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Wie viel Wasser sollten wir trinken?

Nicht ohne meine Wasserflasche! Viel Wasser trinken macht angeblich schön, schlank und gesund. Doch stimmt das überhaupt?

Haben Sie heute schon genug getrunken? Also, wirklich genug? Die Wasserflasche da auf dem Tisch ist doch noch halb voll. Was, erst anderthalb Liter bis jetzt? Sind Sie lebensmüde?! Sie haben wohl noch nie einen der vielen Wasser-Ratgeber gelesen, "Wasser trinken wirkt Wunder" oder "Sie sind nicht krank, Sie sind durstig". Sonst wäre Ihnen das Lachen schon vergangen! Wasser hilft nämlich gegen alles. Gegen Kopfschmerzen, Husten, Schnupfen, Verstopfung, Übergewicht und Falten. Und viel Wasser hilft viel, weiß man ja. Oder vielleicht doch nicht?

In der Tat lassen neue Erkenntnisse Zweifel aufkommen. Gehen wir dem verbreiteten Wasserwahnsinn also mal auf den Grund. "Der generelle Ratschlag, möglichst viel zu trinken, ist kompletter Unfug", sagt Dr. Jan Galle, Sprecher der deutschen Gesellschaft für Nephrologie (Nierenheilkunde). "Es reicht, 'ausreichend' zu trinken - so viel, wie Sie brauchen, um eine ausgeglichene Flüssigkeitsbilanz für Ihren Körper zu erstellen." Bei einer jungen, gesunden Frau zum Beispiel sind das rund anderthalb bis zwei Liter. Alles, was darüber hinausgehe, bringe keinen medizinischen Nutzen: "Wenn Sie doppelt so viel trinken, wie Sie eigentlich müssten, tun Sie sich damit keinen Gefallen", so Galle. "Sie werden dadurch nicht gesünder, schöner oder glücklicher. Das ist ein Irrglaube."

Damit bestätigt er die Ergebnisse, die seine amerikanischen Kollegen Stanley Goldfarb und Dan Negoianu von der University of Pennsylvania in Philadelphia vor Kurzem veröffentlicht haben. Die zwei US-Forscher haben den Wissensstand zum Thema zusammengefasst und dabei festgestellt: Für nahezu jede dem Wasser nachgesagte Wirkung fehlen Belege. Weder sei es bewiesen, dass viel Wasser trinken gegen Migränekopfschmerz helfe, noch, dass es das Hautbild verbessere oder gar Giftstoffe aus dem Körper schleuse. Fundierte Studien auf diesem Gebiet gebe es kaum, so das trockene Fazit.

Eine der wenigen Ausnahmen ist eine kleine Studienreihe an der Berliner Charité, die untersucht, inwieweit Wasser trinken Übergewicht vorbeugen kann. Sieben Frauen und Männer ließ man morgens auf nüchternen Magen ein Glas Leitungswasser trinken - mit messbarer Wirkung: Das Wasser aktivierte den Stoffwechsel und kurbelte den Energie-Umsatz beträchtlich an. "Reines Wasser trinken hat eine biologische Bedeutung", sagt Dr. Michael Boschmann, Leiter der Studie. Allein durch Wasser trinken könnten täglich bis zu 100 Kilo kalorien zusätzlich verbraucht werden - auf ein Jahr bezogen entspricht das dem Energiegehalt von fünf Kilogramm Fett.

Also doch schnell alle Wasservorräte leeren und bald viele Kilo leichter sein?

Nein, sich einfach schlank trinken könne man nicht, erklärt Dr. Michael Boschmann. Mit seinen Daten lasse sich zwar eindeutig belegen, dass unser Trinkverhalten die Entstehung von Übergewicht beeinflussen kann, steigern lasse sich der untersuchte Effekt aber nicht beliebig. "Viel trinken hilft auch hier nicht viel. Niemand muss von früh bis spät mit einer Wasserflasche herumrennen", sagt Boschmann. "Aber wenn Sie trinken, dann besser Wasser oder Kräutertees als zuckerhaltige, konzentrierte Flüssigkeiten bzw. Energy-Drinks. Das ist für den Stoffwechsel wesentlich günstiger." Ganz normales Leitungswasser sei eigentlich die beste Wahl, auch weil es in Deutschland streng kontrolliert sei.

Moment. Wollten Sie Ihre Wasserflasche gerade wegstellen? In die Ecke verbannen? Warten Sie kurz.

Falls Sie zu den Leuten gehören, die gern in heißen Gefilden Marathon laufen oder Radrennen fahren: Dann brauchen Sie in der Tat eine Extra-Ration. Bei einer Tour in großer Hitze kann ein Rennradfahrer schon einmal sechs Liter brauchen, um seinen Flüssigkeitshaushalt wieder ins Lot zu bringen. Frauen verlieren aber insgesamt weniger Flüssigkeit als Männer, weil sie eine kleinere Hautoberfläche haben und meist nicht so viel schwitzen. Wer Probleme hat, seinen persönlichen Bedarf einzuschätzen, dem empfiehlt Nierenexperte Dr. Galle, ein "Schulheft" anzulegen, in dem jeden Morgen nach Entleeren der Blase das Körpergewicht festgehalten wird. So kommt man Wassermangel am besten auf die Spur.

Wem das zu ungenau ist, dem bleibt wohl nicht anderes übrig, als seinen Urin einen Tag lang zu sammeln, so wie es Dr. Claudia Naoum vom Nierenzentrum im Berliner St.-Hedwig-Krankenhaus schon mal ihren Patienten empfiehlt. Zwei Liter Urin sollten am Ende des Tages mindestens im Glas sein. Wie viel man dafür trinken müsse, sei individuell sehr verschieden. "Bei drei Litern kann man aber eigentlich aufhören, mehr ist fast immer unnötig", sagt sie.

Ein kleiner Trost bleibt allen, die sich gern viel Wasser einflößen: Einen über den Durst zu trinken macht zwar nicht gesünder, schadet aber auch nicht. Der Körper eines gesunden Menschen scheidet gegebenenfalls mehr Flüssigkeit und weniger Salze aus und reguliert sich auf diese Weise problemlos selbst.

Darauf jetzt aber mal einen ordentlichen Schluck! Oder auch einen ganz kleinen ...

Text: Sina Teigelkötter Ein Artikel aus der BRIGITTE

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