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Epi-Food Der Ernährungstrend Epi-Food im Check

Epi-Food: Gemüse, das in einem Halbkreis auf einer dunklen Holzplatte liegt
© Natalia Sem / Shutterstock
Ja, unsere Erbanlagen legen einiges für unser Leben fest. Aber unser Schicksal sind sie nicht. Denn wir können sie durch unsere Ernährung beeinflussen. Nennt sich Epi-Food und ist gerade ein ziemlicher Trend.

Stelle dir deinen Körper als einen riesigen Rechner vor. Ständig baut er sich um, datet sich ab, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Repariert Zellen, transportiert Stoffwechselprodukte ab, baut Proteine ein. Das macht er ganz von selbst, automatisch. Wie rund das aber läuft, liegt an uns – genauer gesagt daran, wie unser Rechner ausgerüstet ist und wie wir mit ihm umgehen.

Gene sind wie ein Betriebssystem

Unsere Gene sind dabei so etwas wie das Betriebssystem dieses Biorechners. Der Datensatz jeder einzelnen Zelle liegt dort verschlüsselt und gespeichert, wie eine Art Hardware unseres Körpers. Lange dachte man, die Gene seien unveränderlich. Doch seit das menschliche Erbgut entschlüsselt ist, weiß man: Gene haben weniger Bedeutung für unsere Gesundheit als angenommen. Denn nur ein geringer Teil von ihnen wird überhaupt abgelesen. Viele sind sogar dauerhaft abgeschaltet. Es kann zum Beispiel sein, dass eine Frau ein Brustkrebs-Gen hat, es aber nicht aktiviert wird.

Wie ein Computer verfügt unser körpereigenes Betriebssystem auch über eine Software. Auf den Genen befinden sich nämlich sogenannte On-off-Schalter, die dafür sorgen, dass sich Genprogramme über längere Zeiträume auffalten und abgelesen werden können oder aber zufalten und damit abgestellt sind. Dieses Auf- und Zufalten bezeichnet man als Epigenetik. Und an diesem Punkt wird es wirklich spannend: Denn diese Software können wir selbst mit unserem Lebensstil beeinflussen!

Es sind vor allem Biostoffe aus Lebensmitteln, aber auch die Art unserer Lebensführung – Sport, Stress, Umweltgifte – die diese On-off-Schalter aktivieren. Nicht die Gene steuern also uns, sondern wir steuern zu einem gewissen Teil unsere Gene – und damit unsere Gesundheit.

Gute Gene kann man wieder anknipsen

Kein Wunder also, dass epigenetische Ernährung gerade voll im Trend liegt. Wissenschaftler:innen forschen daran, welche Nährstoffe unsere Gene tatsächlich umprogrammieren können: Anti-Aging-Expert:innen nutzen das neue Wissen, um Alterungsprozesse der Haut zu verlangsamen. Und Blogger:innen versuchen, passende Rezepte dazu zu entwickeln. "Ernährung kann die Gene schützen und heilen. Und wenn die Gene gesund sind, sind wir gesund", schreibt Alexandra Riederle, die ein Kochbuch zu Epi-Food herausgegeben hat. Klingt einfach. Ist aber auch ein bisschen anstrengend: Weil man seine Gewohnheiten verändern muss, wenn man sich gesund ernähren, viel bewegen und gleichzeitig ausreichend Pausen in seinen Alltag einbauen will. 

Doch der Aufwand lohnt sich: "Dutzende von Studien haben inzwischen gezeigt, dass die Ernährung die Epigenetik und damit das Ablesen der Gene beeinflussen kan", bestätigt die Neurowissenschaftlerin Isabelle Mansuy von der ETH Zürich. Wichtige Stoffwechselprozesse, Reparaturprogramme und sogar Antikrebs-Gene werden auf diese Weise aktiviert oder bei ungünstiger Ernährung heruntergefahren, immer mehr Biostoffe werden entdeckt, die die Aktivität der Gene herauf- oder herabsetzen können.

Die gute Nachricht ist: Selbst bereits auf "off" umgelegte Schalter können durch unseren Lebensstil wieder aktiviert und damit zum erneuten Ablesen geöffnet werden. Wie schnell das geht, hat die Nobelpreisträgerin Elisabeth Blackburn in einer Studie eindrucksvoll gezeigt, bei der Patient:innen an einem Lifestyle-Programm teilnahmen, bei dem sie gesünder aßen (vegetarisch, viel Omega 3 und Vitamin B12), weniger Stress hatten und sich mehr bewegten. Ergebnis: Insgesamt hatten sich bei den Teilnehmenden in nur drei Monaten 48 Gene hochreguliert und 453 Gene herunterreguliert, darunter auch einige Gene, die das Krebswachstum kontrollieren.

Eine Studie der University of California zeigte außerdem, dass über gesünderes Essen und mehr Bewegung auch Gene günstig beeinflusst werden, die die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Entzündungen, Gefäßfunktion, Blutfett- und Blutzucker-Regulation steuern. In einer Vergleichsgruppe, die nur Medikamente einnahmen, veränderte dagegen kein einziges Gen seine Aktivität.

Besonders wirksam: dunkles Gemüse, gutes Öl

Was bedeutet das jetzt ganz praktisch für unser Essen? Die Forschung hat in Sachen Epi-Food herausgefunden, dass vor allem Pflanzenstoffe besonders gut darin sind, die Schalter an- oder auszuschalten. Dunkelbunt, tiefrot und dunkelgrün – je bunter das Gemüse, desto mehr wichtige Pflanzenstoffe sind enthalten. Oder praktischer: lieber Rucola statt Eisbergsalat (enthält fünfmal so viele Antioxidantien), Beeren statt Bananen, rote statt helle Trauben – und schon verdoppeln sich die Antioxidantien für den Zellschutz.

"Die Effekte einiger Nährstoffe auf das Epigenom sind schon wenige Stunden nach dem Genuss bestimmter Lebensmittel direkt im Blut sichtbar",sagt Isabelle Mansuy. "Zum Beispiel bei Brokkoli, der Sulforaphan enthält. Die in Brokkoli oder auch Rosenkohl oder Kresse enthaltenen Stoffe können zum Beispiel auf Gene einwirken, die bei Brust- und Dickdarmkrebs eine Rolle spielen."

Auch gut: ein Ölwechsel, denn Fette haben ganz erhebliche Auswirkungen auf die On-off-Schalter der Gene. Omega-3-Fette und einfach ungesättigte Fette falten günstige Genabschnitte auf, während gesättigte Fette häufig ungünstige Genabschnitte aktivieren, wie Studien zeigen. Oder anders: mehr Fisch, Nüsse, Olivenöl und weniger Fleisch, Wurst, Käse auf den Teller. Die optimale Ernährung für die Gene wäre, die mediterrane (Obst und Gemüse, Hülsenfrüchte, Nüsse, wenig gesättigtes Fett, Omega-3-Fettsäuren aus Fisch) mit den Epi-Foods aus Asien (grüner Tee, Curcumin, Kohlsorten und Tofu) zu kombinieren. Denn: Die ältesten Menschen der Welt leben genau in diesen beiden Regionen. Schon lange haben sie die wichtigsten Epi-Foods auf ihrem Teller und beeinflussen so täglich das Auf- und Zufalten der Gene. Damit altert das Genmaterial langsamer.

Alterung der Gen-Enden

Dies ist messbar an den Gen-Enden, den Telomeren. Je kürzer diese werden, desto instabiler werden die Gene und desto schneller altert der gesamte Körper. Mit kürzeren Telomeren steigt die Häufigkeit der Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Reparaturfähigkeit des Körpers sinkt. Der Konsum von Kaffee, grünem Tee, Nüssen und mediterraner Ernährung war in Studien mit einer vier bis fünf Jahre langsameren Alterung der Telomere verknüpft.

Übrigens: Je älter wir werden, desto mehr Off-Schalter werden über eine ungünstige Lebensweise und schlechte Ernährung auf dem Genmaterial installiert. Wie Viren, die das Betriebssystem eines Computers immer langsamer laufen lassen, bis er eines Tages ganz abstürzt. Tatsächlich kann das biologische Alter eines Menschen genau abgelesen werden: anhand der Menge der angesammelten Off-Schalter.

Auch die Folgen unserer Lebensweise vererben sich

Mit dem passenden Essen für die Gene können wir übrigens nicht früh genug anfangen. Epigenetische Programmierungen können nämlich auch an die nächste und übernächste Generation vererbt werden. Wenn Eltern zum Beispiel stark übergewichtig sind, werden ihre Kinder einen Teil dieser Programmierungen – nach Schätzungen 15 Prozent – mitbekommen. Es werden also nicht nur die Gene weitergegeben, sondern auch einige der darauf programmierten On-off-Schalter, die sich über die Lebensweise bestimmen und im Lauf der Zeit angesammelt haben.

Die Zürcher Expertin Isabelle Mansuy empfiehlt in Sachen Gewicht daher beiden Elternteilen, schon vor einer Schwangerschaft abzunehmen, denn: "Epigenetische Eigenschaften werden von beiden Seiten auf die kommende Generation übertragen."

Therapie aus der Küche

Das sind die sieben Top-Epigenetik-Foods

Tofu – Die enthaltenen Isoflavone beeinflussen die On-off-Schalter bei Brustkrebsgenen und im Hormonhaushalt.

Grüner Tee – In Studien hat sich herausgestellt, dass bei Frauen, die viel grünen Tee tranken, 28 verschiedene On-off-Schalter günstig verändert waren, darunter verschiedene Krebsgene.

Kurkuma – Der gelbe Pflanzenstoff beeinflusst verschiedene Genabschnitte, die antientzündlich wirken. Kurkuma gibt es inzwischen fast überall frisch im Supermarkt, er kann verwendet werden wie Ingwer.

Kohl – Sulforaphan, ein sekundärer Pflanzenstoff in Brokkoli, Blumenkohl, Rosenkohl, Rotkohl, Wirsing, Kresse und Brokkoli-Sprossen, kann die On-off-Programmierung der Gene positiv verändern.

Tipp: Kochen vermindert diesen potenten Biostoff stark. Wenn Kohlsorten jedoch ca. 40 Minuten vor dem Kochen geschnitten werden, entsteht durch eine biochemische Reaktion ein hitzeresistenter Pflanzenstoff. So bleibt das Sulforaphan erhalten.

Brokkoli-Sprossen – Enthalten zehnmal soviel Sulforaphan wie alle anderen Kohlsorten. Dieses Superfood ist zusätzlich dicht bepackt mit Vitaminen und Enzymen. Zu Hause lassen sich Brokkoli-Sprossen leicht im Glas keimen. Über Salate gestreut, als Brotauflage oder im Smoothie, geben die Sprossen ein nussiges Aroma.

Dunkle Beeren – Heidelbeeren, Brombeeren, Himbeeren, Johannisbeeren enthalten potente Biostoffe, die auf das Epigenom wirken. Außerdem stecken sie voller Antioxidantien, die freie Radikale abfangen können. 100 Gramm Brombeeren enthalten beispielsweise dreimal so viele Antioxidantien wie100 Gramm Apfel und zehnmal mehr als eine Banane.

Dunkelgrünes Blattgemüse – Es hat den höchsten Folsäure-Gehalt und ist reich an Magnesium. Bei einem Mangel an diesem Mikronährstoffen kann die gesamte biochemische Maschinerie der Epigenetik ausgebremst werden. 90 Prozent aller Frauen erreichen nicht einmal die minimale Zufuhr für Folsäure. Auch die Vitamine B6, B12 und Spurenelemente wie Zink sind essenziell für eine funktionierende Epigenetik.

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Brigitte

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