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Ständig Eiweiß Wann wird es ungesund?

Mann im Fitnessstudio
© Oleksandr Zamuruiev / Shutterstock
BRIGITTE-Autorin Ulrike Thomassen hat einen Jungen im Teenageralter und damit ein Problem: Denn der will nicht nur Muskeln, sondern zu jeder Mahlzeit Proteine auf dem Teller.
Ulrike Thomassen

Vor vielen Jahren hatte ich eine kurze Romanze mit einem Eiweiß-Esser. Er war ein Freund meiner Schwester, ich kannte ihn schon ein Weilchen, und mir war nie irgendetwas Komisches an ihm aufgefallen. Aber als wir anfingen, uns füreinander zu interessieren, und ich zum ersten Mal ein Wochenende in seiner Wohnung verbrachte, kochte er für uns. Es gab Spiegeleier ohne Eigelb und gedünsteten Vollkornreis ohne Salz. Gewürzt wurde das Ganze mit etwas Zitronensaft, er sagte, das würde er gerne und oft essen, nicht nur weil es ihm schmecke, sondern vor allem wegen der Proteine.

Warum kein Eigelb erlaubt war, weiß ich nicht mehr. Wahrscheinlich wegen seiner Cholesterinwerte. Er war Mitte 20. Aber ich habe noch lange von diesem Mittagessen gezehrt. Sobald das Gespräch auf wilde Affären und seltsames Männerverhalten kam, wurde nach der Eiweißanekdote verlangt, und ich erzählte sie immer wieder gerne, und meine Freundinnen kringelten sich jedes Mal aufs Neue.

Der Wandel der Zeit

Das Lachen ist uns natürlich vergangen. Junge, eiweißbegeisterte Männer sind inzwischen eher die Regel als die Ausnahme. Viele von uns teilen ihr Zuhause jetzt mit halbwüchsigen oder erwachsenen Söhnen, die mindestens drei proteinhaltige, vollwertige Mahl­zeiten täglich benötigen und dazu die gleiche Anzahl ebenso proteinhaltiger, vollwertiger Snacks. Wenn ich es richtig verstanden habe, lautet das gängige Schönheitsideal bei männlichen Jugendlichen ab 15 "breiter als der Türsteher", jedenfalls rennen sie alle ins Fitnessstudio, sobald sie von ihren Eltern die Unterschrift für einen McFit-Vertrag erfleht haben, und dann fangen sie an zu fressen. Aber das Richtige!

"clean bulking" vs. "dirty bulking"

Mein Sohn – er ist 19 und schon länger an den Geräten – erklärte mir kürzlich den Unterschied zwischen "dirty bulking" und "clean bulking". Bei der schmutzigen Aufbau-Variante isst man kalorienreiches, fettiges Zeug: Chips, Triple-Cheese-Pizza, Pommes Schranke, völlig egal, Hauptsache, man legt erst mal an Masse zu, und wenn man dann ordentlich trainiert, werden Muskeln daraus. Erstaunlicherweise bevorzugen die jungen Leute die saubere Variante. "Hühnerbrust, Vollkornreis, Brokkoli – so was macht Qualitätsmasse ohne unnötiges Fettgewebe", sagt mein Sohn. "Ist natürlich besser."

Fettfreie Qualitätsmasse hätte ich auch gerne, allerdings scheue ich den Aufwand. Wenn mein Sohn morgens um drei vom Feiern nach Hause kommt (bei Whiskey-Cola würde man jetzt eher auf "dirty" tippen), scheppert es sehr ausdauernd in der Küche, weil er sich vorm Schlafengehen noch ein Stück Rotbarsch­filet mit Kartoffelkruste und Sesam­spinat zubereitet. Wenn ich betrunken nach Hause komme (was leider nur noch selten passiert), stopfe ich mir vor der offenen Kühlschranktür Leberwurstbrote in den Mund und fische im Cornichon-Glas nach Gürkchen.

Schon wieder Hunger

Von proteinreichen Mahlzeiten zu ungewöhnlichen Uhrzeiten berichten auch die Freunde, deren Sohn die Oberstufe eines Gymnasiums besucht, das nur fünf Minuten Fußweg von der heimischen Küche entfernt liegt. In jeder großen Pause und in jeder Freistunde macht er sich auf den Weg. "Und dann steht er schon wieder in der Küche und sagt, dass er Hunger hat und sofort essen muss, am liebsten irgendwas mit Huhn", so die Eltern, die seit einigen Jahren Vegetarier sind. Auch die pflanzliche Eiweiß-Sucht kann Probleme machen: Eine andere Freundin mit gut trainiertem Sohn sitzt abends oft bei mir im Wohnzimmer und geht selbst dann nicht nach Hause, wenn ihr Ehemann sie zum Essen ruft. "Es gibt das dritte Mal in dieser Woche vegane Burger mit Vollkorn-Buns und Soja-Patties", erklärt sie, "da muss ich brechen."

Und dann gibt es da noch das Eiweißpulver…

In all diesen Familien stehen irgendwo noch große, halb volle Con­tainer mit Eiweißpulver rum, das den cleanen Muskelaufbau befördern und die eine oder andere Zwischenmahlzeit ersetzen soll, was aus Elternsicht unbedingt erfreulich ist. Wenn man sich zum ersten Mal mit dem Geburtstagswunschzettel in den Proteinpulver-Fachhandel begibt, wähnt man sich aber auch deshalb fast im Paradies, weil die Geschmacksrichtungen auf den Plastiktonnen nicht nach Gesundheit, sondern mehr nach American Ice Cream klingen: "Cookies & Cream", "Vanilla Very Berry" oder "Latte macchiato" – es gibt unzählige Sorten. Und dann erzählt der nette, außerordentlich muskulöse Pulver-Fachverkäufer noch, dass 40 Gramm Pulver ebenso viel Eiweiß enthält wie 150 Gramm Hähnchenbrust! Aber am Tag nach dem Geburtstag sieht man den Sohn zum ersten Mal sehr tapfer ein sehr großes Glas mit blassem, leicht blasigen Eiweißdrink leeren und geht sofort wieder Huhn kaufen, weil der Junge ist ja noch im Wachstum und soll lieber was zwischen die Zähne kriegen.

Meine Eiweiß-Vollkornreis-Romanze ist in zwischen doppelt so alt wie damals, wir haben uns letztes Jahr auf einer großen Feier wiedergetroffen. Er sah gut aus und hatte einen vollen Teller vor sich und ich dachte: Super, das mit dem Eiweiß ist am Ende auch bloß eine Phase. Aber gegessen hat er dann nur das Fleisch mit dem Gemüse. Und danach Espresso bestellt statt Nachtisch. Ich glaube, es war schon mal lustiger, ein Mann zu sein.

Das Eiweiß-Einmaleins

Wofür ist Eiweiß wichtig?

Proteine brauchen wir, um Muskeln und viele andere Strukturen im Körper aufzubauen. Sie sind unser Baumaterial, regulieren und kontrollieren die Zellfunktionen.

Wie viel brauchen wir?

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt 0,8 Gramm pro Kilo Körpergewicht täglich. Bei Sportler*innen und Menschen ab 65 kann der Bedarf auf bis zu 1,5 Gramm steigen. Praktisch können da Protein-Shakes sein (z. B. rein pflanzlich von Bionorm bodyline). Gut zu wissen: Pro Mahlzeit verarbeitet der Körper maximal 30 Gramm Protein – am besten verteilt man die Zufuhr also über den Tag. Vorsicht bei Diäten: Wer abnehmen möchte, kann etwa mit einer proteinreichen Formula-Diät Muskelabbau verhindern.

Pflanzlich oder tierisch?

Vor allem die acht essenziellen Aminosäuren, die unser Körper nicht selbst bauen kann, müssen wir über die Nahrung aufnehmen. Das Problem: Ist nur von einer einzigen zu wenig da, werden auch die anderen nicht zum Proteinaufbau genutzt. Tierisches Protein aus Ei, Milch, Hähnchenbrust und Co. kann da stärker punkten, weil es mehr essenzielle Aminosäuren enthält.

Vorteil Pflanzen-Protein: Grünzeug enthält eine Menge Vitamine, Ballast-, Mineral- und sekundäre Pflanzenstoffe. Tierisches Eiweiß dagegen steckt oft in Produkten, die auch reichlich nicht so günstige Fette mitbringen.

Ideal: möglichst viele pflanzliche Proteine essen und mit tierischen ergänzen. Veganerinnen sollten Lebensmittel mit unterschiedlichen Aminosäuren klug kombinieren: etwa Soja mit Getreide oder Linsen mit Reis.

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BRIGITTE 25/2020

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