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Warum macht Fasten high?

Glas mit Wasser
© Cozine / Shutterstock
Nichts essen – und das Leben ist schön. Warum das beim Fasten so ist, weiß der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther.

BRIGITTE: Herr Hüther, Sie haben Hunger sozusagen zum Forschungsprojekt gemacht...

HÜTHER: Moment, Fasten ist nicht das Gleiche wie Hungern. Beim Fasten entscheidet man sich freiwillig, vorübergehend – also maximal 40 Tage – keine Nahrung zu sich zu nehmen, nur zu trinken, obwohl genug zu essen da ist.

BRIGITTE: Aber wie merkt mein Kopf, ob ich freiwillig faste oder gezwungenermaßen hungere?

HÜTHER: Sackt der Blutzuckerspiegel ab, ist das normalerweise eine bedrohliche Nachricht. Die Nervenzellen, die ihn ständig messen, melden es ans Hungerzentrum im Zwischenhirn, das sofort alle Kräfte für die Nahrungssuche mobilisiert. Ist die nicht gleich erfolgreich, gilt Alarmstufe rot, Stresshormone durchfluten den Körper. So reagierten auch einige Patienten, die wir für unsere Studien in einer Fastenklinik untersucht haben. Das waren diejenigen, die vom Arzt zur Kur verdonnert wurden. Ärztliche Begleitung ist zwar empfehlenswert, aber der Entschluss zum Fasten muss freiwillig sein. Dann stuft das Bewertungszentrum in der Hirnrinde die Situation als nicht bedrohlich ein. Das Hungersignal wird zurückgepfiffen, bevor das Magenknurren einen kirre macht.

BRIGITTE: Aber in den ersten Tagen fühlt man sich doch eher mies. Woran liegt das?

HÜTHER: Der Stoffwechsel muss sich von äußerer Nahrungszufuhr auf die Nutzung eigener Fettreserven umstellen. Jede Zelle merkt, dass nicht genug Energie da ist, und sendet entsprechende Signale. Da es uns sonst so gut geht, sind wir das nicht gewohnt, fühlen uns, als hätten wir Fieber. Das dauert aber in der Regel nur drei Tage.

BRIGITTE: Stattdessen kommt dann das vielbeschworene Fasten-High?

HÜTHER: Da ist schon etwas dran. Vom Gehirn wird dann vermehrt das Glückshormon Serotonin ausgeschüttet. Es bewirkt einen Zustand innerer Harmonisierung. Fastende fühlen sich dadurch verbundener mit sich und der Welt, sind gelassener und offener für neue Wahrnehmungen. Einen sehr ähnlichen Effekt lösen bestimmte Psychopharmaka aus. Stärker zu sein als der Hunger hebt außerdem das Selbstwertgefühl.

Fallback-Bild

BRIGITTE: Da kann man ja glatt abhängig werden...

HÜTHER: Die vom Fasten ausgelösten Hochgefühle können tatsächlich süchtig machen, wenn man seelische Probleme hat und entdeckt, dass sich Angst und Verunsicherung dadurch abschalten lassen. Wer fasten will, sollte darum besser einen Arzt konsultieren.

BRIGITTE: Kann man bei so viel Durcheinander in Körper und Seele noch schlafen?

HÜTHER: Fastende schlafen nicht so lange, fühlen sich aber trotzdem erholt. Sie schlafen auch weniger tief und stoßen dadurch leichter in die Regionen kurz unter der Wach-Schwelle vor, in denen Träume intensiver sind, leichter erinnerbar. Ein faszinierendes Phänomen, das wir in unserer letzten Studie entdeckt haben, aber auch noch nicht näher erklären können.

BRIGITTE: Woher nimmt der Körper den Elan, wenn die Energiezufuhr ausbleibt?

HÜTHER: 80 Prozent des gesamten Energiehaushaltes werden vom Kopf beansprucht, jede Hirnaktivität kostet eine Menge Kraft. Und je mehr tägliche Hektik wir haben, desto mehr Schaltkreise werden aktiviert, um dem Druck zu begegnen. Durch die vermehrte Serotonin-Ausschüttung beim Fasten kommt der Kopf zur Ruhe, Energie wird frei, kann anders genutzt werden.

BRIGITTE: Wie lange halten die positiven Effekte an, wenn ich aufhöre zu fasten?

HÜTHER: Kopf und Körper schalten etwa drei Tage nach dem Fastenbrechen wieder auf Normalbetrieb, auch der Serotonin-Pegel sinkt dann auf das alte Niveau. Was aber bleibt, ist eine neue Erfahrung - etwas geschafft zu haben, das man sich kaum zugetraut hätte. Das kann lange nachwirken.

Interview: Tanja ReuschlingBRIGITTE 04/05

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