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BRIGITTE Diät 2024 BRIGITTE Balance 2024: Warum essen wir, wie wir essen?

BRIGITTE Balance 2024: Ein Paar teilt einen Burger
© Jacob Lund / Adobe Stock
Die Psychologin Elise Museles weiß, wie unsere Food Story unser Denken und unsere Ernährung beeinflusst.
Und hilft uns, sie neu zu schreiben.

BRIGITTE: Ich kenne Frauen, die bestrafen sich nach einem Stück Kuchen mit Dinnercancellig. Was sagt das
über sie aus?

Elise Museles: Die Frage ist: Sind sie so aufgezogen worden? Hat ihre Mutter sie mit ihrem Schuldgefühl geprägt? Was wir als Kinder lernen, beeinflusst unser späteres Leben. Wenn man Muster hat, die sich wiederholen, dann sollte man tiefer graben und gucken, wo diese Glaubenssätze herkommen Mit Neugier an die eigenen Gedanken herangehen: Woher kommen sie? Warum habe ich sie? Oft ist es Konditionierung. Manchmal gibt es aber auch einen physischen Grund. Wenn ich mich körperlich schlecht fühle, wenn ich zum Beispiel Milch trinke, dann könnte uns der Körper mitteilen wollen: Das ist nicht gut für dich. Das muss man herausfinden. Sie sagen, diese Konditionierungen gehören zu unserer Food Story. 

Das müssen Sie bitte erklären ...

Die Food Story ist ein Eintopf aus vielen Zutaten: Wie wir aufgewachsen sind, welches Verhältnis unsere Familie und Freunde zum Essen hatten, unsere positiven wie negativen Erinnerungen ans Essen – aus all dem setzt sich unsere persönliche Ess-Geschichte zusammen. Eine negative Food Story kann uns schaden, weil wir uns Lebensmittel verbieten, weil sie unsere Gedanken kontrolliert oder auf unsere Kinder abfärbt. Eine positive merken wir im Zweifel gar nicht, weil Essen für uns unkompliziert und genussvoll ist.

Wir reden viel über Kalorien, Fette, Proteine & Co. Sollten wir mehr über die Gefühle und Gedanken sprechen, die Essen in uns auslöst?

Beides ist wichtig. Ich habe früher sehr gesund gegessen: grüne Smoothies, Gemüse, Lachs. Aber ich habe mir viel zu viele Gedanken darüber gemacht, das war großer Stress für mich und Essen überhaupt kein Genuss. Dann nährt man seinen Körper nicht mehr. Wenn der Körper gestresst ist, weil ich denke, dass ich zu viele Kohlenhydrate esse, die mich aufblähen, dann schüttet der Körper das Stresshormon Cortisol aus, der Stoffwechsel fährt runter, der Körper nimmt die Nährstoffe nicht richtig auf. Wie wir essen, ist daher genauso wichtig wie, was wir essen. Meine eigene Food Story ist die der Suche nach der perfekten Ernährung, die es natürlich gar nicht gibt. Heute habe ich diese Gedanken nicht mehr, und ich entspanne mich, bevor ich esse, indem ich zum Beispiel vor jeder Mahlzeit eine Minute in den Bauch atme.

Was hilft es uns, die eigene Food Story zu kennen?

Für viele fühlt sich die eigene Beziehung zum Essen an, als würden sie mit dem Rücken an der Wand stehen. Ausgeliefert, ohnmächtig. Der Begriff Food Story ist offen. Es gibt verschiedene Charaktere und Kapitel, die Geschichte geht immer weiter. Wir können ein neues Kapitel beginnen, stecken nicht fest. Dieses Setting nimmt uns etwas von dem Druck und der Scham, die wir fühlen, wenn es um unsere Beziehung zum Essen geht.

Heißt das, unsere Food Story ist nie zu Ende?

Ganz genau. Was wir mit 20 dachten, ist nicht unbedingt, was wir mit 50 denken. Unser Leben, unsere Hormone, unser Aktivitätslevel verändern sich. Wir essen anders in unterschiedlichen Jahreszeiten. Was früher für uns funktionierte, muss heute nicht mehr das richtige sein. Für viele Menschen ist es irre schwer, aus alten Mustern und Mindsets auszusteigen. Was hilft, und das höre ich von vielen Klient:innen, ist, die eigene Food Story aufzuschreiben. Manchmal fühlen wir uns eingesperrt, wir wissen gar nicht genau, was unsere Gedanken und Gefühle sind. Wenn wir anfangen zu schreiben, nur für uns, kommen plötzlich Dinge zum Vorschein. Glaubenssätze, von denen wir gar nicht wussten, wie stark sie unser Verhältnis zum Essen prägen. Schreiben ist ein guter Weg, den Körper davon zu befreien.

Und wie mache ich das?

Indem ich mich hinsetze, ohne Bewertung, und nachdenke, was in meiner Geschichte wichtig war. Man kann zum Beispiel starten mit: Was ist meine größte Herausforderung beim Essen? Wo stecke ich fest? Und wo hat das alles begonnen? Manchmal kommt da ein Aha-Moment. Zum Beispiel die Trennung der Eltern, ein Umzug, ich musste auf eine neue Schule, dort wurde mein Körper kommentiert. Es gibt kein Richtig und Falsch: Was wir aufschreiben, ist nur für uns. 

Das klingt nach einem schmerzhaften Prozess...

Ja, aber es ist auch befreiend. Beim Essen geht es um Verbundenheit, Ernährung, Energie, Freude und Liebe. Wenn wir an all die guten Dinge denken, die Essen für uns tun kann, können wir aufhören, uns Sorgen zu machen, was es uns antun könnte. Ich zum Beispiel fing an, meinen Körper als Verbündeten und Essen als meinen mich umhegenden Freund zu betrachten. Ich schrieb meine Food Story so um, dass sich mein Inneres und mein Äußeres einander anpassten: Die Selbstgespräche in meinem Kopf wurden so gesund und positiv wie das Essen auf meinem Teller. 

Wie lange dauert es, bis man so entspannt essen kann?

Das ist sehr unterschiedlich. Einigen hilft es schon, dass sie sich nicht mehr gestresst an den Tisch setzen und vorher ein Mantra aufsagen wie: Ich wertschätze mein Essen. Mantras können unsere Gehirnwellen verändern. Oder: drei tiefe Atemzüge nehmen. Sobald ich mich ändern will, geht die Reise los. Und sie ist nie zu Ende, weil unsere Geschichte weitergeht. Aber: Wenn es Rückfälle gibt, und das ist normal, haben wir Werkzeuge, da nicht mehr so tief reinzufallen. Uns nicht gleich abzuwerten, unsere Muster sofort zu erkennen und anders zu handeln. Es gibt viele Wege und Kapitel.

Was ändert sich, wenn ich meine Food Story umgeschrieben habe? 

Wir werten uns nicht mehr ab. Passiert es doch mal, können wir fragen: Warum ist das passiert? Was geht wirklich vor sich? Tiefer zu fragen, wird einem Antworten geben. Manchmal haben wir Stress, der gar nichts mit dem Essen zu tun hat. Auch wichtig: Was kann mich emotional unterstützen? Wenn ich bei mir bleibe, ist das eine Art von Empowerment, weil ich mein Leben selbst in die Hand nehme.

Muss ich dazu Achtsamkeit praktizieren?

Ich gehe jeden Tag raus in die Natur. Dort bin ich mit mir und meinem Körper verbunden und fühle mich. Jeder muss
da seinen eigenen Weg finden. Meditieren oder Yoga sind auch prima.

Und wie befreien wir uns von all den stressigen Botschaften auf Instagram und dem Druck von außen? 

Wir haben es in der Hand, die Art und Weise, wie uns Nachrichten übers Essen beeinflussen, zu verändern. Wenn ich gut auf meinen Körper höre, dann fühle ich, ob ihm etwas gut tut. Und wir sollten uns immer wieder bewusst machen, dass die Meinung von jemand anderem nicht unbedingt gut für uns ist.

Die Amerikanerin Elise Museles ist Ernährungspsychologin und Gesundheitscoachin. Mehr Infos
zu ihr findest du hier: elisemuseles.com.

1. Meine Food Story entschlüsseln

Welche Themen prägen meine Essgeschichte?

Hier geht es darum, die Gedanken, Gefühle und Überzeugungen, die wir um das Essen aufgebaut haben, zu entdecken und unserer Food Story auf die Spur zu kommen. Stelle dir folgende Fragen:

  • Hast du ein schlechtes Gewissen beim Essen – und wenn ja, wobei?
  • Zählst du Kalorien, machst regelmäßig Diäten, verbietest dir bestimmte Lebensmittel?
  • Wie denkst du über dich, wenn es um Essen geht?
  • Häufige Themen unserer Food Story sind: Perfektion und Selbstkontrolle, Scham, Grübelei und Überanalysieren, Belohnung, Nicht-Genügen, Überforderung und Verzweiflung. Welches dieser Themen beschreibt am ehesten deine Stimmungslage?

Vervollständige nun folgende Aussagen: 

  • Wenn ich über Ernährung und meinen Körper nachdenke, fühle ich...
  • Wenn ich traurig, gestresst oder ausgebrannt bin, ist Essen für mich...
  • Bei Ernährungsregeln drehen sich meine Gedanken immer um...

Welche Überzeugungen stecken dahinter?

Im ersten Schritt hast du herausgefunden, worum es in deiner Food Story geht – etwa um Perfektion, Scham, Verwirrung oder Überforderung. Nun geht es darum, was sich darunter verbirgt und sie formt: unsere Überzeugungen. Uns einengende Überzeugungen sind negative Gedanken über uns selbst, unseren Körper und unsere Ernährung. Sie steuern unsere Handlungen und werden zur Grundlage unserer Selbstsabotage und unserer Food Story allgemein. Sie befeuern unsere Verhaltensmuster und sorgen dafür, dass wir frustriert, ängstlich und festgefahren bleiben. 

Beispiele für solche Überzeugen sind:

"Ich muss mich kasteien, um gesund zu sein und abzunehmen." Oder: "Wenn ich erst mein Wunschgewicht habe, werde ich glücklich sein." Doch wenn wir einschränkende Überzeugungen verändern, verändern wir unsere Gedanken und unser Handeln rund ums Essen.

  • Was sind deine derzeitigen Überzeugungen zum Thema Essen?
  • Wie war das mit dem Essen in deiner Familie? Was wurde dir von deiner Familie zum Thema Essen vermittelt?
  • Gibt es ein einschneidendes Ereignis, das deine Food Story stark geprägt hat? Wenn ja, auf welche Weise?

Halte deine Gefühle rund um das Thema Essen in ein paar Sätzen fest. Und: Wie würdest du dich gern beim Essen fühlen?

Balance finden

Diese Aktivitäten verbessern das Wohlbefinden. Was davon kannst du in dein Leben integrieren?

  • Nein sagen
  • Genug schlafen
  • Viel bewegen
  • Wasser trinken
  • In der Natur sein
  • Entspannt und achtsam essen
  • Technikfasten
  • Spielen
  • Kleine Dinge genießen
  • Bewusst leben
  • Nur bei Körperhunger essen

2. Meine Food Story umschreiben

Was bleibt, was geht?

Seine Food Story neu zu schreiben, heißt nicht, die Vergangenheit auszuradieren und ganz von vorn anzufangen. Aber: Wir können unsere Erkenntnisse nutzen und einige Teile bewahren und uns von anderen trennen. Behalte nur, was guttut. Was sich nicht gut anfühlt, kann weg.

Welche guten Glaubenssätze dürfen bleiben? Zum Beispiel:

  • "Ich kenne mich, ich vertraue mir, ich tue, was für mich richtig ist."
  • "Ich kann essen, was ich will, solange ich ehrlich zu mir selbst bin, wie ich mich danach fühle."
  • "Ich bin fähig, auf meinen Körper zu hören, und weiß, was er braucht."

Wie möchtest du dich fühlen? Und welche Aktivitäten tragen dazu bei?

Welche neuen Muster etablierst du? Zum Beispiel:

  • Wenn das Leben mal durcheinandergerät, ich es nicht schaffe, selbst zu kochen, und länger schlafe, statt Sport zu machen, mache ich mich nicht fertig. Stattdessen werde ich...
  • Wenn ich mal zu viel esse, versinke ich nicht in Schuldgefühlen. Stattdessen werde ich...

Das Skript ändern

Notiere nun, was du verändern möchtest in deiner Food Story. Hier ein paar Beispiele:

Alte Food Story: Alles, was ich höre, lese und was mir über Ernährung gesagt wurde, verwirrt mich. Es schwirrt in meinem Kopf, und ich weiß nicht mehr, was ich glauben kann.

Neue Food Story: Ich kann diesen Food Noise herunterregeln und mich auf meinen Körper und mein Bauchgefühl (auf mich!) verlassen.

Alte Food Story: Bei jeder Mahlzeit werde ich von zermürbenden Gedanken zerfressen. Ich quäle mich bei jedem Happen. Das löst im Körper eine Stressreaktion aus, die beeinflusst, wie ich mein Essen verarbeite, verdaue und genieße.

Neue Food Story: Ich gehe entspannt an den Tisch und kurbele meinen Parasympathikus mit ein paar tiefen Atemzügen an. Das lässt meine Verdauung, meinen Stoffwechsel und mein Immunsystem optimal arbeiten

Alte Food Story: Ich esse gehetzt, tue noch andere Dinge und bekomme kaum mit, was oder mit wem ich esse.

Neue Food Story: Ich schenke mir und meinen Lieben beim Essen meine volle Aufmerksamkeit und Zuwendung.

Alte Food Story: Ich habe keine Zeit, mich um mich und meine Gesundheit zu kümmern.

Neue Food Story: Meine Gesundheit sollte Vorrang haben. Ich nutze die Food-Story-Grundlagen als Basis meines Lebensstils. Durch sie geht es mir gut, sie schenken mir Energie und sorgen dafür, dass ich aufblühe und noch die Energie habe, für andere
da zu sein.

Alte Food Story: Wenn ich Stress habe, esse ich, um meine Nerven zu beruhigen, und kann nicht aufhören.

Neue Food Story: Ich muss mich für emotionsgesteuertes Essen nicht schämen. Ich kann meine Nerven mit Essen beruhigen, solange ich mich gut dabei fühle. Aber ich habe auch andere Strategien, um mit Stress fertigzuwerden, und ich nutze sie alle.

Alte Food Story: Ich habe keine Lust, vorauszuplanen. Diese ganze Vorbereitung ist mir lästig. Das klingt rigide und langweilig. Ich möchte spontan entscheiden, was ich esse.

Neue Food Story: Meine Essensplanung schenkt mir mehr Freiheit, Flexibilität und Möglichkeiten. Meine Küche ist gut ausgestattet mit nahrhaften Zutaten, die ich essfertig vorbereitet habe, wie etwa geröstetes Gemüse, vorgeschnittenes Obst, gekochtes Getreide, Salatdressing, Dips und Soßen. So kann ich jederzeit schnell ein Essen zaubern.

Was möchtest du noch für deine neue Food Story ergänzen?

Weiterlesen:
Ausführlich erklärt Elise Museles ihre Methode in dem Ratgeber "Food Story" (304 S., 20 Euro, Knaur Balance).

Brigitte

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