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Ein Besuch bei Axel Scheffler, dem Erfinder des "Grüffelo"

Ein Besuch bei Axel Scheffler, dem Erfinder des "Grüffelo"
© Jochen Braun
Vor 15 Jahren schuf Axel Scheffler den "Grüffelo". Die Kinderbuchfigur machte ihn zum erfolgreichsten deutschen Ilustratoren. Jetzt hat Scheffler den Keller voller kleiner Monster - und fühlt sich manchmal ein bisschen wie Frankenstein.

Es gibt Mäuse in der Wohnküche von Axel Schefflers viktorianischer Doppelhaushälfte im gepflegten Londoner Stadtteil Richmond. "Ich könnte aber niemals Mausefallen aufstellen", sagt der 56-Jährige, während er den Tee aufgießt. "Schließlich habe ich einer Maus unglaublich viel zu verdanken." Unter anderem dieses Haus. Denn eine kleine Maus war es, die Axel Schefflers Karriere als bekanntester Kindbuchillustrator Englands und Deutschlands zum Laufen brachte. In seinem bisher größten Erfolg "Der Grüffelo" trickst das schlaue Nagetier erst einen Haufen Fressfeinde wie Fuchs und Eule und zum Schluss ein gefährliches, aber etwas tumbes Monster aus. Mehr als fünf Millionen Mal hat sich das Buch seit seinem Erscheinen 1999 weltweit verkauft, übersetzt in über 50 Sprachen von Maori bis Plattdeutsch. Auch die Fortsetzung "Das Grüffelokind" von 2004 war ein Riesenerfolg. Es gibt Bühnenversionen, zwei "Grüffelo"-Animationsfilme und natürlich eine breite begleitende Produktpalette von Puzzles über Trinkflaschen, Nachtwäsche bis zu Socken. "Ich habe einen ganzen Keller voller Grüffelo-Merchandising", sagt Axel Scheffler und schenkt Tee aus.

Auf der Seite des Esstisches, die nicht für Mahlzeiten benutzt wird, liegen ein Einhorn-Figürchen, ein kleiner Plüschgrüffelo, nicht aufgeblasene Luftballons, Legosteine, Stifte und alte Post. Auch auf der Kommode und anderen Ablageflächen sind ähnliche Nester aus geliebtem Plunder und ungeliebtem Papierkram, die sich in Haushalten mit kleinen Kindern ansammeln. Axel Scheffler hat eine sechsjährige Tochter, die nach den Bildern an der Wand zu urteilen das Talent ihres Papas geerbt hat. Erst mit 49 wurde Scheffler Vater, obwohl er und seine französische Partnerin Clémentine sich schon seit 13 Jahren kennen. "Meine Freundin hat sich da durchgesetzt", sagt er, eigentlich habe er gar keine Kinder gewollt. Ausgerechnet er, dessen Bilder von Kindern und Eltern gleichermaßen heiß geliebt werden: "Vielleicht aus allgemein deutscher düsterer Weltsicht. Ich sehe die Zukunft nicht rosig auf diesem Planeten. Ich denke da an Sachen wie Global Warming, zum Beispiel."

Ein Besuch bei Axel Scheffler, dem Erfinder des "Grüffelo"
© Axel Scheffler

Axel Scheffler ist nicht so, wie man vielleicht erwarten würde, wenn man seine leuchtenden und ungeheuer detailreichen Illustrationen betrachtet. Seine Bilderbuchwelt ist bevölkert von sympathischen Wesen, oft kleinen Nagetieren. Selbst der böse Drache aus "Für Hund und Katz ist auch noch Platz", dessen Verfilmung am 24. Dezember im ZDF läuft, hat noch eine gewisse Knuffigkeit, so wie auch der Grüffelo, mit dessen Plüschversion abertausende von Kindern im Bett kuscheln.

Wenn Scheffler erzählt, kann man nie sicher sein, ob er es jetzt todernst oder ironisch meint - sein Humor ist trocken und die Freundlichkeit seiner Bilder klug gewählt. Kinder können durch sie das Böse besser ertragen, und Erwachsene verstehen ihre Doppelbödigkeit. Denn es geht in den Bilderbüchern um die grundlegenden Dinge des Lebens: Gefressen-, Bedroht- oder Beraubtwerden und wie man aus der Klemme wieder rauskommt. Persönlich mag der Künstler am liebsten die etwas gebrochenen Helden seiner Bücher: den überaus gierigen "Räuber Ratte" zum Beispiel oder den vom Pech verfolgten "Stockmann", der auf seinem langen Weg nach Hause eine unfreiwillige Karriere als Hundestöckchen, Nestbauelement oder Kaminholz durchläuft.

Seit mehr als 30 Jahren lebt der Hamburger schon in England, wo er 2012 sogar die Weihnachts-Briefmarken der Royal Mail gestalten durfte. Britanniens liebster Illustrator wuchs als mittleres von drei Kindern in Blankenese auf. Der Sohn eines Fabrikdirektors, der für die Gebäckfirma Bahlsen Erdnüsse verarbeitete, spielte gern Fußball und las "Jim Knopf". Bei Geburtstagen in der Schulklasse brachte er immer Erdnüsse mit: "Keine Ahnung, ob das geholfen hat, mich beliebt zu machen", sagt Scheffler.

Kreatives Chaos auf Axel Schefflers Zeichentisch
Kreatives Chaos auf Axel Schefflers Zeichentisch
© Jochen Braun

"In Deutschland galt der Beruf des Illustrators als brotlose Kunst"

Nach einem abgebrochenen Studium der Kunstgeschichte und seinem Zivildienst ging er auf die "Bath Academy of Art" in England - in den 80ern ein exotischer Studienort, der Tipp kam von einer Freundin. Wenn man Scheffler fragt, was er auf dem College in der ländlichen Idylle Südenglands gelernt habe, antwortet er: "Nichts. Ich habe dort die ganze Zeit nur gezeichnet und zum ersten Mal den Eindruck bekommen, dass Illustrator ein Beruf sein kann. In Deutschland galt das immer als brotlose Kunst." Dass diese für ihn mal so einträglich werden würde, ahnte er natürlich nicht, als er nach London zog und mit seiner Mappe durch Agenturen und Verlage tourte. In dieser Zeit eignete sich Scheffler die Technik an, erst einem Bleistiftentwurf mit Tusche Konturen zu verleihen und dann mit Aquarellfarben zu kolorieren. Danach sorgen zusätzlich Buntstifte für die typische Farbigkeit, zum Schluss kommt noch einmal die Tuschfeder zum Einsatz. Schon frühe Illustrationen fürs "Zeit-Magazin" oder "Eltern" zeigen den typischen Scheffler-Stil, "nur die Nasen waren noch größer". Aber die wurden von den britischen Kinderbuchverlagen, die ein striktes Auge auf die größtmögliche internationale Vermarktung haben, nicht gewünscht.

Scheffler hatte bereits Anfang der 90er ein paar erfolgreiche Bilderbücher illustriert (zum Beispiel "He Duda" von Jon Blake), als er von seiner Verlegerin mit der Autorin Julia Donaldson zusammengebracht wurde. Zusammen bilden sie das Dream-Team der Kinderbuchliteratur. Donaldson lebt in Glasgow und Scheffler in London. "Vielleicht ist ganz gut, dass wir getrennt gehalten werden", sagt Scheffler. Die Aufteilung ist einfach: Donaldson schreibt, Scheffler illustriert den fertigen Text. Keiner redet dem anderen in die Arbeit hinein, der Gewinn wird geteilt. Nur einmal hat Scheffler einen Donaldson-Text abgelehnt: Seine Ausrede war, er könne keine Dinosaurier zeichnen, da ihn die Geschichte nicht ansprach. Manchmal erstaunen seine gemalten Interpretationen auch die Autorin: "Den Grüffelo hatte sich Julia zum Beispiel eher als eine Art Außerirdischen vorgestellt, aber ich habe aus ihm ein pelziges Monster gemacht, schon allein weil die englischen Worte Gruffalo und Buffalo ähnlich klingen." Ursprünglich sollte das Ungetüm allerdings unheimlicher aussehen. Scheffler zeigt sein Skizzenbuch, das im ausgebauten Dachstuhl in seinem Arbeitszimmer liegt. In den Entwürfen hat der Grüffelo kleinere, bösere Augen und mehr Zähne als sein erfolgreicher Nachfolger.

Eigentlich ist er nie mit seinen Bildern zufrieden, er hängt sie auch nicht auf

Ein Besuch bei Axel Scheffler, dem Erfinder des "Grüffelo"
© Jochen Braun

Auf dem Zeichentisch stehen Weckgläser voller Stifte und Pinsel, unzählige Tusche- und Farbtöpfchen lassen kaum Platz für die Skizzen. Im restlichen Raum liegen Entwürfe, Post, ausgerissene Zeitungsartikel. Scheffler seufzt und sagt: "Ich habe sogar noch Sachen in meiner alten Mietwohnung, deren Vertrag ich seit zwei Jahren nicht gekündigt habe. Eine sehr teure Form der Lagerung." Im Regal drängen sich Bildbände, Nachschlagewerke wie "Die Flora und Fauna Großbritanniens", Belegexemplare in verschiedenen Sprachen, ein alter CD-Player nebst Aufnahmen von Maria Callas bis Velvet Underground. An den Wänden hängen ein kleines Bild vom Hamburger Hafen, ein Foto der Tochter und jede Menge gerahmte Werke anderer Illustratoren. "Meine eigenen Bilder hänge ich nie auf", sagt der Künstler entschieden. Unter anderem, weil er eigentlich nie mit seinen Arbeiten zufrieden ist, aber ihm die Verlage irgendwann zur Deadline das in seinen Augen stets Unzulängliche aus den Händen reißen.

Unter Schefflers Freunden sind viele bekannte deutsche Zeichner - wie die erfolgreiche Wimmelbuch-Autorin Rotraut Susanne Berner, Jutta Bauer, Beck und Ivonne Kuschel. Arbeitspausen nutzt Scheffler gern für gezeichneten Austausch über den Ärmelkanal hinweg: Ein Fax an Jutta Bauer aus der GrüffeloEntstehungsperiode ist erhalten, da zeichnet und betextet er das Monster, noch unter dem englischen Namen, wie es bereits beim Aufwachen wie ein Albdruck auf seiner Brust hockt, ihm sogar ins Bett macht. Des Weiteren illustriert Scheffler quasi prophetisch, wie sich der Grüffelo einfach nicht abschütteln lässt, dazu reimt er "Ej Gruff, du bist mir viel zu schwer." Der erwidert: "Doch ich verlass dich nimmermehr."

Stört ihn nicht, dass immer der Grüffelo als Vergleich herangezogen wird - egal, wie viele erfolgreiche Bücher er seither illustriert hat? "Manchmal. Aber das Monster ist jetzt in der Welt. So wie bei Frankenstein." Axel Scheffler lächelt. "Ich sage immer im Scherz, dass ich als Fortsetzung vielleicht noch den Tod des Grüffelos illustrieren würde, wenn sich der Verlag dazu bereit erklärt. Aber ich kann nicht klagen, wenn ich sehe, wie schwer es für viele Kollegen ist, ihr Brot zu verdienen."

Scheffler konnte von Südlondon mit seiner Familie ins wohlhabende Richmond umziehen. Die deutsche Schule ist nah, das Viertel sicherer. Man spürt, dass Scheffler sein Kind vor der von Fressfeinden bevölkerten Welt so lange wie möglich beschützen möchte.

An seiner Tochter testet Scheffler aber niemals etwas im Vorfeld aus, da vertraut er auf sein eigenes Gefühl. "Adélie bittet mich allerdings oft, irgendetwas für sie zum Ausmalen zu skizzieren", erzählt er. Ihre Bildwünsche seien recht ausgefallen. "Zum Beispiel ‚Babypinguine machen einen Schulausflug' oder ‚Der Oktopus geht im Supermarkt einkaufen'. Aber dann malt sie es nicht aus." Scheffler schüttelt liebevoll den Kopf. Er könne durchaus verstehen, warum manche Menschen, wenn sie erst einmal mit dem Kinderkriegen angefangen hätten, gar nicht mehr aufhören wollten. Aber für ein zweites Kind fühle er sich jetzt wirklich zu alt, obwohl Adélie öfter nach Geschwistern frage. "Wir haben ihr eine Katze versprochen", sagt er. Die könne dann auch das Mäuseproblem in der Küche lösen.

Axel Scheffler...

...wurde 1957 in Hamburg geboren. Er studierte an der "Bath Academy of Art" und lebt seit den 80er Jahren in London. Besonders bekannt sind die Bücher, die er nach den Reimen von Julia Donaldson gestaltet hat, wie zum Beispiel "Die Schnecke und der Buckelwal", "Zogg" und natürlich "Der Grüffelo" und "Das Grüffelokind". Zuletzt illustrierte er "Familie Grunz" von Philip Ardagh (Beltz-Verlag)

Text: Meike Schnitzler BRIGITTE 01/14

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