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Ständig im Fokus Darum frage ich meine Kinder jetzt, ob ich sie fotografieren darf!

Kind wird mit Smartphone fotografiert
© Getty Images
Kennen alle Eltern: Bloß nicht das Smartphone weglegen, man könnte einen Schnappschuss vom Baby verpassen. Und dann ab damit ins Internet. Ungefragt natürlich, Kinder muss man ja nicht um Erlaubnis bitten. Oder doch?
von Lena Selinger

Ich gehöre zu der Generation, die noch in eine Welt ganz ohne Telefon und Internet, geschweige denn Smartphones geboren wurde. Schwelge ich mit meinen Eltern in Erinnerungen an meine Kindheit, kramt meine Mama schonmal das ein oder andere dicke Fotoalbum raus. Nicht auf jedem der schwarzweiß! Bilder sehe ich besonders glücklich aus. Denn zum Verdruss meiner Eltern, mochte ich fotografiert werden nie. Im Vergleich zu heute waren Fotos allerdings noch ganz schön kostspielig – da musste das Lächeln auf Knopfdruck schon sitzen. Mittlerweile wird inflationär drauf losgeknipst. Ob die Kids das überhaupt wollen, wird selten gefragt, geschweige denn, ob sie das ok finden auf Instagram, Facebook und Co. präsentiert zu werden. Und plötzlich bin ich ungeheuer dankbar, dass meine Kindheit so wunderbar analog war.

Verfolgt: Vom Ultraschall bis auf den Spielplatz

Natürlich ist mir bewusst, dass nicht alle Eltern ihre Kinderbilder im Netz veröffentlichen. Während Datenschutz in aller Munde ist und das Thema heiß diskutiert wird, gibt es sie aber trotzdem noch, die Mamis, Blogger und Influencer, deren Schwangerschaftstest, Mutterpass und Ultraschallbilder auf Instagram landen. Während der kleine Murkel noch nicht einmal ansatzweise auf der Welt ist, findet sein Leben in den sozialen Medien schon längst statt und wird fein säuberlich dokumentiert. So geht es dann immer weiter. Als Baby hat der Nachwuchs natürlich noch keine Chance der Dauerüberwachung zu entkommen. Später aber schon. Und während die Kids auf dem Spielplatz umherjagen, rennt Papa mit dem Handy hinterher: "Matthis, guck mal...Matthis, stell dich so doch noch mal hin... und jetzt lächeln. Sag mal Spaaaaghettiiiii!". 

Matthis möchte aber viel lieber mit seinen Buddies um die Wette rennen, bestenfalls ohne Papas Kamera im Schlepptau. Und Papa? Der könnte sich einfach mal ganz gechillt auf eine Bank setzen und sich an seinem Sohn erfreuen, der einfach nur Spaß hat. 

Ehrlich gesagt: Ich war auch so

Klar, niedliche Babybilder finde ich auch süß, einen schönen Insta-Feed schaue im mir ebenso gerne und ein kleiner Voyeur steckt wohl in jedem von uns, andernfalls hätte das Leben der Anderen kaum eine so große Anziehungskraft auf uns. Die Frage bleibt aber trotzdem die gleiche: Was werden unsere Kinder später dazu sagen, dass man sie von Geburt an zur Schau gestellt hat?

Und so ganz kann ich mich davon auch nicht frei sprechen. Gut, meine Kinder haben es weder auf Ultraschallbildern noch später mit ihren Gesichtern ins Internet geschafft. Aber: Das Smartphone ist auch mein ständiger Begleiter, auch ich habe einen Großteil meiner Zeit damit verbracht, jede vermeintliche Errungenschaft der lieben Kleinen zu filmen. Böse Zungen würden behaupten, dass das erste Mal eine Linie auf ein Blatt Papier zu kritzeln, keine Leistung ist, die die Welt verändert. Ich hingegen fand das schon und habe fleißig mit der Kamera draufgehalten. Und dann wird das Video an Oma und Opa, in die Familiengruppe und an die Patentante gesendet. Und von da aus gehen die Aufnahmen meiner Kinder eigene Wege, denn die Omas machen ja auch mal ein Foto, sind stolz auf ihre niedlichen Enkel und wollen dann auch ihre Freunde daran teilhaben lassen. Und schwups kursieren Fotos außerhalb jeglicher Kontrolle. 

Und dann kam die Wende

Im Grunde gab es nicht nur einen Auslöser, sondern eine Verkettung verschiedener Umstände, die mich dazu veranlasst haben, dass Smartphone auch mal liegen zu lassen und außerdem meine Kinder vorher zu fragen, bevor ich sie filme oder fotografiere: 

1. Meine Kinder besitzen nicht ein Fotoalbum. Das finde ich ehrlich gesagt wirklich schlimm. Der Grund: Wir haben abertausende Fotos auf dem Rechner. Von jeder Situation gefühlt 20 verschiedene. Die alle zu sortieren, ist ein Berg voller Arbeit und der wächst und wächst und wächst und schwebt wie ein Damokles-Schwert über mir. Die Anhäufung unnötiger Bilder muss aufhören!

2. Die Kinder sind von meiner Fotografierei genervt. Daraus resultieren gestellte Fotos, die keiner mag. Ergo hift nur, weniger Fotos machen. 

3. Wir verpassen die wirklich wichtigen Momente. Das stolze Lächeln bevor meine Tochter das erste mal die Rutsche allein herunter gesaust kommt. Die Aufregung am dritten Geburtstag, während sie die Geschenke auspackt und den ersten, wackligen Schritt: All das habe ich nur auf dem Display meine Smartphones gesehen um den Augenblick festzuhalten, statt einfach ganz und gar den Augenblick zu erleben und die Erinnerung in meinem Kopf zu speichern.

4. Es stresst mich! Die große Angst einen besonderen Moment zu verpassen, ihn nicht nochmal ansehen zu können, setzt mich unter Druck. Aber sind wir mal ehrlich, wie oft gucken wir uns denn die ganzen kleinen Filmchen an, die wir im Laufe unserer Elternkarriere so aufnehmen?

5. Inflation von Besonderheiten: Für viele Eltern, mich eingeschlossen, ist jede noch so kleine Errungenschaft in der Entwicklung der Kinder etwas ganz besonderes. Nur für den Rest der Welt ist das nicht so. Und das sollte man bedenken, wenn man Verwandte und Freunde mit Fotos vom rutschenden Kind überhäuft. Und mit etwas Abstand erkennt man das als Eltern auch wieder selbst – spätestens wenn man sich dann an das Sortieren der Fotos macht.

Meine Kinder haben das Recht zu entscheiden, ich darf das schließlich auch

Eigentlich ist ja ganz einfach: Ich mag es nicht ungefragt in Dauerschleife fotografiert zu werden, warum sollten meine Kinder es dann einfach so hinnehmen? Also frage ich sie einfach vorher. In den meisten Fällen finden sie das auch ok und grinsen gerne frech in die Kamera. Und wenn sie dann mal nicht wollen, ist das eben genauso ok. Gleiches Recht für alle! Und das Gute: Es gibt später keine Diskussion über unerlaubte, ungewünschte und aufgezwungene Fotos.

Tipps: Das hilft gegen den Foto-Wahn

Das Schwerste überhaupt ist ja bei der Ganzennummer, das Handy auch mal in der Tasche zu lassen. Dafür gibt es aber ein paar Tricks, die wirklich helfen: 

  • Handy in die Kiste sperren! Was man nicht die ganze Zeit bei sich hat, benutzt man weniger
  • Bewusste Handy-Auszeiten: Gemeinsam legt man Zeiträume am Tag fest, in denen das Handy einfach in der Schublade verschwindet und man ganz analog unterwegs ist. 
  • Ein Fotografie-Tag pro Monat: Statt das Kind jetzt zum hundertsten Mal beim Spaghetti-Essen abzulichten, lieber besondere Aufnahmen machen. Vielleicht bei einem Spaziergang oder einem gemeinsamen Ausflug in den Zoo schöne Familienbilder knipsen. Denn mal ehrlich: Wer soll sich die tausend Fotos angucken?

Es tut wirklich gut, das Fotofasten – nicht nur uns Eltern, sondern vor allem den Kids, die statt in Smartphones viel öfter in unsere Gesichter lachen!

Barbara

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