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Ist das jetzt ein Trend? "Mein Kind ist ja so hochbegabt!"

Trend: Mädchen in der Schule
© spass / Shutterstock
Ein Gespenst geht um, unter Deutschlands Schülern und ihren Eltern; das der Hochbegabung. Auf einmal sind nämlich fast alle Kinder "hochbegabt". Der Hintergrund des Massen-Spuks: Die Wissenschaft hat vor einigen Jahren die Hochbegabung entdeckt, die lange unverstanden, unerforscht, ja fast verpönt war. Jetzt wird sie von vielen Eltern für eigene Zwecke genutzt.

Wer früher auf die Intelligenz des Sprösslings hinwies, galt als eingebildet. Gut, dass mittlerweile so viel mehr über das spannende Phänomen und die Folgen der davon tatsächlich Betroffenen bekannt ist (siehe letzte Seite). Schlecht, dass es unter ehrgeizigen Eltern nun generell zum Populär-Phänomen wurde: Jetzt gehört es quasi zum guten Ton, ein "hochbegabtes" Kind zu haben. In bestimmten Kreisen jedenfalls. Dort nämlich, wo für Väter und Mütter das Abitur ihres Kindes eine Selbstverständlichkeit ist (und heute gehen immerhin 60 Prozent aller Eltern von Abc-Schützen davon aus, dass ihr Nachwuchs das Abi hinkriegt).

Allein unter Wunderkindern

Ziemlich einsam stehen mittlerweile Mütter und Väter da, die ihren Sprössling nicht für ein Genie halten – sondern einfach nur für ein kluges Köpfchen. Richtig ärgerlich aber wird es, wenn man als Mutter eines "normal" begabten Kinder darauf besteht, dass in der Klasse die gängigen Regeln des sozialen Miteinander eingehalten werden. "Würdest du deinem Sohn sagen, dass er meiner Kleinen nicht immer aufs Pausenbrot spucken soll?" bitte ich freundlich lächelnd eine Co-Mutter aus der zweiten Klasse. "Das steht leider nicht in meiner Macht!" seufzt die Frau mit unverhohlenem Stolz im Blick. Und winkt mich nah zu sich heran, um mir flüsternd mitzuteilen: "Er ist hochbegabt... Da komme ich nicht an ihn heran."

Sind kleine Rüpel immer hochbegabt?

Dieses Argument höre ich die nächsten Jahre von vielen, vielen Eltern. Ihre Kinder müssen leider stören, sind vom Prügeln nicht abzuhalten, haben den Drang zu intrigieren, andere auslachen, laut zu schmatzen oder schlechte Noten zu kassieren… weil sie hochbegabt sind (wahlweise leiden sie an ADHS, unerkannter Legasthenie oder Dyskalkulie). Immer heißt es: "Da kann man leider nichts machen!". Und manchmal werde ich sehr von oben herab gemustert. Wie kann ich nur glauben, begabte Kinder könnten Regeln lernen und das schlechte Benehmen sei schlicht auf falsche Erziehung zurückzuführen? Mir wäre das alles ja noch egal; nicht aber, dass mein Kind unter den Mini-Rüpeln leiden muss. Experten und Psychologen machen derzeit die Erfahrung, dass rund die Hälfte der Eltern von verhaltensauffälligen Kindern mit der Vermutung in die Beratungspraxen kommt, ihr Nachwuchs sei einfach nur ein kleines Genie. Das ist eben allemal einfacher, als sich selbst erzieherisches Versagen einzugestehen, oder der Tatsache ins Auge zu sehen, dass der Sprössling etwa unter der Trennung der Eltern oder anderen Problemen in der Familie leidet. Verständlich, menschlich, aber eben in der Regel falsch.

Auch gutes Benehmen kann klug sein

Eine Haupterkenntnis der wissenschaftlichen Forschung zum Thema: Nur zehn bis fünfzehn Prozent der hochbegabten Jungen und Mädchen (die Hochbegabung ist auf die Geschlechter mit gleicher Häufigkeit verteilt) fallen tatsächlich durch ihr Verhalten oder ihre miesen Leistungen unangenehm auf - solange niemand ihre Begabung erkennt. Da aber bloß ganze zwei Prozent aller Kinder hochbegabt sind, macht das eine eigentlich fast verschwindend geringe Zahl hochbegabter Schüler und Schülerinnen aus - im Angesicht der massenhaften, gerne mit Sonderbegabung entschuldigten, Ungezogenheit an Schulen. Das Fazit der Forschung: Hochbegabung macht sich nicht typischerweise durch Rüpelei oder Rücksichtslosigkeit bemerkbar.

Hochbegabung: Woran man sie wirklich erkennt

Es gibt andere Anzeichen für die so ganz besondere Begabung. Sie können auftreten, müssen es aber nicht. In der Häufung jedoch geben sie einen wichtigen Hinweis auf echte Hochbegabung.

  • Hochbegabte Kinder versagen oft bei einfachen Aufgaben, wirken bei Routineaufgaben gelangweilt, kommen bei schwierigen erst in Schwung
  • Sie haben ein hohes soziales Gespür, sind außerordentlich sensibel für zwischenmenschliche Beziehungen
  • Sie haben oft altersuntypische Interessen, zum Beispiel für "Erwachsenenthemen" (Religion, Politik etc.)
  • Hochbegabte haben ein hervorragendes Gedächtnis und oft frühe Lese- und Rechenfähigkeiten
  • Sie fangen früh zu sprechen an, überspringen oft die Baby-Sprache
  • Sie zeigen oft starkes Interesse an Symbolen, wie Automarken, Firmen –Logos, und dann eben Buchstaben und Zahlen
  • Sie haben ein geringes Schlafbedürfnis
  • Sie fragen viel im Versuch, die Umwelt zu verstehen
  • Hochbegabte Kinder besitzen ein gutes logisches Denkvermögen
  • Sie haben eine hohe Abstraktionsfähigkeit
  • Sie arbeiten eigenverantwortlich, streben gerne auch unabhängig von anderen nach Perfektion
  • Sie besitzen in der Regel ein hohes Arbeitstempo
  • Sie erscheinen sehr selbstkritisch im Hinblick auf ihre Leistungen, geben nicht leicht auf
  • Sie zeichnen sich durch gutes sprachliches Ausdrucksvermögen aus, besitzen einen großen Wortschatz
  • Sie zeigen einen starken Gerechtigkeitssinn und hinterfragen Entscheidungen von "Autoritäten". Haben sie den Sinn dieser Entscheidung aber eingesehen, folgen sie ihnen manchmal mehr als 100-prozentig
  • Sie fallen durch eine starke Phantasie auf
  • Sie unterhalten sich lieber mit Älteren als mit Gleichaltrigen.
  • Hochbegabte Jungen und Mädchen haben oft ältere Freunde
  • Sie möchten gerne "Bestimmer" sein und versuchen, das Kommando zu übernehmen
  • Sie finden oft an den üblichen "altersgemäßen" Freizeitaktivitäten keinen Gefallen
  • Sie fühlen sich oft von der Umwelt isoliert.

Dieser Artikel ist ursprünglich auf Eltern.de erschienen.

Barbara Czermak

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