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Warum wir lernen müssen, zu genießen

Zunehmen über Weihnachten vermeiden: Weihnachtskugeln mit Maßband
© Margaret M Stewart / Shutterstock
Im Dezember nehme ich immer drei Kilo zu, um mich im Januar zu kasteien und zu fragen, was das alles mit Genuss zu tun hat.

Schon während der Lektüre nahm ich zwei Pfund zu. Ich unternahm einen literarischen Streifzug durch das kulinarische Wien, durchsetzt mit den appetitlichsten Rezepten von Gulasch, Kaiserschmarrn und Buchteln. Ich sah mich selbst beim Schichttorte-Essen in barocken Kaffeehäusern, dann beim Heurigen, eine Käsekrainer verspeisen oder, wie wir Gesinnungs-Wienerinnen sagen, "a Eitrige mit an Buggl".

Schließlich lehnte ich mich erschöpft und mental überfressen zurück. Der dritte Nachtisch war zu viel. Ich rief Vincent Klink, Sternekoch und Autor des wunderbar reichhaltigen Buches "Ein Bauch lustwandelt durch Wien" an, um mich über Kalorien, Genuss und meine Impulskontrollstörung gegenüber Palatschinken und Schweinsbraten auszutauschen.

Gier überwinden und Grenzen respektieren

"Uns Deutschen liegt das Genießen nicht im Blut. Genuss heißt, zu wissen, wann man aufhören muss, nicht irgendwann pappsatt vom Stuhl zu fallen. Italiener, Franzosen und Österreicher kennen die höhere Stufe des Lustgewinns." – "Und Sie auch?", frage ich misstrauisch, während ich höre, wie der rundliche Spitzengastronom am anderen Ende der Leitung Teile seines heutigen Menüs vorkostet. "Ich habe mir vorgenommen, langsamer zu essen. Wir müssen unsere Gier überwinden und unsere Grenzen respektieren – und zwar auf allen Ebenen, nicht nur beim Essen. Unser hektischer Erlebnishunger ist nicht zu stillen. Dabei geht die Freude am Moment, die Ruhe beim Essen und das Herzblut beim Kochen leider völlig verloren."

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Am Tisch hat Frieden zu herrschen

Mit der Ruhe beim Essen ist es natürlich so eine Sache, wenn man selbst nicht einen einzigen Stern an der Mütze hat und die Kinder sich gerne herablassend äußern, wenn das Gemüse womöglich einen Hauch zu knackig, die Nudeln dafür ein winziges bisschen zu durch sind.

"Sie müssen nicht gut kochen können", beruhigt mich der freundliche Herr Klink. "Meine Frau kann es auch nicht besonders gut. Aber ich käme nie auf die Idee, mich zu beschweren. Die Tatsache, dass sie trotzdem für mich kocht, ist doch ein ungeheurer Liebesbeweis! Meckern bei Tisch müsste verboten werden. Wenn ich in meinem Restaurant ein streitendes Paar zu Gast habe, weiß ich genau: Ich kann kochen, was ich will, denen schmeckt nichts! Der Alltag mag ein Kampf sein – aber am Tisch hat Frieden zu herrschen. Wenigstens einmal in der Woche, womöglich statt des Kirchganges, sollten wir freundlich gemeinsam essen, die Fünf eine gerade Zahl sein lassen und die Speisen genießen, auch wenn sie vielleicht nicht immer ganz so genießbar sind. Dann fühlt man sich schon diesseits im Paradies. Freude entsteht im Kopf!"

In diesem Sinne hoffe ich auf Toleranz bei Tisch, auf Mäßigung beim Nachschlag und auf bewusstes Kauen und Verdauen. Wir sprechen uns im Januar.

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BRIGITTE 26/2019

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