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Gender-Marketing Was Rosa und Hellblau mit unseren Kindern macht

Gender-Marketing: Zwei Babys – ein Junge und ein Mädchen
© Veronika Galkina/shutterstock
Welches Spielzeug kaufen wir und welche Bücher lesen wir vor? Unseren Töchtern meist etwas anderes als den Jungs. Was das "Gender-Marketing" mit uns macht, erklären Almut Schnerring und Sascha Verlan, Autoren des Buches "Die Rosa-Hellblau-Falle: Für eine Kindheit ohne Rollenklischees".

BRIGITTE: In den Läden stehen rosa Ponys und finstere Ninjago-Krieger in nach Geschlechtern getrennten Regalen. Warum setzt die Spielzeugindustrie zunehmend auf Gender-Marketing?

Sascha Verlan: Die Branche ist seit Jahren mit zurückgehenden Geburtenjahrgängen konfrontiert, Umsatzsteigerungen sind daher schwierig geworden. Die Trennung des Spielzeugangebots nach Geschlechtern ist ein Versuch, gegenzusteuern, und die Strategie ist erfolgversprechend.

Almut Schnerring: Statistiken belegen, dass die Umsatzzahlen durch Gender-Marketing deutlich steigen. Nachdem der Franckh Kosmos Verlag etwa die "Drei Ausrufezeichen" für Mädchen als Ergänzung zu den "Drei Fragezeichen" herausgegeben hat, ist der Umsatz gestiegen. Insgesamt werden mehr Bücher verkauft.

BRIGITTE: Aber die Kinder werden dadurch ja nicht mehr ...

Almut Schnerring: Nein, aber Jungs wollen nicht mit Sachen für Mädchen spielen, und Mädchen nicht mit Sachen für Jungs. Das führt dazu, dass man alles doppelt kauft, wenn in der Familie Kinder beider Geschlechter da sind. Früher gab es Gummistiefel für alle, heute kann ein Mädchen kaum noch blaue Schuhe tragen. Meiner Tochter ist es schon zweimal passiert, dass ihre blauen Schuhe als "Jungsschuhe" bezeichnet wurden.

BRIGITTE: Immerhin trägt sie blaue Schuhe ...

Almut Schnerring: Ja, aber jetzt reiben sie plötzlich.

Sascha Verlan: Das Prinzip des Gender-Marketings funktioniert auch nur, weil viele von uns es sich leisten können, getrennte Zimmer für Mädchen und Jungs einzurichten.

BRIGITTE: Ü-Eier und "Elfentrank" für Mädchen, "Monster-Alarm"-Getränke für Jungs. Die Geschlechtertrennung ist auch bei den Lebensmitteln angekommen. Was soll das?

Sascha Verlan: Der "Elfentrank" war der erste Versuch von Capri Sonne in Sachen Gender-Marketing. Der war offenbar so erfolgreich, dass sie das weitertreiben wollen. Das zieht sich mittlerweile bis in den Erwachsenenmarkt: Chio verkauft Chips für den „Mädelsabend“ und den „Männerabend“. Das Problem dabei ist, dass Eigenschaften und Vorlieben mittransportiert werden, die über die Sache hinausgehen. Für Frauen und Mädchen sind die Lebensmittel eher "mild" oder "cremig", was Schwäche konnotiert, für Männer "scharf" oder "feurig". Und wenn Lebensmittel für Frauen als kalorienreduziert vermarktet werden, verweist das auf ein bestimmtes weibliches Körperideal.

BRIGITTE: Was macht die Geschlechtertrennung mit unseren Kindern?

Almut Schnerring: Wenn der angebliche Unterschied zwischen den Geschlechtern betont wird, schränken wir die Wahlmöglichkeiten und Interessensoptionen unserer Kinder ein. Wenn es etwas extra für Jungs gibt, heißt das für die Mädchen: Da gehörst du nicht dazu, das ist nichts für dich.

BRIGITTE: Wieso funktioniert diese Marketingstrategie so gut?

Almut Schnerring: Für Kinder ist es entscheidend, dazuzugehören. Und wir Erwachsenen zeigen durch unsere Reaktionen, was "typisch Junge" oder "typisch Mädchen" ist. Es ist eben viel praktischer, sich zurückzulehnen und zu sagen: "Ach, lass sie doch, Mädchen und Jungs sind halt unterschiedlich." Dabei vergessen wir, dass es immer eine Hierarchie gibt. Weich und süß zu sein ist angeblich nicht jungenhaft, dominant und stark zu sein, passt nicht zu Mädchen. Aber solche Zuschreibungen sind nie gleichwertig. Solange wir daran festhalten, die Kinderwelt in Rosa und Hellblau einzuteilen, werden unsere Kinder mit denselben klischeehaften Zuordnungen und Einschränkungen zu kämpfen haben wie wir selbst.

BRIGITTE: Warum spielen die Eltern das Spiel mit?

Almut Schnerring: Weil sie selbst in einer Welt aufgewachsen sind, die die Zweigeschlechtlichkeit betont – in einem Zusammenspiel aus Werbung, Medien, Filmen, Büchern. Das passiert alles zwischen den Zeilen, aber es ist da.

BRIGITTE: Im Marketingsprech werden Eltern als "Gatekeeper" als bezeichnet, die die Konsumentscheidungen ihrer Kinder überwachen. Erfüllen sie diese Funktion überhaupt noch?

Sascha Verlan: Marketingstrateginnen und Werber arbeiten daran, uns weiszumachen, dass Kinder autonome Wesen sind, die autonome Entscheidungen treffen können. Sie wollen unsere Kompetenz und unsere Funktion als Eltern untergraben. Kinder werden zum Beispiel nicht mehr als "Kinder" bezeichnet, die man betreuen oder beschützen muss, sondern als Kids, Teens oder Preteens. Außerdem wird Elternschaft in der Gesellschaft ständig thematisiert. Einmal werden sie als überbehütende „Helikopter-Eltern“ bezeichnet, dann wieder ziehen sie "Tyrannen" groß. Ständig lesen wir, was wir falsch machen. Das führt zu einer Verunsicherung, die es schwer macht, Position zu beziehen.

BRIGITTE: Wie schaffen Eltern es trotzdem, sich den Klischees zu entziehen?

Sascha Verlan: Eltern sollten nach vorne schauen und sich fragen, in was für eine Welt unsere Kinder hineinwachsen sollen – und nicht in die Steinzeit zurückschauen, die für so viel herhalten muss, die aber keiner kennt. Wir sollten uns fragen: Welche Interessen haben meine Kinder wirklich? Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass es anstrengend sein kann, gegen die Normen anzugehen, trotzdem sollte man überlegen: Wie kann ich mein Kind unterstützen? Wie weit fahre ich, damit mein Sohn zum Tanzkurs gehen kann, obwohl das ein „Mädchending“ ist? Wie lange suche ich für ihn nach einem T-Shirt, auf dem kein Roboter oder Panzer zu sehen ist?

Gender-Marketing: Sascha Verlan und Almut Schnerring sind Eltern dreier Schulkinder, sie haben zwei Mädchen und einen Sohn. Ihr Blog: ich-mach-mir-die-welt.de.
Sascha Verlan und Almut Schnerring sind Eltern dreier Schulkinder, sie haben zwei Mädchen und einen Sohn. Ihr Blog: ich-mach-mir-die-welt.de.
© privat

BRIGITTE: Gelingt es Ihnen, in der eigenen Familie gegenzusteuern?

Sascha Verlan: Wir reden zu Hause viel über das Thema, zum Beispiel beim Essen, und merken, dass das Bewusstsein unserer Kinder dadurch geschärft wird. Wir machen aber auch die Erfahrung, dass das eigene Vorleben Grenzen hat. Wir teilen uns Job und Familie, leben Gleichberechtigung vor, aber wir leben nicht auf einer Insel. In der Werbung und beim Warenangebot wird die Geschlechtertrennung mit viel Geld propagiert, dagegen kommt man nicht an. Man kann die Eltern nicht allein verantwortlich machen.

Fotoshow: Eine Portion Klischees, bitte! Spielzeug für Jungen und Mädchen:

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