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Trends in der Ernährung: Kurs vegan

Warum wir anfangen, beim Essen grundlegend umzudenken: Über die Trends in der Ernährung hat BRIGITTE-Mitarbeiterin Katja Töpfer mit der Food-Trendforscherin Hanni Rützler gesprochen.

Die Food-Trendforscherin Hanni Rützler ist eine Koryphäe, wenn es um die Erforschung von Trends in der Ernährung geht. Sie berät große Konzerne wie Nestlé und Danone und auch den Demeter-Verband hinsichtlich neuer Produktideen. Und ihr Terminkalender ist randvoll. Daher treffen sich BRIGITTE-Mitarbeiterin Katja Töpfer und Hanni Rützler im ICE auf der Strecke nach Wien, wo die 51-Jährige lebt. Damit das Gespräch nicht zu theoretisch wird, hat Katja Töpfer eine zünftige bayerische Brotzeit mit Tegernseer Bergkäse, Bretzn, Obatzda, Radieschen, Leberkäse und Bauernbrot mitgebracht.

BRIGITTE: Guten Appetit!

Hanni Rützler: Vielen Dank! Ich habe nicht zu Mittag gegessen und bin sehr hungrig.

Dabei ist Genießen in Ihrem Beruf doch Dauerprogramm. Sie besuchen ständig die angesagtesten Restaurants - nutzt sich Genuss nicht ab?

Überhaupt nicht, ich brauche ihn! Momentan bin ich viel unterwegs. Abends im Hotel ist es sehr schwer, etwas Gutes zu essen zu bekommen. Wenn ich Stress habe und das Essen nicht schmeckt, geht es mir nicht gut. Inzwischen plane ich meine Genusspausen auf Reisen sehr bewusst ein. Wenn ich gut esse, merke ich, dass ich langsamer werde, mich entspanne und ankomme. Für mich ist gutes Essen eine Quelle der Inspiration.

Sie haben gerade eine Studie mit den neuesten Trends veröffentlicht. Welches Essen macht uns in Zukunft glücklich?

Wir entdecken beim Essen heute wieder die Sinnlichkeit und die Lust. Im vergangenen Jahrzehnt hatten wir einen Gesundheits-Hype. Nudeln mussten aus Vollkorn sein, man sollte fettarm kochen, immer frühstücken. Es gab so viele Verbote und Gebote, wir waren beim Essen total kopfgesteuert. Das hat einfach keinen Spaß mehr gemacht.

Heißt das, gesundes Essen ist out?

Gesundheit ist nach wie vor ein MegaTrend. Aber gesundes Essen wird sexy, es verführt uns. Auf langweilige Gemüsebratlinge haben wir keine Lust mehr. Im Trend liegen ausgefallene, leichte Kreationen mit viel Gemüse, Kräutern und superfrischen Zutaten - Gerichte, die Frauen schon seit Langem gut finden, auch weil sie damit leichter ihr Gewicht halten können. Inzwischen springen auch die Männer auf diesen Trend auf. Der Boom an vegetarischen und veganen Kochbüchern zeigt das große Genießer-Potenzial, das gesundes Essen hat.

Aber welche Frau kann denn heute noch täglich frisch kochen? Die Zeiten sind doch vorbei ...

Und das ist auch gut so. Ich koche inzwischen eher selten, denn mein Mann macht das gern, und ich lasse mich gern bekochen. Historisch betrachtet war das Nicht-kochen-müssen ein Befreiungsschlag, denn über Jahrhunderte waren wir Frauen automatisch für das Kochen zuständig. Es gibt inzwischen viele Angebote, die es uns leichter machen, gesund zu essen, und mit denen sich das Kochen auch für Anfänger einfach und zeitsparender gestalten lässt. Man kann im Internet das Gericht auswählen und sich Zutaten in den passenden Mengen nach Hause liefern lassen. In großen Städten gibt es Public Kitchens, eine Art Nachbarschaftstreff, wo man sich beim Kochen abwechselt. Die Supermärkte bieten vermehrt frisch zubereitete Convenience-Produkte mit viel Gemüse an.

Wir leben im totalen Überfluss: In jedem normalen Supermarkt gibt es exotisches Obst, man kann unter 50 verschiedenen Brot- und gefühlt 100 Käsesorten auswählen. Was macht das mit unserem Essverhalten?

Es überfordert uns. Das ist nicht das Paradies auf Erden, sondern eher eine sinnlose Tyrannei. Außerdem ist die Qualität vieler Lebensmittel an der untersten Grenze angelangt, ein Skandal jagt den nächsten. Wir kaufen zu billige Lebensmittel von schlechter Qualität und fadem Geschmack und schmeißen dann ein Drittel weg. Was bringt uns das? Das Noch-mehr und das ewige Zuviel machen uns nicht glücklich!

Hanni Rützler ist Ernährungswissenschaftlerin, Foodtrend-Expertin und Gesundheitspsychologin in Wien, außerdem Gründerin und Leiterin des futurefoodstudios (www.future foodstudio.at), wo Workshops und Kochkurse stattfinden. G erade ist in Kooperation mit dem Zukunftsinstitut in Frankfurt ihr "Food-Report 2014" erschienen.
Hanni Rützler ist Ernährungswissenschaftlerin, Foodtrend-Expertin und Gesundheitspsychologin in Wien, außerdem Gründerin und Leiterin des futurefoodstudios (www.future foodstudio.at), wo Workshops und Kochkurse stattfinden. G erade ist in Kooperation mit dem Zukunftsinstitut in Frankfurt ihr "Food-Report 2014" erschienen.
© Foto: Zukunftsinstitut GmbH

In Ihrer aktuellen Studie geht es viel um die neue Lust auf Gemüse. Sind wir in zehn Jahren alle Vegetarier?

Bestimmt nicht. Aber die vegetarische Küche hat ihr genussfeindliches Image abgelegt. Vor zehn Jahren waren Veganer die, die sich am gesündesten ernährten und besonders ungesund aussahen. Heute sind sie die neuen Trendsetter. Selbst die Top-Gastronomie entdeckt die Pflanzenküche mit herrlichen Kreationen neu. Erstmals seit Jahren stagniert in Deutschland der Fleischkonsum. Viele Verbraucher können nicht mehr ausblenden, wie unappetitlich und grausam die Massenproduktion von Fleisch abläuft. Sie wollen wissen, unter welchen Bedingungen ihr Fleisch produziert wird. Da gibt es inzwischen viele spannende neue Initiativen. Zum Beispiel bieten Metzger Kurse für Fleischliebhaber an. Die Teilnehmer lernen, Qualität zu erkennen, das Fleisch selbst zu zerlegen, und erfahren nebenbei viel über die Rasse und die Tierhaltung. Übrigens, der Leberkäse, den Sie mitgebracht haben, schmeckt mir wirklich sehr gut.

Er stammt von einem Münchner Traditionsmetzger, der nur Fleisch von Tieren aus der Region verarbeitet und genau erklärt, was in seinen Würsten steckt. Dafür musste ich allerdings durch die halbe Stadt radeln.

Der Aufwand hat sich gelohnt.

Ist aber nicht alltagstauglich. Ich kann doch nicht immer hinterfragen, was in der Wurst ist oder ob für das Soja-Schnitzel Regenwald dran glauben musste ...

Vor Kurzem habe ich mich mit einem jungen Mann in einem Kleidergeschäft unterhalten. Er sagte: "Ich kann mir nicht mal mehr ein T-Shirt kaufen, ohne dass irgendwo ein Kind stirbt." Gemeint war die Diskussion um die erbärmlichen Arbeitsbedingungen in der Textilbranche. Dieses Zitat trifft es sehr gut. Es ist mittlerweile eine Herausforderung geworden, die "richtige" Wahl beim Essen zu treffen. Gleichzeitig gibt es immer mehr Alternativen.

Und wie sehen die aus?

In meinem neuen Food-Report zeige ich auf, dass der Anteil an Flexitariern zunimmt. Das heißt: Im Alltag essen immer mehr Menschen vegetarisch, aber wenn sie dann mal Lust auf ein schönes Stück Fleisch haben, entscheiden sie sich für bessere Qualität, für regionale Herkunft, eine spezielle Rasse, Haltung oder Reifung.

Gerade Fleisch ist oft billiger als Gemüse. Gesundes Grünzeug können sich viele gar nicht ständig leisten.

Das stimmt, denn wenn ich nicht weiß, wie ich finanziell über die Runden komme, werden Gesundheit und Genuss zur Nebensache. Interessanterweise stellen wir aber fest, dass der Trend zu mehr Genuss gerade während der Wirtschaftskrise stark wurde. In unsicheren Zeiten verschieben sich die Werte. Es gibt eine größere Wertschätzung für immaterielle Werte wie Freundschaft, Familie, Natur und eine wachsende Sehnsucht nach guter Qualität. Ein gemeinsames Essen mit Freunden ist für viele inzwischen wichtiger als das große Auto oder die teure Fernreise.

Genießen für Trendsetter

Begehbare Rezeptbücher In den "Kochhaus"-Filialen kauft man komplette Mahlzeiten im Rohzustand: die Zutaten in der exakt benötigten Menge plus Kochanleitung. Man kann auch online bestellen und liefern lassen: www.kochhaus.de. Auch hier gibt's Rezepte und Zutaten an die Haustür: www.kommtessen.dewww.kochzauber.dewww.hellofresh.de

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Interview: Katja Töpfer

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