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#GleichesRechtfürEltern "Das muss endlich sichtbar werden"

#GleichesRechtfürEltern: Sandra Runge
© Manu Wolf
Wie kommt man Eltern-Diskriminierung im Job am besten bei? #proparents-Initiatorin Sandra Runge über die großen Chancen einer Gesetzesänderung. Unterstütze unsere Petition unter www.brigitte.de/petition

BRIGITTE: Frau Runge, was Mütter und Väter über ihre Erlebnisse im Job berichten, klingt zum Teil haarsträubend.

Sandra Runge: Ja, absolut. Und es entspricht dem, was ich selbst erlebt habe. Als ich aus meiner ersten Elternzeit auf meine Stelle als Abteilungsleiterin bei einer mittelständischen Firma zurückkehrte, wurde mir gekündigt. Der Job sei ausgelagert, hieß es, was sich später als Lügenmärchen herausstellte. Ich klagte, erhielt eine Abfindung, machte mich selbstständig. Seitdem sind zehn Jahre vergangen, doch ich habe das Gefühl, nichts hat sich geändert! 80 Prozent meiner Mandant*innen sind heute Mütter, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich oder derartiges befürchten. Auch Väter kommen zu mir.

Hat Corona die Lage verschärft?

Manche Firmen, die wegen der Krise zu kämpfen haben, planen derzeit bevorzugt die Entlassung von Eltern und schieben betriebsbedingte Gründe vor. Meiner Co-Initiatorin Karline Wenzel und mir haben diese Geschichten den letzten Schubs gegeben zu sagen: Hier muss was passieren. Die krasse Diskriminierung von Eltern in der Arbeitswelt muss endlich sichtbar werden. Und sie brauchen mehr rechtliche Möglichkeiten, sich dagegen zu wehren. Im Januar haben wir deswegen die Initiative #proparents ins Leben gerufen.

Wieso reichen die bestehenden Gesetze zum Schutz von Eltern nicht aus?

Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) und das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) schützen nur punktuell vor Benachteiligungen, etwa vor Kündigungen während Schwangerschaft und Elternzeit. Ein allgemeiner Schutz, der arbeitenden Eltern in jeder Situation vor Benachteiligungen schützt, fehlt jedoch. Zwar können sich Eltern bei Diskriminierungen im Job aufs AGG berufen und zum Beispiel Anspruch auf Schadensersatz geltend machen. Doch dieses Gesetz hat zwei große Lücken.

Welche?

Eine ganz wichtige Lücke klafft beim Wiedereinstieg. Das ist besonders tragisch, weil es hier die meisten Diskriminierungen gibt und diese dann auch oft besonders schlimme Folgen für die Eltern haben. Kündigungen, Degradierungen oder Versetzungen gleich nach der Elternzeit, die systematische Ablehnung von Teilzeitanträgen ohne dringende betriebliche Gründe – all das kann nicht nur Karrieren ruinieren, sondern Familien in Existenznot bringen, etwa wenn eine Alleinerziehende ihren Job verliert oder plötzlich 100 Kilometer zu ihrem Arbeitsplatz pendeln soll.

Wieso kann das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hier wenig ausrichten?

Benachteiligungen im Zusammenhang mit der Elternzeit, also etwa eine ungerechtfertigte Kündigung am ersten Tag nach der Elternzeit, gelten im Sinne des AGG nicht als unmittelbare Diskriminierung. Das aktuell im Gesetz aufgeführte Diskriminierungsmerkmal, das für Eltern relevant ist, lautet: Geschlecht. An anderer Stelle im Gesetz werden Schwangerschaft und Mutterschaft im Sinne von Entbindungen zwar auch als Benachteiligungen genannt, aber damit kann man zum Beispiel bei einer Kündigung kurz nach der Elternzeit nicht mehr argumentieren. Wenn eine Mutter zu diesem Zeitpunkt ihren Job verliert, kann man aber auch nicht einfach sagen: Sie wurde wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Schließlich können Frauen wie Männer Elternzeit nehmen. Der einzige Weg wäre, eine sogenannte mittelbare Diskriminierung nachzuweisen, indem man zum Beispiel sagt: Statistisch nehmen überwiegend Frauen Elternzeit, also ist es doch eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Dieser Weg ist aber sehr kompliziert und mit Rechtsunsicherheit verbunden, auch weil es dazu kaum höchstrichterliche Rechtsprechung gibt.

Welches ist die zweite Schutzlücke?

Das sind die Väter. Bei den Diskriminierungsmerkmalen werden sie völlig ausgeblendet. Das Gesetz trat 2006 in Kraft – heute nehmen mehr Väter Elternzeit, wollen in Teilzeit wechseln. Das macht ihren Ausschluss im AGG zunehmend unsinnig und für die Väter zum Risiko: Werden sie wegen ihrer Elternschaft im Job diskriminiert, haben sie kaum Möglichkeiten, sich gerichtlich zu wehren.

Durch die Aufnahme von "Elternschaft" ins AGG würde sich das ändern?

Ja. Denn statt des Geschlechts wäre nun entscheidend, dass ein Mensch Kinder hat. Das heißt: Mütter wie Väter hätten im Fall einer Benachteiligung ein Leistungsverweigerungsrecht und Anspruch auf Schadensersatz. Und, ganz wichtig: Elternschaft stünde dann im AGG an prominenter Stelle, gleich bei der Auflistung der Diskriminierungsmerkmale. Das würde die Unternehmen unter Druck setzen, sich endlich um familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu kümmern. Vorgesetzte, Personalabteilungen und Betriebsräte hätten einen klaren und unmissverständlichen Auftrag für die Ausgestaltung einer familienfreundlichen Unternehmenskultur. Vor allem aber wäre es eine wichtige gesellschaftliche Geste: Wir würdigen, was Mütter und Väter leisten, indem wir ihnen besonderen gesetzlichen Schutz bieten.

Manche sagen, das AGG sei gut gemeint, aber zahnlos. Betroffene hätten zum Beispiel nur zwei Monate Zeit, Klage einzureichen. Das sei viel zu knapp.

Das stimmt. Und natürlich gehört zu einer Klage auch viel Mut – und ein gewisses Finanzpolster oder eine gute Rechtsschutzversicherung. Ich bin aber überzeugt: Schon die Aufwertung von Elternschaft, die mit einer Gesetzesänderung einherginge, und die Diskussion darüber würden in den Firmen unglaublich viel bewegen. Die beste Art, Konflikte am Arbeitsplatz zu lösen, ist ja sowieso das konstruktive Gespräch zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten, und nicht ein Treffen vor Gericht. Die Ergänzung des AGG würde helfen, dass dieser Dialog mehr auf Augenhöhe stattfindet.

Wäre nicht auch denkbar, dass die Firmen nach einer Gesetzesänderung extra vorsichtig werden bei der Einstellung von Eltern – weil sie Klagen fürchten?

Na ja, sehr viel vorsichtiger als jetzt können sie nicht mehr werden. Ich denke eher, das Gegenteil wird passieren. Die Firmen werden versuchen, das Arbeitsumfeld so familienfreundlich zu gestalten, dass für Diskriminierung kein Raum mehr bleibt.

Der Entwurf für eine Gesetzesänderung müsste aus der Politik kommen. Gibt es Parteien oder Politiker*innen, auf die Sie hier Hoffnungen setzen?

Wir haben in den letzten Monaten mit Politiker*innen unterschiedlicher Parteien und mit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes Kontakt aufgenommen und erhielten schon sehr positive Reaktionen. Diesen Dialog wollen wir unbedingt fortsetzen. Denn tatsächlich wäre jetzt ein sehr guter Zeitpunkt, sich das Thema als Politiker*in auf die Fahnen zu schreiben. Bis August 2022 muss die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie, die die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf verbessern soll und der auch Deutschland vor zwei Jahren zugestimmt hat, in nationales Recht umgesetzt werden. Da muss das AGG ohnehin auf den Prüfstand. Und: Am 26. September ist Bundestagswahl. Die Wahlprogramme werden jetzt geschrieben. Wer eine Änderung des AGG dort aufnimmt, würde den 20 Millionen Eltern in Deutschland eine Wertschätzung zeigen, die sie sich gerade im zurückliegenden Jahr wirklich verdient haben.

Sandra Runge, 43, ist Anwältin in Berlin und Mutter zweier Söhne. Seit zehn Jahren berät sie Eltern zu allen rechtlichen Fragen und bloggt darüber als "Smart-Mama". Mit der Kommunikationsberaterin Karline Wenzel hat sie im Januar 2021 #proparents ins Leben gerufen.

#GleichesRechtfuerEltern: Logo Petition
© Eltern / Brigitte

#GLEICHESRECHTFÜRELTERN

So unterstützt du unsere Kampagne: Eltern-Diskriminierung ist ein Skandal. Gemeinsam mit dir wollen wir die Politik bewegen, endlich zu handeln. Deshalb haben wir eine Petition gestartet, damit Elternschaft im Antidiskriminierungsgesetz aufgenommen wird. Wir wollen so viele Stimmen wie möglich sammeln und unser Anliegen offiziell beim Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags einreichen. Unterstütze uns dabei, unterzeichne unsere Petition zur Änderung des AGG auf www.brigitte.de/petition. Die Petition läuft bis zum 14. Juni 2021.

Je mehr Beispiele wir zeigen, desto wirksamer wird unsere Forderung. Deshalb möchten wir wissen, was du selbst als Elternteil im Job erlebt hast. Maile uns deine Geschichte – auch anonym – an elternrechte@brigitte.de und erzähle: Welche Diskriminierungen hast du am Arbeitsplatz erfahren? Wann ist es passiert? Wie hast du reagiert? Diese Geschichten sind wichtige Belege für die Benachteiligung von Eltern. Wir werden sie sammeln und in Berlin übergeben. So erhöhen wir den Druck auf die Politik. Gemeinsam ändern wir das Gesetz!

Alle Infos auf www.brigitte.de/elternrechte und www.proparentsinitiative.de

BRIGITTE 08/2021

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