit Schwerpunkt Ökologie, Naturschutzbund Nabu

Wie kann ich umweltfreundlicher leben, ohne meinen Alltag gleich komplett umzustellen? 

Zunächst muss ich mir deutlich machen: Ich übernehme Verantwortung, aber ich rette dadurch nicht die Welt. Ein Alles-oder-nichts-Denken würde uns überfordern. Gewohnheiten, wie das Essen, verändern wir am besten in kleinen Schritten. Zuerst stimmen wir mit dem Partner oder der Familie ab, was wir anders machen wollen. Es sollte etwas sein, was allen leichtfällt. Der Erfolg macht Mut, weiterzugehen. 
Dr. Matthias Hammer, Psychotherapeut mit Schwerpunkt Verhaltenstherapie

Womit könnte ich anfangen?

Suchen Sie sich pflanzliche Alternativen für tierische Lebensmittel. Damit leben Sie auch gesünder. Wichtig ist, dass sie gut schmecken: Im Restaurant gibt es Veggieburger, beim Gemüseeintopf sorgen (statt Speck) getrocknete Shiitake-Pilze für Geschmack. Unterwegs wird das Salamibrötchen vom Bäcker ersetzt durch mitgenommenes Vollkorn-Sauerteigbrot mit Roggen, bestrichen zum Beispiel mit Miso-Paste für den Geschmack. Wer gern knusprig isst, belegt es mit fein geschnittenem Rotkohl. 
Holger Stromberg, Koch und Autor von "Essen ändert alles: Das Rezept für ein gesundes, nachhaltiges Leben"

Meike Dinklage leitet das "Zeitgeschehen"-Ressort der BRIGITTE. Sie findet wenig seltsamer als Veggieburger, die nach Hack schmecken.

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