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Ernährungsfalle: Wie uns die Lebensmittelindustrie manipuliert

Ernährungsfalle: Frau hält Donut vor ihr Gesicht
© ViChizh / Shutterstock
Hormone bestimmen, ob wir glücklich oder traurig sind - und auch, ob uns etwas schmeckt oder nicht. Wie die Industrie sich das zunutze macht, erklärt der US-Endokrinologe Dr. Robert H. Lustig

Brigitte: Lebensmittelhersteller manipulieren unser Glücksempfindenden, sagen Sie. Wie das?

Dr. ROBERT H. LUSTIG: Die Lebensmittelindustrie hat schon früher unsere Nahrung mit Substanzen versetzt, die den Dopaminspiegel ansteigen lassen, uns einen kurzfristigen Kick bringen und das Verlangen nach mehr steigern. Coca- Cola zum Beispiel: Als John Pemberton sein Gebräu 1886 erfand, enthielt es Kokain, Alkohol, Zucker und Koffein. 1903 verbot die Behörde Kokain und Alkohol.

Es zeigte sich aber, dass Zucker und Koffein ausreichten, damit wir weiter Cola tranken. Heute enthalten 74 Prozent der Lebensmittel in den USA zugesetzten Zucker - weil er billig ist und die Industrie weiß, dass die Menschen die Produkte dann eher kaufen. Er aktiviert Dopamin und das Belohnungszentrum, sodass wir immer mehr davon essen wollen. Zuckerhaltige Produkte gibt es heute für wenig Geld an jeder Straßenecke.

Vergnügen ist kurzlebig

Aber Schokolade zu essen macht doch nun mal glücklich.

Eben nicht - Vergnügen und Glück sind nämlich nicht dasselbe. Das will uns die Lebensmittelindustrie mit ihrer Werbung nur einreden und hat uns in eine Spirale von Verlangen und schneller Befriedigung durch Konsum verwickelt. Vergnügen ist Dopamin, Glück ist Serotonin - das sind zwei verschiedene Neurotransmitter, die in verschiedenen Gehirnarealen wirken.

Die Wirkung von Dopamin - zum Beispiel nach dem Verzehr von Zucker - hält aber nur sehr kurz an, vielleicht eine Stunde. Dopamin stimuliert das Belohnungszentrum, und wir wollen sofort mehr. Serotonin hingegen wirkt in der Großhirnrinde und gibt uns ein Gefühl der Gelassenheit, inneren Ruhe und Zufriedenheit. Das ist es, was wir uns eigentlich wünschen.

Beim Lesen Ihres Buches bekommt man das Gefühl, wir lebten in einer depressiven, abhängigen, übergewichtigen Gesellschaft ...

Das tun wir! Deshalb habe ich ja das Buch geschrieben. Zucker enthält nicht einfach nur leere Kalorien, wie wir uns gern einreden. Er beeinflusst das Gehirn ähnlich stark wie Alkohol und Kokain. Außerdem lässt alles, was den Dopaminspiegel ansteigen lässt, den Serotoninspiegel sinken. Das raubt uns langfristig jegliche Zufriedenheit, bis hin zur Depression.

In den USA beobachten wir zurzeit vier Krisen: des Gesundheitssystems, der sozialen Absicherung, der Sucht und der Depression. Aber eigentlich steckt nur eine einzige Krise hinter diesen vier Phänomenen: die Unfähigkeit, zwischen Vergnügen und Glück zu unterscheiden und zu erkennen, dass die Industrie uns dazu verleiten will, Dinge zu kaufen, damit es uns vermeintlich besser geht - die uns aber in Wirklichkeit fett, krank, dumm, süchtig und depressiv machen.

Wie können wir das ändern?

Wir müssen Serotonin erhöhen und Dopamin sowie das Stresshormon Kortisol senken. Und das ist gar nicht schwer: Erstens, wir müssen uns mit anderen Menschen verbinden, von Angesicht zu Angesicht. Zweitens, wir müssen zu etwas beitragen, außerhalb von uns selbst, zum Beispiel durch ehrenamtliche Tätigkeit. Drittens, wir müssen ausreichend schlafen, achtsam sein und uns bewegen. Und viertens, wir sollten frisch kochen. Richtiges, natürliches Essen zuzubereiten und es mit der Familie oder Freunden zu teilen - das ist ganz viel Serotonin!

Fazit: Eine umfassende Erklärung, wie unser Konsumverhalten und unsere Gesundheit tagtäglich beeinflusst werden, ohne dass wir es merken.

Brain Washed Buch-Cover
Dr. Robert H. Lustig ist Professor für Neuroendokrinologie an der Universität in San Francisco. Sein Buch heißt "Brainwashed" (384 S.,19,99 Euro, Riva)
© PR

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Brigitte 24/2018

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