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Tabuthema Untenrum Schwangerschaften leiern den Beckenboden aus und 7 weitere Mythen

Frau in Unterwäsche
© Luis Alvarez / Getty Images
Empfehlungen für den Beckenboden gibt es viele. Einiges hat sich als nicht haltbar erwiesen, manches ist sogar schädlich. Deshalb räumt Astrid Scheuermann in ihrem Buch "Powerzentrum Beckenboden" mit falschen Informationen zum Beckenboden auf.
von Astrid Scheuermann

1. Mythos: Man muss den Urinstrahl beim Toilettengang mehr­fach anhalten, das ist natürliches Beckenbodentraining.

Die Blasenentleerung sollte immer vollständig und ohne Unterbrechungen stattfinden. Früher sagte man Frauen häufig, sie sollten durch Anhalten des Urinstrahls die Becken-bodenmuskulatur im Alltag trainieren. Es hat sich jedoch durch Studien herausgestellt, dass dieses Verhalten auf längere Sicht sogar krank machen kann. Schließlich arbeiten Harnblase, Harnröhre, innere und äußere Verschlussmuskulatur, Blase und Gehirn beim Toi­lettengang zusammen. Über Rezeptoren wird der Füllstand der Blase ständig gemessen und der » Stand der Dinge « an das vege­tative Nervensystem ( unwillentliche Steuerung ) weitergemeldet. Ist die Blase zu einem bestimmen Grad gefüllt, entsteht das Gefühl, auf die Toilette zu müssen. In Zusammenarbeit von willkürlich und unwillkürlich ablaufenden Prozessen ist die Kon­tinenz gesichert, bis wir aktiv entscheiden, Urin abzugeben. Erst während der Blasenentleerung, der sogenannten Miktion, wird willentlich der Verschluss geöffnet, die Beckenbodenmuskulatur entspannt und die Blase zieht sich zusammen und treibt den Urin sozusagen aus. Durch das mehrfach willentliche Unterbrechen des Harnstrahls mittels unseres Harnröhrenverschließmuskels wird das sensible Wasserlassprogramm empfindlich gestört. Es kann zu einer nervösen Blase, einer Dranginkontinenz und in der Folge zu Restharn-bildungen kommen. Die Harnblase wird dann auch im ent­spannten Zustand nicht mehr vollständig geleert. Außerdem führt der Restharn unter Umständen zu Infekten. Die Unterbre­chung verringert darüber hinaus den maximalen Harnfluss, was Blasenfunktionsstörungen auslösen kann.

2. Mythos: Erst nach einer Geburt und im Alter entstehen Beckenbodenprobleme

An einem Beckenbodenproblem können Frauen wie Männer in jedem Alter erkranken. Es können Frauen, die ge­boren haben, darunter leiden, aber auch solche, die keine Kinder zur Welt gebracht haben. Zu den Ursachen zählen körperliche Gegebenheiten wie Übergewicht, schweres und falsches Heben, chronische Erkrankungen wie chronischer Husten und ständige Niesattacken. In vielen Fällen spielen falsch erlernte Verhaltens­muster eine große Rolle. Vielerlei Beschwerdebilder werden nicht einem Beckenbodenproblem zugeordnet. So können aber Entleerungsprobleme des Darms genauso wie das Nachtröpfeln von Urin einen Hinweis darauf geben, dass das Verschlusssystem in der Beckenausgangsebene gestört ist.

Cover
Die erfahrene Physiotherapeutin Astrid Scheuermann erklärt in ihrem Buch anschaulich die Funktionsweise einer der wichtigsten Muskelgruppen unseres Körpers und verrät, mit welchen leicht umsetzbaren Übungen man den Beckenboden stärken und Beschwerden vorbeugen kann.
© PR

3. Mythos: Trainierte Frauen haben schwerere Geburten.

Erstens betrifft nicht jede sportliche Betätigung den Beckenboden gleichermaßen, es müsste also mindestens unter­schieden werden zwischen verschiedenen Sportarten. Zweitens lässt sich in Studien nicht nachweisen, dass ein straffer, also be-übter Beckenboden zu schwierigeren Geburten, mehr Damm­rissen oder -schnitten oder Geburtskomplikationen führt. Ganz im Gegenteil: Schon in der Schwangerschaft beugt eine kräftige Körpermitte vor, vermindert Rücken- und Hüftschmerzen und unterstützt die Frauen in der Alltagsbewältigung. Und auch die Vorteile in der Rückbildung liegen auf der Hand.

4. Mythos: Vor einer Autofahrt geht man besser noch mal auf die Toilette – ob man muss oder nicht.

Ein normaler Harndrang bei einer entsprechend gut gefüllten Blase soll nicht unterdrückt werden. Aber Toiletten­besuche ohne Signal, dass der Füllungszustand der Harnblase erreicht ist, bewirkt letztlich das Gleiche wie eine Harnstrahlunterbrechung, nämlich ein Durcheinanderbringen des Meldesys­tems. In einem komplexen Prozess werden dem Gehirn ständig Meldungen über den Füllungszustand der Blase präsentiert. Selbst wenn der Harndrang grundsätzlich schon bewusst gespürt wird, ist noch mehr oder weniger Zeit, eine Toilette aufzusuchen. Vor Aktivitäten, die keinen raschen Gang zur Toilette erlauben, » zur Sicherheit « noch einmal zu gehen ist daher auf Dauer kontra­produktiv. Also bitte keine präventiven Toilettengänge. Gehen Sie erst auf die Toilette, wenn Sie müssen. Dies gilt im Übrigen auch für Ihre Kinder. Ein Kind, das die vollständige Kontrolle über sein Blasensystem hat, sollte ebenfalls nicht vorsorglich auf die Toilette geschickt werden. Gegen die Frage, ob es noch ein­mal Wasserlassen muss, ist nichts einzuwenden, aber es sollte nicht zum Toilettenbesuch gezwungen werde.

5. Mythos: Nach ein paar Schwangerschaften ist der Becken­boden eben ausgeleiert.

Schwangerschaften und Geburten beanspruchen den Beckenboden. Er wird in dieser Zeit besonders gefordert, strapaziert und möglicherweise nicht nur gedehnt, sondern überdehnt. Alle diese Veränderungen sind aber zeitlich begrenzt und auch von der Natur so eingerichtet. Und sie lassen sich durch eine Stärkung des Beckenbodens schon prophylaktisch abmildern beziehungsweise nachträglich zumeist so beüben, dass sie keinen Krankheitswert erlangen. Das, was von vielen Frauen als Ausleiern wahrgenommen wird, sind physiologisch kluge Entwicklungen. Bänder müssen nachgeben, um den stark wachsenden Uterus sicher zu halten, Bauchmuskeln müssen auseinander weichen, um dem Baby Platz zu machen, die Beckenbodenmuskulatur muss bei aller Stärke flexibel sein, um das kindliche Köpfchen durchzulassen. All diese Strukturen sind hochelastisch und damit in der Lage, sowohl Dehnung als auch das Zusammenziehen zu gewährleisten. Die Evolution hat ent­sprechende Anpassungsmechanismen möglich gemacht. Allein der Begriff » ausgeleiert « entspricht nicht der Regenerationsfähigkeit unseres Körpers und vermittelt daher ein völlig falsches Bild der weiblichen Anatomie.

6. Mythos: Nach einem Kaiserschnitt braucht man kein Beckenbodentraining.

Die besondere Beanspruchung des Beckenbodens bei einer natürlichen Geburt, ausgelöst durch den Durchtritt des Kindes, gibt es bei einem Kaiserschnitt nicht. Doch zwei Gründe sprechen dafür, sich gerade nach einem Kaiserschnitt intensiv um den Beckenboden zu kümmern. Erstens haben alle Belastun­gen des Beckenbodens durch den gesamten Schwangerschafts­verlauf hindurch stattgefunden. Das heißt die physiologischen Anpassungsmechanismen von Bändern, Muskeln und Organen in der Körpermitte haben ebenso stattgefunden wie bei einer Spontangeburt. Zweitens sorgt die Dehnung oder Durchtrennung der Bauchmuskulatur beim Kaiserschnitt für eine Desta­bilisierung innerhalb des Bauchkapselsystems. Hier wird die Verbindung zum kleinen Becken instabiler und sollte wieder gekräftigt werden.

7. Mythos: Der Beckenboden ist ein Frauenproblem.

Beckenbodenbeschwerden treten bei Frauen häufi­ger auf als bei Männern. Das bedeutet aber nicht, dass der männ­liche Beckenboden nicht ebenso von einem besonderen Training profitieren würde oder möglicherweise gar nicht existiere. Es gibt eigene Krankheitsbilder des Beckenbodens bei Männern, beispielsweise nach Prostataoperationen, die ein Beckenboden-problem in Form von Inkontinenz darstellen können. Diese un­terliegen noch mehr als weibliche Beckenbodenprobleme einem Tabu und können mit speziell geschulten Therapeuten meist zufriedenstellend behandelt werden.

8. Mythos: Bei einer Inkontinenz kann man nichts machen und bleibt ein Leben lang auf entsprechende Hygieneprodukte an­gewiesen.

Richtig: Eine Beckenbodentherapie kann helfen. Die Hei­lungschance liegt je nach Ursache für die Inkontinenz bei bis zu 80 Prozent. Daher lohnt es sich, alles zu unternehmen, um den Zustand der Kontinenz zu erreichen. Die Hoffnung stirbt zu­letzt – und: Es gibt nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen.

Astrid Scheuermann
© privat

Jede zehnte Frau trägt bei der Geburt ihrer Kinder massive Beckenbodenschäden davon, zum Teil mit fürchterlichen Folgen wie Blasen- und Gebärmuttersenkung, Inkontinenz und Beeinträchtigung des Intim- und Sexuallebens der Betroffenen. Doch nicht nur Mütter sind von Beckenbodenproblemen betroffen, sondern jede Frau trägt das Risiko, an Beckenbodenschwäche zu erkranken, in sich. Noch immer wird viel zu wenig darüber gesprochen und aufgeklärt.

Astrid Scheuermann ist Physiotherapeutin mit eigener Praxis in Köln. Mit ihrem effektiven Trainingsprogramm für den Beckenboden hat sie vielen Betroffenen wieder zu mehr Lebensqualität verhelfen können.

Ihr Buch Powerzentrum Beckenboden ist im Piper Verlag erschienen und kostet 12 €.

Barbara

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