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Gesünder essen durch Selbstmanipulation – so geht's!

Gesünder essen durch Selbstmanipulation: Frau schneidet Paprika
© NemanjaMiscevic / Shutterstock
Der Ernährungspsychologe Brain Wansink erforscht seit 25 Jahren unser Essverhalten. Sein Fazit: Ein paar kleine Selbstmanipulationen - und schon ernähren wir uns gesünder.

BRIGITTE: Wir wissen ziemlich genau, was dick macht und was nicht. Trotzdem werden wir beim Anblick eines Schokomuffins schwach. Warum?

PROF. BRIAN WANSINK: Für dieses Verhalten gibt es aus psychologischer Sicht ganz sachliche Erklärungen. Erstens: Nasch-Versuchungen sind heutzutage überall verfügbar. An jeder Tankstelle, Bäckerei und in jedem Mini-Kiosk liegen rund um die Uhr Snacks und Süßigkeiten parat. Zweitens: Sie kosten nicht viel. Und drittens: Es gibt für jede Vorliebe die passende Geschmacksrichtung. Leichte Verfügbarkeit, geringer Preis, hohe Attraktivität - all das verleitet fast automatisch zum Zugreifen. Und macht das Nicht-Zugreifen wahnsinnig schwer.

Weil wir täglich unzählige Male mit der Entscheidung konfrontiert werden: Soll ich oder soll ich nicht?

Ja, auch eine normalerweise willensstarke Frau wird beim Anblick eines frischen Schokomuffins denken: Ui, der sieht aber lecker aus! Und zack, steckt sie im Entscheidungsdilemma. Der innere "Ja-nein-vielleicht"-Kampf beginnt ...

... den wir nur zu oft verlieren.

Das sollten wir aber nicht als Versagen interpretieren. Unser Alltag steckt voller Entscheidungen, im Privatleben wie im Job. Jede einzelne kostet das Gehirn Energie. Wenn wir uns dann in Pausen auch noch Nasch-Versuchungen aussetzen und uns mit viel Willenskraft bewusst dagegen entscheiden müssen, dann ist das tatsächlich richtig anstrengend. Und es ist menschlich, den Versuchungen zu erliegen, wenn wir sie bereits vor der Nase haben. Deshalb ist der umgedrehte Ansatz viel einfacher: Verändere deine Umgebung, damit du so selten wie möglich in diese Entscheidungssituationen kommst. Hab Schoki, Chips und Co. nicht ständig in Sicht- und Griffweite, und du wirst automatisch weniger davon essen. Es ist nämlich so: Du isst, was du siehst.

Wir müssen also nur unsere Küchen, Esstische und Büros umräumen?

Ja, und der Effekt ist überraschend groß. Wir haben in den USA im Rahmen einer Studie die Bewohner mehrerer Haushalte besucht, gewogen und Fotos von ihren Küchen gemacht. Ergebnis: Wenn Essen irgendwo in der Küche sichtbar war - zum Beispiel Keks- oder Müslipackungen auf der Arbeitsplatte -, wogen die Bewohner im Durchschnitt vier Kilogramm mehr als der Nachbar ohne derlei sichtbare Snacks. Je weniger Kalorienhaltiges in den Blick gerät, desto weniger kommt einem überhaupt in den Sinn, dass man Appetit darauf haben könnte.

Wir füllen uns größere Portionen auf, wenn der Teller und das Essen ähnliche Farben haben

Betrifft dieses "Aus den Augen, aus dem Sinn"-Prinzip auch den Kühlschrank? In den schauen wir ja zwangsläufig mehrfach am Tag.

Der Schlüssel ist die Verpackung. Im Kühlschrank oder Vorratsschrank gilt: Je gesünder der Snack, desto sichtbarer sollten wir ihn verstauen; je ungesünder, desto versteckter. Das heißt: Aufgeschnittenes Obst und Gemüse in transparenten Tupperdosen oder in Frischhaltefolie aufbewahren und auf Augenhöhe in den Kühlschrank stellen. Pizza- oder Dessertreste, Kekse, Schokolade und Chips in undurchsichtige Tupperdosen oder Aluminiumfolie packen und weit hinter andere Sachen räumen.

Die Sachen, die ins Auge fallen, sind im Durchschnitt nach zwei Tagen verputzt, die Versteckten bleiben bis zu zehn Tage unangetastet oder werden ganz vergessen. Außerhalb von Schränken gilt: Das Einzige, was immer sichtbar herumstehen darf, sind ein lecker gefüllter Obstkorb und Gemüsesticks. Auch und vor allem im Büro!

Sie haben herausgefunden, dass wir unser Essverhalten auch mit der Geschirrwahl beeinflussen können. Wie das?

Zum einen ist die Größe entscheidend: Wir essen deutlich weniger aus kleinen Schüsseln oder von kleinen Tellern - weil sie schneller voll wirken und wir früher denken: "Hui, das ist ja schon eine ordentliche Portion." Ebenso trinken wir weniger Saft und Alkohol aus hohen schmalen Gläsern als aus flachen, breiten. Und tatsächlich hat auch die Tellerfarbe einen Effekt: Wir laden uns größere Portionen auf, wenn der Teller und der Hauptbestandteil des Gerichts ähnliche Farben haben. Denn helle Lebensmittel wie Nudeln, Reis, Couscous oder Kartoffeln verschwimmen optisch auf weißen Tellern mit dem Untergrund.

Die tatsächliche Menge ist schwerer abzuschätzen, wir nehmen uns etwa zehn bis 20 Prozent mehr. Auf farbigen Tellern ist zum Beispiel der Kontrast zu Nudeln stärker, und wir nehmen weniger - weil wir schneller den Eindruck haben: Das sind viele Spaghetti, das reicht. Gut ist es auch, die Töpfe zum Nachfüllen nicht auf den Tisch zu stellen, sodass man für den Nachschlag in die Küche gehen muss.

Sie forschen seit 25 Jahren über unser Essverhalten. Was haben Sie noch herausgefunden?

Viele Frauen machen sich strenge Vorschriften: Ich muss endlich mit den Süßigkeiten aufhören! Aber ganz ohne wäre das Leben ja ziemlich öde. Reduzieren ist eine viel bessere Idee. In einer Studie haben wir untersucht, welche "Nasch-Menge" wir wirklich brauchen,
damit unsere Gelüste befriedigt sind. Das
Ergebnis: Dafür ist gar nicht eine ganze
Tafel Schokolade nötig. Wenn die Testpersonen nur ein Viertel der Menge
snackten, von der sie annahmen, dass sie
sie bräuchten, gaben sie 15 Minuten später an, dass ihr Jieper genauso befriedigt
war, als hätten sie die ganze Portion
gegessen. Und sie hatten kein schlechtes Gewissen.

Dieser Effekt funktioniert aber
nur unter zwei Bedingungen: Wir müs
sen die restlichen drei Viertel des Snacks sofort wieder wegräumen. Und: Wir müssen uns für 15 Minuten mit irgendetwas von der Versuchung ablenken, im Büro wie zu Hause: ein Telefonat erledigen, den Schreibtisch oder die Küche aufräumen, für eine Besprechung in das Zimmer eines Kollegen gehen. Egal was - nach 15 Minuten haben wir unseren inneren Nasch-Frieden gefunden.

Im Obst- und Gemüsebereich gemütlicher herumschlendern als vor dem Chipsregal

Das Verlangen nach Fettigem und Süßem überkommt uns ja meistens, wenn wir gestresst oder traurig sind.


Ja, die Stimmung beeinflusst auf jeden Fall, was und wie viel wir essen - das nennen wir "mood food". Wir müssen aber nicht frisch verknallt sein, um weniger zu essen, es reicht schon aus, die Stimmung ein kleines bisschen zu heben.

Um positive Emotionen hervorzurufen, haben wir Testpersonen gebeten, kurz vor dem Essen oder Snacken aufzuschreiben, für was sie an diesem Tag dankbar sind. Das konnten Kleinigkeiten sein: Der leckere Coffee to go, das schöne Wetter, das Lächeln eines Fremden im Bus. Die Menschen, die vor dem Essen kurz innehielten und bewusst über positive Dinge reflektierten, snackten bis zu zehn Prozent weniger und gesünder. Diesen kleinen Trick kann man durchaus als Ritual in den Alltag einbauen, auch mit der Familie.

Noch effektiver als das Umgestalten wäre ja vermutlich, kalorienreiche Snacks gar nicht erst in der Wohnung oder im Büro zu haben. Können wir uns auch beim Einkaufen selbst austricksen?

Ja klar. Zum Beispiel, indem wir unseren Einkaufswagen in Gedanken oder mit unserer Handtasche in zwei Hälften teilen. Obst und Gemüse kommt in das vordere "Abteil", alles andere in das hintere. Da wir bei jedem Griff überlegen müssen, wo das Lebensmittel hingehört und deutlich sehen, ob unser Einkauf ausgewogen ist, beschäftigen wir uns viel mehr damit, was und wie viel wir in den Wagen legen.

Ein weiterer Trick: gesunde Dinge wie Obst, Gemüse, mageres Fleisch und Fisch zuerst einkaufen. Zum einen ist der Wagen dann schon gut gefüllt, bevor wir in den Süßigkeiten-Gang oder zur Bäckerei abbiegen. Und zum anderen sind unsere Gedanken bereits auf gesund gepolt, und wir werden auch beim weiteren Einkauf automatisch gesündere Entscheidungen treffen. Noch ein Tipp: Im Obst- und Gemüsebereich etwas gemütlicher herumschlendern als vor dem Chipsregal. Die Zeit, die wir in einem Bereich verbringen, beeinflusst nämlich, wie viel wir kaufen.

Brigitte 20/2018

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