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Lebe lieber nachhaltig: "Unser Planet ist, was wir essen!"

Ob vegan, bio oder glutenfrei: Um unsere Ernährung wird viel Aufhebens gemacht. Warum das eigentlich ganz gut ist, erklärt Expertin Christina Müller im Gespräch mit BRIGITTE.de.

BRIGITTE: Ganz allgemein gefragt: Warum brauchen wir "nachhaltige Ernährung"?

Christina Müller: Ein großes, globales Problem unserer Zeit ist die Verschwendung von Lebensmitteln. Es ist enorm wichtig, dass wir beginnen, so wenig Lebensmittel wie möglich wegzuwerfen. Der Umwelt zuliebe. Ein zweites großes Thema ist die pflanzliche Ernährung. Die westliche Welt ist eine fleischessende Gesellschaft, das ist ein Phänomen der Nachkriegszeit. Die Folge ist nicht nur, dass unser Körper auf Dauer leidet, weil zu viel tierische Nahrung zu viel gesättigte Fettsäuren bedeutet. Auch für unsere Umwelt ist die Viehzucht in dieser Menge nicht gut. In das Wachstum der Tiere gehen wichtige Ressourcen wie Wasser, Land und Futter. Knapp zwei Drittel der Landanbaufläche gehen hierzulande indirekt für die Fütterung der Tiere drauf! Weltweit ist es ungefähr die Hälfte.

Das heißt, dass die Hälfte aller täglichen Agrarerzeugnisse erst mal in die Fütterung der Tiere investiert werden, bevor sie beim Menschen ankommen. Das Problem dabei: Langfristig haben wir zu wenig Ressourcen, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Deshalb ist es so wichtig, weniger tierische Nahrungsmittel zu konsumieren. Der WWF rät, dass wir unseren Fleischkonsum um die Hälfte reduzieren sollen, um auch in Zukunft gut leben zu können. Lieber weniger Fleisch, dafür aber mit mehr Qualität. Das Gleiche gilt für Fisch. Fisch ist zwar sehr gesund, man sollte ihn aber mit Bedacht verzehren. Am besten aus nachhaltig zertifizierten Fischbeständen, da dort der Produktionsweg nachverfolgt werden kann und die Bestände nicht überfischt werden.

Bio ist das Schlagwort der Stunde. Doch ist bio auch nachhaltig?

Eine supergute, wenn auch zweischneidige Frage. Es gibt immer mehr Hersteller, die bio anbauen, allerdings ist der Anteil an der gesamten Landwirtschaft noch sehr gering. Aber das Label taucht immer öfter im Einzelhandel auf. Die Verbraucher assoziieren generell etwas Positives mit bio, es gibt aber auch immer mal wieder Skandale. Und dennoch: Nach allem, was wir wissen, ist die biologische Landwirtschaft nachhaltiger als die konventionelle. Neben den Bio-Siegeln gibt es bereits viele weitere Initiativen zur nachhaltigen Landwirtschaft, zum Beispiel die Rainforest Alliance oder Fairtrade, die alle den Nachhaltigkeitsgedanken in ihrer Zertifizierung berücksichtigen, sowohl den ökologischen als auch den sozialen, etwa in Bezug auf faire Arbeitsbedingungen. Daher ist nicht nur bio nachhaltig. Den wirklich großen Unterschied zum Thema nachhaltiger Konsum macht allerdings der Wechsel von tierischen zu pflanzlichen Nahrungsmitteln aus, unabhängig vom biologischen Anbau.

Welche Auswirkung hat Fleischkonsum auf unseren "ökologischen Fußabdruck"?

Wie gesagt verbraucht Fleischkonsum sehr viel Land, da auf dem Land das Futter angebaut wird. In der Nutztierhaltung wird sehr viel Wasser durch die Tiere selber und den Anbau der Futtermittel verbracht. In Deutschland haben wir keinen Wassermangel, aber es gibt Teile der Erde, wo das anders aussieht. Wasserverbrauch ist ein großes globales Thema. Und ganz wichtig: der CO2-Fußabdruck. Der CO2-Fußabdruck von Butter ist zum Beispiel sieben Mal höher als der von Margarine, weil die Produktion der Butter über die Kuh geht. Generell ist der ökologische Fußabdruck von Fleisch sowohl im Land- und Wasserverbrauch als auch in den Treibhausgasemissionen wesentlich höher als bei der Produktion von pflanzlichen Nahrungsmitteln wie Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten.

Zu viele Lebensmittel landen auf dem Müll. Was kann man dagegen tun?

Das eine ist die Haushaltsplanung. Der WWF hat errechnet, dass pro Jahr 40 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen allein durch unseren Abfall entstehen. Wir sollten deshalb viel besser planen, nicht so viele Lebensmittel wegschmeißen und Reste verwerten. Ein kritisches Thema ist auch das Mindesthaltbarkeitsdatum. Das sollten wir uns genau angucken: Ist es wirklich so schlimm, seinen Joghurt einen Tag nach dem Ablauf des MHD zu essen?

Der zweite Punkt ist, dass wir mehr darauf achten müssen, was wir kaufen. Wie ist die Ware eingepackt? Brauche ich die ganzen Tüten? Einen Fortschritt, den wir jetzt in Deutschland sehen, ist zum Beispiel, dass der Handel und die Regierung daran arbeiten, den Gebrauch von Plastiktüten einzuschränken.

Seitdem ich mich mit dem Thema beschäftige, habe ich aufgehört, meinen morgendlichen Milchkaffee aus Pappbechern zu trinken. Jeden Morgen werden allein in Deutschland acht Millionen Pappbecher verkauft! Das ist Wahnsinn, rechnet euch das mal auf das ganze Jahr aus. Wenn man anfängt, hier umzudenken und nur noch das einzukaufen, was man auch wirklich braucht, ist man auf einem guten Weg.

Öko-Produkte und nachhaltiger Konsum gelten vielen als genussfeindlich und haben noch immer ein Image-Problem. Wie kann man das ändern?

Ich glaube, man muss das Thema beim Schopf packen und mit dem Aufklären beginnen. Ich habe festgestellt, dass sich die meisten Leute nicht bewusst sind, welchen Einfluss die Ernährung eigentlich auf die Umwelt hat. Das müssen Unternehmen und Politik transparenter und klarer für alle machen. Und auch die Medien können dazu beitragen, dass ein Bewusstsein für Nachhaltigkeit entwickelt wird. Wir müssen uns fragen, welche Konsequenzen unser Handeln hat und wie sich die Umwelt in den nächsten 20 Jahren entwickelt, wenn wir so weitermachen. Nur dann bekommt man das Thema auch aus dieser Klischee-Ecke raus. Das sind keine Fanatiker, die nachhaltig leben.

Man sollte sich einfach immer sagen: Ich bin, was ich esse. Das beeinflusst meine Gesundheit und wie ich mich fühle. Und diese einfache Prämisse können wir auch auf unseren Planeten übertragen. Unser Planet ist, was wir essen! Wir leben durch Konsum, weil wir existieren müssen und um einen gewissen Standard zu erreichen. Aber wir können ja nicht endlos konsumieren. Deshalb: Wer ein Bewusstsein für das Thema entwickelt, ist auch bereit, sein Handeln zu verändern.

Welche Tipps haben Sie für Menschen, die sich nachhaltig ernähren möchten?

Wir sollten zum einen Lebensmittelverschwendung vermeiden. Alle Lebensmittel, die wir nicht wegschmeißen, belasten auch die Umwelt nicht. Zum anderen sollten wir verstärkt auf pflanzliche Lebensmittel umsteigen. Wenn Fleisch, dann selten und wenig. Wer nicht darauf verzichten möchte, sollte Fleisch aus artgerechter Tierhaltung kaufen. Und: Bitte nach Möglichkeit nur ganz wenig Rindfleisch, weil das wirklich nicht emissionsverträglich ist. Wenn man sich die ökologischen Fußabdrücke beim Fleischkonsum anguckt, sind die von Rind und Lamm am größten und belasten unsere Umwelt am meisten. Ich persönlich habe mit 12 Jahren aufgehört, rotes Fleisch zu essen. Fisch esse ich sehr gern, doch wenn ich Fisch essen, achte ich darauf, wo er herkommt. Ich liebe zum Beispiel Thunfisch als Delikatesse, esse ihn aber ganz selten, weil er zu den gefährdeten und überfischten Arten zählt.

Wir sind in Europa überernährt – und das geht auf die Gesundheit, was uns ökonomisch einiges kostet. Wir sollten einfach nicht so viel konsumieren und dann die Hälfte wegschmeißen. Würden wir nicht so viel Fleisch essen, könnten wir auch das Ernährungsproblem in den Entwicklungsländern in den Griff bekommen. Bis zu einer Milliarde Menschen weltweit haben nicht genug zu essen – und wir essen zu viel oder schmeißen unser Essen weg. Das ist ein riesiges Thema, aber ich glaube, wenn alle Akteure aus Politik, Medien und Wirtschaft ein Bewusstsein beim Verbraucher schaffen, ist das ein erster Schritt zu mehr nachhaltigem Konsum.

Gibt es Zutaten, die absolute No-Gos sind?

Wenn wir in die Ökobilanz schauen, ist Rindfleisch echt belastend. Wir bekommen von Rindern natürlich auch Milch und Milchprodukte – da muss man darauf achten. Proteine sind ja auch wichtig für unseren Körper. In Europa decken wir mehr als 50 Prozent unseres täglichen Bedarfs über tierisches Protein. Es ginge aber auch über pflanzliche Proteine, wie es in Asien der Fall ist. Es sind ganz einfache Leitmaxime: Reduziert tierische Lebensmittel und esst mehr pflanzliche Lebensmittel, im Idealfall regional und saisonal, um "Flugware" zu vermeiden. Also keine Kiwis aus Chile, sondern wirklich mit der Saison und nach Region gehen, um Transportwege zu vermeiden.

Für ein nachhaltiges Leben sind ja nicht nur Verbraucher verantwortlich: In welcher Verantwortung sehen Sie die Unternehmen?

Unternehmen haben eine große Verantwortung und sollten Nachhaltigkeit definitiv auf ihre Agenda schreiben. Bei Unilever, dem Unternehmen, für das ich arbeite, hat man sich 2010 auf die Fahne geschrieben, den Umsatz zu verdoppeln und den ökologischen Fußabdruck zu halbieren. Im Prinzip möchten wir das Wachstum von den Ressourcen abkoppeln, die nicht nachhaltig sind. Wir haben angefangen, unser Denken zu verändern und das Thema auf die globale Ebene zu heben. Es müssen die Politik und die wirtschaftlichen Unternehmen sein, die das Thema anstoßen, damit es auch beim Verbraucher ankommt. Und Organisationen wie WWF und Greenpeace setzen sich sehr für das Thema ein – und versuchen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen.

Experten kritisieren, dass es den Konsumenten in anderen Bereichen noch zu schwer gemacht wird, eine nachhaltige Kaufentscheidung zu fällen, etwa bei Kleidung. Ist die Lebensmittelbranche weiter als die Modebranche?

Die Lebensmittelbranche hat überhaupt keine andere Möglichkeit, als Innovation in puncto Nachhaltigkeit voranzutreiben. Die Lebensmittelindustrie muss das Bewusstsein der Menschen prägen und darüber aufklären, dass unsere Ernährung einer der Haupttreiber des Klimawandels ist. In der Milch- und Fleischindustrie möchte darüber momentan natürlich niemand sprechen. Doch es erfordert auch in diesen Branchen ein Umdenken, langfristig muss man dort das Business-Modell überdenken und über Alternativen nachdenken.

Die Fahrzeug-Industrie ist theoretisch Vorreiter in diesem Bereich. Durch Skandale hat sich nun gezeigt, dass es jedoch auch dort nicht überall funktioniert. Ich glaube, wir müssen anfangen, die Richtlinien, die wir beim Verkehr auferlegen, auch im Lebensmittelbereich durchzusetzen. Die Politik sollte sich zum Beispiel den ganzen Wertschöpfungsprozess anschauen. Also: Wie viel Land, Wasser und Energie werden für die Erzeugung des Produktes benötigt? Und wie viel CO2 wird emittiert? All diese Faktoren müssen berücksichtigt und anschließend eigentlich entsprechend bepreist werden.

Gerade in Deutschland ist der Preis für Lebensmittel ein Thema. Die Deutschen geben im internationalen Vergleich wenig Geld für Essen aus, obwohl wir die Nation mit dem höchstem Netto-Einkommen sind. Wir geben zehn Prozent unseres Einkommens für Essen aus. Nahrungsmittel sind einfach nicht so wichtig für uns. Andere Kulturen haben viel mehr verinnerlicht, dass das Essen auch zum eigenen Wohlbefinden beiträgt. Das Auto hat in unserem Wertesystem zum Beispiel einen viel höheren Stellenwert als Essen oder Kleidung. Nachhaltiges Essen oder nachhaltige Mode kosten mehr – und genau das ist das Problem. Die Leute kaufen mehr über den Preis und nach Masse als über Qualität. Natürlich gibt es aber auch Haushalte in Deutschland, die unter Druck sind und weniger Geld zur Verfügung haben.

Glutenfrei, vegan, bio: Manche Kritiker bemängeln, dass Ernährung beinahe den Status einer neuen Religion erlangt. Wie sehen Sie das?

Ich glaube, wir befinden uns gerade in einem Umbruch. In meinem privaten und geschäftlichen Umbruch ist das ein Thema, das immer mehr zunimmt. Gerade bei den sogenannten Millennials, der Generation, die in den 80er- und 90er-Jahren geboren wurde, ist Nachhaltigkeit am Kommen. Das liegt an der digitalen Vernetzung und der permanenten Frage nach der Sinnhaftigkeit. Diese Generation hinterfragt am meisten und ist auch am meisten dazu bereit, ihr Konsumverhalten für die Umwelt zu ändern. Babyboomer und die Generation 50+ sehen das oft ganz anders.

Gesunde Ernährung erlebt gerade einen Hype in bestimmten Bevölkerungsgruppen. Veganer zelebrieren das total und sind radikale Gegner vom Fleischverzehr. Vegetarier sind da ein wenig flexibler. Alles in allem bin ich aber davon überzeugt, dass es zum Thema gemacht werden muss. Wir sollten allerdings die Eingruppierung in Schubladen vermeiden. Mehr Bewusstsein und Wertschätzung für unser Essen und wo es herkommt ist aber unabdingbar, um unsere Ernährung nachhaltiger zu gestalten, sowohl für uns als auch für den Planeten.

Wie hat sich Ihr eigenes Kaufverhalten verändert, seitdem Sie sich so intensiv mit dem Thema Nachhaltigkeit beschäftigen?

Ich habe wie schon gesagt mit zwölf Jahren aufgehört, rotes Fleisch zu essen. Geflügel esse ich noch ab und zu, aber auch das versuche ich in Maßen zu genießen. Ich habe auch versucht, vegane Tage einzulegen, das fällt mir aber noch recht schwer. Zu Milch im Kaffee habe ich noch keine gute vegane Alternative gefunden, die mir schmeckt. Ich probiere sehr viele neue Sachen aus: Ob Spezialitäten aus der Region oder Sojaprodukte als Fleischalternative. Mittlerweile habe ich auch meinen Mann und meine Freunde angefixt.

Schon zum Frühstück kannst du anfangen – und statt Butter Margarine auf dein Brötchen schmieren. Das ist einfach und schmeckt gut. Man kann schon mit Kleinigkeiten etwas bewirken. Auch bei Modelabeln schaue ich nach deren Philosophie: Einige zelebrieren Nachhaltigkeit richtig, was ich sehr schön finde. Da kaufe ich lieber weniger, lebe dafür aber nachhaltig.

In unserem Haushalt sind zum Beispiel alle Geräte aus und nicht auf Stand-by. Im Supermarkt habe ich schon immer meine eigene Tragetasche mitgenommen, um Plastikmüll zu vermeiden. Und auch Wasserflaschen müssen nicht immer gekauft werden, manchmal tut’s auch einfaches Leitungswasser. Es sind die vielen kleinen Dinge, die zählen. So ist zum Beispiel schon ein Pappbecher weniger am Tag gut für unsere Umwelt - oder auch einfach weniger tierische Produkte auf dem Teller.

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