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Unerzogen! "Warum ich mein Kind nicht erziehe"

Unerzogen: Mädchen guckt sauer
© WAYHOME Studios / Shutterstock
Nana (2) ist unerzogen. Denn Bloggerin Fiona Lewald (26) lässt ihre Tochter selbst entscheiden, wann sie was will. Das kommt nicht immer gut an.

Wir erziehen Nana nicht

Wie Nana aufwächst, nennt sich "unerzogen". Das ist kein Erziehungsstil, sondern eine Haltung. Denn genau das, er
ziehen, machen mein Mann und ich nicht.

Nana muss weder aufessen noch putze ich ihr gegen ihren Willen die Zähne. Hat sie Lust auf ein Schokobonbon, nimmt sie eins aus ihrer Süßkram-Box.

Nana entscheidet selbst, ob sie eine Jacke anzieht. Letzten Winter hüpfte also unsere Zweijährige bei fünf Grad im Pulli über den Spielplatz. Klar gibt es da Blicke. Ich reagiere eher nicht. Warum meine Kälte-Empfindung zu ihrer machen? Und wie soll Nana sonst lernen, wie ihr Körper tickt?

Wenn mich jemand anspricht, erzähle ich, dass Nana das allein entscheidet, weil wir nicht erziehen - und ernte viel Unverständnis. "Die tanzt euch doch auf der
Nase rum! Die wird
eine Tyrannin!", sind
typische Kommentare.
Erzieht man nicht,
schadet das anscheinend nicht nur dem Kind, sondern der Gesellschaft als Ganzes. Weil man angeblich Egoisten erschafft.

Formen heißt immer auch: verformen

Ich sehe das anders. Erziehung fußt auf einem Machtgefälle. Der, der die Macht hat, formt den anderen. Was doch stets auch verformen bedeutet.

Da wird geschimpft, bestraft und gedroht, Motto: Wenn du nicht sofort kommst, darfst du nicht mehr fernsehen! Erziehung ist kein Lehrer, sondern ein Richter. Es wird das Verhalten des anderen beurteilt und gegebenenfalls sanktioniert. So möchte ich nicht sein.

"Dann darf dein Kind also auf die Straße rennen?", hörte ich schon von Erziehenden. Darf es natürlich nicht. Ich lasse auch keinen Erwachsenen vor ein Auto laufen, und den erziehe ich auch nicht.

"Unerzogen" schließt Regeln und Neins nicht aus

Ich gebe meine Autorität nicht ab. Konkret: Ich übe mit Nana das Über-die-Straße-Gehen, zeige ihr, dass Müll nicht auf den Boden, sondern in den Mülleimer gehört, und wenn sie Sand auf ein anderes Kind wirft, sage ich, dass das dem anderen Kind wehtut, notfalls nehme ich sie auf den Arm und verlasse die Situation.

Ich nehme Nanas Bedürfnisse so wichtig wie meine und möchte, dass mein Kind eigenständig lernen kann. Fernsehen darf Nana, wann sie möchte - natürlich Sendungen, die ihrem Alter entsprechen.

Ist sie abends noch nicht müde, zwinge ich sie zwar nicht ins Bett; bin aber ich müde, tobe ich nicht mehr mit ihr durchs Wohnzimmer. Manchmal zornt sie dann. Das begleite ich. Ich tröste und erkläre ihr, warum sie traurig ist. Ich suche Lösungen. Manchmal nimmt sie eine an, dann lesen wir vielleicht ein Buch, manchmal tobt sie weiter, auch das ist okay.

Ich selbst bin erzogen worden, doch ich wusste früh, dass ich mit meinem Kind nicht schimpfen möchte. Ich las viel, schließlich stieß ich auf "Unerzogen".

Vieles aber verstanden mein Mann und ich erst im Alltag. Zum Beispiel beim Fernsehen und Naschen: Nur wenn wir ihr vertrauen, bekommt sie die Chance, sich selbst zu regulieren. Das klappt: An manchen Tagen schaut und nascht sie viel, dann tagelang nichts.

"Unerzogene" sind nicht automatisch Tyrannen

Wichtig ist mir, dass wir Eltern trotzdem nie die Verantwortung auf Nana übertragen haben. Ich lasse Nana nicht schlicht vor der Glotze sitzen und genieße die Ruhe, sondern mache ihr Angebote, sie kennt den Wald und liebt Buddeln im Sand. Neben einem freien Naschkorb gibt es einen Obstkorb.

Nana wächst bewusst kitafrei auf. Ich studiere, mein Mann arbeitet, da klappt das ganz gut. "Und die Schule?", höre ich es schon unken. Ehrlich: Ich sehe da keine Probleme. Erziehung ist doch kein Garant dafür, dass ein Mensch später im Leben "funktioniert". So viele Menschen haben Probleme sich anzupassen - die allerwenigsten sind unerzogen. Und Unerzogene sind nicht automatisch Tyrannen.

Wobei ich das sowieso erstaunlich finde: Ein Kind, das seinen Willen bekommt, ist ein Tyrann. Eltern aber stellen ihr Wollen so oft über das ihrer Kinder. Das Kind muss machen, was sie möchten. Und wie oft reagieren Eltern unreflektiert mit Nein!

Ein kleines Beispiel: Neulich wollte Nana mit ihrem Kindermesser Salzstangen schneiden. Auf dem Wohnzimmerteppich! Klar dachte auch ich erst: Nein! Aber warum? Weil es Dreck macht? Nicht der Norm entspricht? Ich habe sie dann machen lassen, sie hatte Spaß und ich die Krümelei in einer Minute aufgesaugt.

Fiona Lewald schreibt über ihren Alltag mit Nana und ihre Gedanken zum Thema (Nicht-) Erziehung einen Blog: www.unverbogen-kindsein.de.

Brigitte 13/2018

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