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Vegetarierin: Bin ich konsequent genug?

Vegetarierin: Bin ich konsequent genug?
© iprachenko / Shutterstock
BRIGITTE-Redakteurin Meike Dinklage, Vegetarierin alter Schule, ist irritiert: Um sie herum essen neuerdings alle nur noch bio und vegan.

Seit ewigen Zeiten esse ich weder Fisch noch Fleisch. Das Letzte, was ich in dieser Hinsicht zu mir genommen habe, war ein Rollmops nachts um drei nach einer Party, und ich weiß noch, wie er schlaff auf der Gabel hing, eine erloschene Kreatur, das Gürkchen zynisch in seinen Leib verwickelt. Das war der Moment, in dem ich beschloss, für immer damit aufzuhören, Tiere zu essen. Der Verzicht hat mich nie eine Sekunde Kraft gekostet.

Dass ich Vegetarierin bin, hat viele Jahre niemanden gestört. Ich habe mich recht leise verhalten, es gibt bei mir keinen großen theoretischen Überbau, nur die Devise: Ich esse nichts, was mal geatmet hat. Wegen mir soll kein Tier sterben. Die Leute können in meiner Gegenwart Klopse essen, Hauptsache, es spritzt nichts davon auf meinen Teller.

Umgekehrt lassen die Fleischesser mich in Ruhe, ich höre höchstens mal Sprüche wie "Tofu ist doch schwules Fleisch". Ansonsten aber war die einzige Unwucht in meiner Beziehung zu Nichtvegetariern bislang eine rein moralische: Vegetarier machen Leuten schlechte Laune, weil alle denken, sie hielten sich für bessere Menschen.

Und dann gab es da plötzlich diese Welle. Es fing an mit Jonathan Safran Foers Bestseller "Tiere essen". Die Medien reagierten, die "Zeit" philosophierte im Feuilleton über Tierrechte, und BRIGITTE-Kollege Till Raether schlachtete ein Huhn, um herauszufinden, ob man danach je wieder ein Brathähnchen würde essen können. Es gab Bio-Fleisch bei Aldi und auf Partys fleischlose Buffets und selbst in Landgasthäusern richtige vegetarische Gerichte, nicht nur Nudeln in Sahnesoße.

Mich freut das, ich finde das eine gute Entwicklung. Letzte Woche war ich zu einem Abendessen eingeladen, es gab vegane afrikanische Küche, ich aß Bio-Couscous mit Mangomus und irgendwas mit fair gehandeltem Bambus, und das heißeste Thema des Abends waren Bio-Legehennen, über die jemand gelesen hatte, dass sie mit eineinhalb Jahren zu Katzenfutter verarbeitet werden, was zeigt, dass man, selbst wenn man Bio kauft, einfach nicht sicher sein kann vor tierischer Ausbeutung.

Am Tisch waren alle der Meinung, man dürfe eigentlich gar keine Eier mehr essen, und den Rest des Abends ging es um Konsumverzicht und korrektes Essen, und jeder kannte wen, der gerade mit dem veganen Leben angefangen hatte, als einzige Antwort auf die Nahrungsmittelkrisen der Welt. Und ich, Vegetarierin alter Schule, saß dazwischen und blickte beschämt auf meine Adidas-Retro-Sneakers, die leider aus Leder sind.

Ich esse Kuchen, wenn jemand im Büro Geburtstag hat, ohne zu fragen, ob er mit Bio-Eiern gemacht ist. Bei einem guten Appenzeller könnte ich vor Freude singen. Ich verzichte auf Gummibärchen mit Gelatine, aber manchmal esse ich Salzstangen, obwohl ich mal gelesen habe, dass in der Gewürzmischung Hühnerklein verarbeitet ist.

Ist mein Leben ein fauler Kompromiss? Muss ich, um ein besserer Mensch zu werden, jetzt vegan leben? Ist Radikalität die einzige Antwort? Ich las im Netz. Ich stellte fest, dass Veganer Vegetarier als Mörder beschimpfen und dass an jedem Honigbrot das Blut der Bienen klebt. Ich las, dass Frutarier Veganer beschimpfen, weil sie Pflanzen essen, obwohl man nicht sicher weiß, ob Möhren nicht doch Gefühle haben. Ich hatte keine Lust auf diese wechselseitigen Vorwürfe und klickte weg.

Es gibt, soweit ich das überblicke, überhaupt keine für alle gültige Antwort auf dieses Dilemma. Aber es gibt zumindest eine tröstliche. Die fand ich beim Münchner Moral-Experten Rainer Erlinger, der dazu die aufgeräumte Meinung vertritt, dass ein bisschen was richtig zu machen besser ist als nichts, was er indirekt von Schopenhauer ableitet.

Da gehe ich mit. Raus aus dem Wahn, dass es nie reicht, was wir tun! Ich bin Vegetarierin, und das ist, auch wenn’s noch besser ginge, nichts Schlechtes. Der Rollmops weiß, warum.

Meike Dinklage, 47, lebt in Hamburg. Sie hat zwei reizende Collies, die sie - wenn sie sich anständig verhalten - gern lobt mit "guter Hund". Was genau ein guter Mensch ist, bleibt ihr dagegen bis auf Weiteres ein Rätsel.

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