Anzeige

Ausgrenzung Wie mache ich mein Kind gegen Rassismus stark?

Kinder gegen Rassismus stark machen: Mutter und Vater küssen ihre Tochter auf die Wange
© Wavebreak Media Ltd / imago images
Rassistische Diskriminierung fängt schon im Kindergarten an. Eltern stellen sich dann oft die Frage: Wie schützen wir unsere Kinder vor Übergriffen im Alltag? Zwei Expert:innen haben uns dazu Tipps verraten.

Auch wenn wir es manchmal nicht merken: Wir Erwachsenen laufen fast alle mit Vorurteilen durch das Leben. Die einen natürlich mehr, die anderen weniger. Bei Kindern heißt es immer: "Ach, die sind doch viel zu klein, um sich auszugrenzen." Doch das stimmt nicht so ganz. 

Josephine Apraku gibt Anti-Rassismus-Seminare, hat selbst ein Buch über das Thema geschrieben und setzt sich seit Jahren für diskriminierungssensible Bildung ein. Uns hat die Afrikawissenschaftlerin verraten, wann Eltern eingreifen sollten und wie wichtig die eigene Identitätsfindung ist. Zudem haben wir mit Ly-Gung Dieu gesprochen, die Antidiskriminierungsberaterin bei "KiDs – Kinder vor Diskriminierung schützen. Ein Projekt der Fachstelle Kinderwelten/ISTA" ist und uns Tipps gegeben hat, wie Kinder sensibilisiert und gleichzeitig gestärkt werden können. 

Können Kinder rassistisch sein?

Mehrere Studien, unter anderem die von Yair Bar-Haim und seinem Team, aus dem Jahr 2006 ("Nature and Nurture in Own-Race Face Processing"), belegen, dass Kinder schon im Alter von drei Monaten zwischen Menschen mit dem eigenen Hautton oder einem anderen unterscheiden können. Josephine Apraku betont, dass es sich hierbei weder um eine positive noch negative Bewertung handle, sondern nur um die Wahrnehmung der Unterschiede. Bedeutet: Rassismus ist nicht das bloße Erkennen von äußeren unterschiedlichen Erscheinungen, sondern die Bewertung dieser – also die Abwertung von BIPoC und gleichzeitig die Aufwertung von weißen Menschen.

Mit spätestens drei Jahren könnten Kinder erste rassistische Vorurteile haben, erklärt sie. Das hänge stark damit zusammen, welche Werte die Leute um sie herum vertreten. "Was wichtig zu verstehen ist: Kinder wachsen als Teil unserer Gesellschaft auf, nicht neben der Gesellschaft. Sie lernen früh die Machtstrukturen kennen und Rassismus ist eine davon. Kinder lernen über Beobachtung. Und natürlich werden entsprechend auch Machtstrukturen – also Rassismus – über Beobachtung gelernt." Darum sei es so wichtig, Vorurteilssensibilität als Eltern vorzuleben. 

Kinder wissen sehr schnell, zu welcher Gruppe sie gehören. Entweder zu denjenigen, die im Kontext zum Rassismus privilegiert sind – also weiß sind. Oder zu denjenigen, die damit rechnen müssen, dass sie Rassismus erfahren. Das Problem sei laut Expertin, dass Kinder oftmals noch nicht in der Lage sind, das zu verstehen und klar benennen zu können. Bei Kindern of Color und Schwarzen Kindern führe das oft zu Isolation, weil wir in einer Gesellschaft leben, in der immer behauptet wird: Wir alle seien gleichberechtigt. Leider sieht die Realität anders aus und damit einen Umgang zu finden, ist nicht einfach. 

Anerkennung von Rassismus-Erfahrungen

Rassismus ist für BIPoC-Kinder eine sehr schmerzhafte Erfahrung, das steht fest. Natürlich reagieren alle Kinder anders, aber in jeder Hinsicht sind sie auf die Unterstützung der Erwachsenen – sei es Eltern, Bezugspersonen, oder Erzieher:innen angewiesen. Es spielt eine große Rolle, wie gut das Kind aufgefangen und wie wachsam Eltern und Bezugspersonen sind. "Im schlimmsten Fall können Kinder den Wunsch haben nicht mehr zu leben, nicht mehr in die Schule oder den Kindergarten zu müssen, oder sie werden als "verhaltensauffällig" wahrgenommen, weil sie wenig Unterstützung im Umgang mit dem Thema bekommen." erklärt Apraku. 

"Raced based traumatic stressed" steht für genau diese Reaktionen. Auch wenn die Bezeichnung noch nicht offiziell in der Psychologie aufgelistet ist, findet sie immer häufiger Verwendung. Hierbei handelt es sich nicht um eine psychische Erkrankung wie zum Beispiel eine diagnostizierte Depression, sondern es geht um den Umgang mit akuten Rassismus-Erfahrungen. Dieser könne Symptome umfassen, die zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung gehören, wie depressive Verstimmungen, Selbstmordgedanken oder Panikattacken. Dadurch wird deutlich: Das Erleben von rassistischer Diskriminierung kann enorme Auswirkungen auf die mentale Gesundheit und damit auf das alltägliche Leben haben. Das Schlimme sei, sagt Apraku:

Wir können uns nicht darauf verlassen, dass in Schulen oder Kindergärten für Gerechtigkeit gesorgt wird. 

Es sei wichtig, rassistische Erlebnisse des Kindes ernstzunehmen, meint die Antidiskriminierungsberaterin Ly-Gung Dieu. Viele Kinder würden oft die Erfahrung machen, dass ihre Erlebnisse relativiert, in Frage gestellt oder gar nicht gehört werden würden. "Auch wenn es für Angehörige eine große Herausforderung darstellt, ist es wichtig, im Fokus zu behalten, dass die Aufmerksamkeit in so einem Moment dem Kind gehört und es die eigenen Gefühle schildern kann", betont Dieu. Auch wenn diese Erfahrung für Angehörige schmerzhaft und überfordernd sein kann, rät sie, dass sich Eltern und Bezugspersonen andere Räume für sich suchen, wo sie Austausch und emotionale Entlastung erfahren können.

Das Kind stärken

"Die Familie oder pädagogisches Fachpersonal können das Kind vorbereiten, indem das Thema Rassismus nicht erst dann angesprochen wird, wenn ein Vorfall passiert, sondern schon vorher zum Thema gemacht wird", sagt Dieu. Ähnlich sieht es auch die Afrikawissentschaftlerin Apraku:

Es ist unmöglich, die Gesellschaft zu verändern, aber wir können unsere Kinder darauf vorbereiten, in was für einer Gesellschaft sie leben.

Laut Expertin sei ein guter Draht zum Kind entscheidend, damit es ungehemmt über seine Erfahrungen spricht. Welche Möglichkeiten für Empowerment gibt es? "Es gibt Bilderbücher und Geschichten, die sich dem Thema widmen und mit denen gemeinsam mit dem Kind eine erste Annäherung an das Thema gefunden werden kann, ohne dem Kind Angst zu machen", sagt Dieu. So könnten wir Kinder darin unterstützen, eigene Wörter und eine eigene Sprache dafür zu finden, damit sie bei späteren Diskriminierungsvorfällen Dinge klarer benennen und als Rassismus einordnen können.

Apraku schlägt vor – wenn es sie gibt – die eigenen kulturellen Bezüge positiv erlebbar zu machen. Das könne eine Reise in das Heimatland eines Elternteils sein (natürlich nur, wenn möglich) oder das könne sein, dass wir uns an kulturellen Festen beteiligen. Das hänge auch immer vom eigenen Bezugspunkt ab, erklärt Apraku. "Ich höre von immer mehr Eltern, die sich zusammenschließen, um Spielgruppen zu organisieren. 'Black Dads Germany' planen Spielplatztreffen, auf denen dann Schwarze Kinder zusammenspielen." Das stärke Kinder in ihrer Identitätsfindung und das Zusammengehörigkeitsgefühl.

Am wichtigsten, sagt die Expertin, sei der Alltag: Welche Filme- und Bücher konsumieren meine Kinder? Werden da vor allem weiße Protagonist:innen gezeigt? Wie werden Kinder auf Covern dargestellt? Kann mein Kind sich in den Abbildungen selbst wiederfinden?

"Es ist wirklich wichtig, darauf zu achten, dass die Themen empowernd sind und nicht nur Rassismus thematisieren, sondern generell Themen, die Kinder stärken!" Apraku, die selbst das Buch "Wie erkläre ich Kindern Rassismus" geschrieben hat, empfiehlt Spielzeug-Onlineshops, wie Tebalou etc. für mehr Vielfalt im Kinderzimmer zu nutzen. 

Eine weitere Möglichkeit, um sein Kind zu stärken, können auch Ausflüge in Museen sein. Durch das Verständnis der Geschichte Schwarzer Menschen, werden Kinder gestärkt. Darum sei einer der wichtigsten Punkte: "Sich selbst weiterzubilden und offen zu sein", betont Apraku. "Wir müssen nicht alle geschichtlichen Ereignisse kennen, aber wir können vieles mit unseren Kindern lernen!"

Wann muss man als Eltern eingreifen?

Wenn das eigene Kind nach Hause kommt und berichtet, dass es im Kindergarten oder der Schule rassistisch angefeindet wurde, empfiehlt Apraku ganz genau hinzuschauen. Anstatt sich sofort einzumischen und mit Lehrer:innen oder Erzieher:innen zu sprechen, sollten Eltern in Gesprächen mit dem Kind herausfinden, was deren konkrete Bedürfnisse sind. "Es ist wirklich wichtig zu gucken, was sich das Kind wünscht und wie ich es dabei unterstützen kann. Manchmal ist es hilfreich, einen Raum zu haben, in dem offen über solche Erfahrungen gesprochen werden kann."

Zum Beispiel kann es helfen, die eigenen Geschehnisse mit dem Kind zu teilen und so die Erlebnisse des Kindes zu bestätigen. Durch Gespräche mit dem Kind kann man herausfinden, wie generell die Stimmung in der Klasse ist und gezielte Fragen wie diese stellen: Fühlt es sich wohl in der Klasse? Hat es das Gefühl hat, dass es gute Lehrkräfte hat, mit denen es sich gut versteht? Gibt es Leute, an die es sich wenden kann? Viele Jugendliche wollen nicht, dass sich die Eltern einmischen und in die Schule gehen, weil es sein kann, dass es dadurch nur anstrengender für das Kind wird. Wenn solche Vorfälle schon im Kindergarten auftreten, rät Apraku ebenfalls erst mit dem Kind ins Gespräch zu gehen und anhand von Beispielen zu erklären, wie es zu Rassismus kommt.

Ein typischer Fall: Viele Kinder lernen statt Schnick-Schnack-Schnuck, Ching-Chang-Chong. Und da fängt es schon an. Das können wir Kindern direkt erklären. Anhand des Alters können wir abwägen, wie genau man es erklärt. Es reicht schon zu sagen, dass manche Menschen die Bezeichnung nicht schön finden.

Je älter die Kinder werden, desto komplexer könne übrigens die Auseinandersetzung mit Rassismus sein. Irgendwann könne man den Gerechtigkeitssinn miteinbeziehen und darauf hinweisen, dass Ausgrenzung systemische Ungerechtigkeit ist! "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kinder das oft gut verstehen – häufig sogar besser als Erwachsene, die ja schon meistens länger in dieses System einsozialisiert und angepasst sind." 

Antidiskriminierungsexpertin Dieu empfiehlt: "Um das Kind vor erneuten Diskriminierungserfahrungen zu schützen, müssen Eltern unmittelbar aktiv werden. In vielen Bundesländern gibt es Antidiskriminierungsberatungsstellen, die Betroffenen eine gute Beratung anbieten. Kinder können gut begleitet werden, wenn auch ihre Eltern und Bezugspersonen sich mit dem Thema Rassismus auseinandersetzen." 

Ob Literatur, Medien oder Workshops – es gibt viele Formate, die dabei helfen, sich mit dem Thema zu befassen und die eigene Rolle zu reflektieren. Und letztendlich sind wir Eltern verantwortlich für die ersten Schritte unserer Kinder in die Gesellschaft. 

Tipps zusammengefasst:

  • Bücher, Spielzeug, Kinderfilme zur Verfügung stellen, die Schwarze, People of Color und weiße Menschen zeigen und diskriminierungskritisch aufbereitet sind 
  • Kulturelle Bezüge als positiv erleben und mit Festen oder Reisen die Identitätsfindung stärken 
  • Spielplatztreffen mit Schwarzen und PoC Kindern organisieren oder daran teilnehmen 
  • Vorurteilssensibilität als Eltern vorleben
  • Geschichtliche Geschehnisse erklären, zum Beispiel in Museen gehen 
  • Über eigene Erfahrungen sprechen und dem Kind einen sicheren Raum bieten
  • Antidiskriminierungsberatungsstellen sind unter www.advd.de, dem Dachverband unabhängiger Antidiskriminierungsberatungsstellen in ganz Deutschland zu finden
  • PowerMe bietet Workshops für pädagogische Fachkräfte und Bezugspersonen von BIPoC-Kindern an

Buch- und Onlineshop-Empfehlungen:

  • "Gib mir mal die Hautfarbe: Mit Kindern über Rassismus sprechen" von Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar
  • "Wie erkläre ich Kindern Rassismus" von Josephine Apraku
  • "Empowerment als Erziehungsaufgabe" von Nkechi Madubuko
  • Shops für diveres Spielzeug wie Tebalou oder Diversity-Spielzeug

Verwendete Quellen: "esearchgate.net", "journals.sagepub.com", "situationsansatz.de", "Instagram"

Dieser Artikel erschien ursprünglich bei ELTERN.de

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel