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Aufklärung "Schatz, klär das Kind auf" – Was Kinder wann über Sex wissen sollten

Elter, sprecht mit euren Kindern über Sex und Liebe
© Getty Images
Unsere Autorin hat drei Kinder, die Fragen haben. Über ihre Körper, über Sex, übers Kinder kriegen und über Gefühle. Da ist es manchmal gar nicht so einfach, das richtige Maß und die richtigen Antworten zu finden.
von Marie Stadler

"Du, Mama, und wie kommen die Babys in den Bauch rein?" Mein Vierjähriger sieht mich mit großen Augen an und ich winde mich wie ein Aal im Kescher. Mit dieser Frage hatte ich so nicht gerechnet. Noch nicht. "Der Bauch hat doch gar kein Loch, oder?", hakt mein Kleinster noch einmal nach. Dankbar greife ich seine zweite Frage auf. "Klar hat der Bauch Löcher", antworte ich erleichtert und wir gehen sie alle gemeinsam durch. Das Loch, durch das das Pipi rauskommt, der Mund, das Po-Loch, der Bauchnabel, der mal sowas wie ein Loch war, und plötzlich diskutieren wir über Verdauung. Ich bin erleichtert und beschämt zugleich. Habe mich geschickt um seine Frage herummanövriert und bin ihm doch die eigentliche Antwort schuldig geblieben. Warum ich ihm nicht einfach gesagt habe, wie Sex funktioniert? Vielleicht, weil ich noch nicht so weit war wie er. Vielleicht, weil ich Angst hatte, was er mit der Info macht. Was, wenn er die halbe Kita aufklärt? Was, wenn er dafür Ärger bekommt? Was, wenn ihn meine Antwort nachhaltig verstört? Ich beschließe, eine Expertin zu fragen.

Kinder haben ein Recht auf Antworten

Helga Tolle ist Diplom-Psychologin, schult unter anderem Erzieher aus Kindertagesstätten zum Thema "Kindliche Sexualität und Sexualerziehung" und gibt Kurse zum Thema für Eltern. Und sie gibt mir erst einmal Recht in meinem Gefühl, nicht ganz optimal geantwortet zu haben. "Kinder, die Fragen stellen, haben ein Recht auf Antworten", sagt sie. Trotzdem versteht sie meine Ängste. "Kleine Kinder kennen noch nicht die gesellschaftlichen Tabus, Normen und Regeln, das ganz Besondere der Intimität der Sexualität, sie unterscheiden noch nicht zwischen Sexualität und Körperlichkeit", beruhigt sie mich. "Man kann einem Vierjährigen ruhig sagen, dass der Penis beim Sex in die Scheide gesteckt wird, dass Erwachsene das tun, wenn sie sich lieben und dass das auch schön ist und nicht weh tut. Mit einer solchen Antwort können Kinder gut umgehen." Ich denke über meinen Sohn nach und bin mir sicher, dass er diese Antwort vermutlich wirklich ganz gut verkraftet hätte. Aber was ist mit dem Umfeld? Was machen zum Beispiel die Erzieher, wenn mein Sprössling in der Sonnengruppe eine Aufklärungsmission startet?

Sexualentwicklung ist Persönlichkeitsentwicklung

Tatsächlich ist mein Gedanke an die Kita beim Thema Aufklärung nicht verkehrt. "Wenn die Erzieher gut geschult sind, wird die Aufklärungsmission Ihres Sohnes auch in der Kita wunderbar aufgenommen und besprochen werden", sagt Helga Tolle. "Schwierig wird es, wenn die Kita nicht gut vorbereitet ist auf aufgeklärte Kinder, die ihr Wissen teilen." Deshalb empfiehlt sie Eltern, das Gespräch mit der Kita zu suchen und zu erfragen, wie der Leitfaden zur Sexualerziehung aussieht. "Sexualentwicklung gehört zur Persönlichkeitsentwicklung. Damit muss die Kita sich auseinandersetzen." Zumal, so die Expertin, gerade in der Kita ganz viele Fragen aufkommen. Kinder gehen gemeinsam auf Toilette, bemerken Unterschiede, verlieben sich sogar schon.

Sexualität ist so viel mehr als Sex

Wichtig ist der Psychologin das Verständnis der Erwachsenen, was überhaupt zur Sexualerziehung gehört. "Es ist ein schräges Verständnis von Aufklärung, dass es nur um die Frage geht, wie Sexualverkehr geht", sagt sie. "Aufklärung ist ein riesiges Thema. Dazu gehören Fragen wie: Was bedeutet das eigentlich für mich, männlich oder weiblich zu sein? Warum küssen sich Mama und Papa? Wie fühlt mein Körper sich an? Wo liegen die körperlichen Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen? Wie geht Freundschaft?" All das interessiert Kinder ungemein, weil es bereits zu ihrer Lebensrealität gehört. "Auch Kindergartenkinder verlieben sich zum Beispiel schon", erzählt Helga Tolle. "Das ist eine ernsthafte Angelegenheit. Auch wenn die Form der Beziehung sich noch verändern wird, das Gefühl des Verliebtseins verändert sich nicht." Puh. Also darf ich nicht belächeln, dass meine sechsjährige Tochter eine Beziehung mit Lasse führt mit ähnlich vielen Status-Updates wie bei Selena Gomez und Justin Bieber? "Nein", sagt Helga Tolle. "Diese Beziehung sollten Sie in jedem Fall ernst nehmen. Ihre Tochter tut das schließlich auch." Und es stimmt. Sie hat Liebeskummer, Höhenflüge und kennt Eifersucht. Sie selbst hat Lasse ausgesucht und kann ganz genau erklären, was sie an ihm mag. Verrückt eigentlich, das zu belächeln.

In der Pubertät mit der Aufklärung zu beginnen, ist zu spät

Wenn die Chance zur Aufklärung in Kindergarten- und Grundschulzeit verpasst wurde, ist es eigentlich schon zu spät, sich dem Thema anzunehmen. Denn Kinder, die einen offenen Umgang mit Fragen rund um Sexualität nicht gelernt haben, werden auch mit 14 wenig Lust haben, mit ihren Eltern plötzlich über Verhütung zu sprechen. Überhaupt gilt bei Jugendlichen immer: Eltern können nur Angebote machen. Ob ihre Kinder dann wirklich über die Veränderungen des Körpers, Sex und Liebe sprechen möchten, das sollten Eltern ihrem Nachwuchs selbst überlassen. "Aufklärung mit Jugendlichen hat viel mit Beziehung zu tun", sagt Helga Tolle. "Und wie immer in Beziehungen ist es wichtig, die Grenzen des Jugendlichen zu akzeptieren." Heißt im Klartext: Jugendliche entscheiden selbst, ob, wie und mit wem sie über Sexualität reden. 

Gute Bücher, gute Infos

Ich gehe nach Hause und beschließe, mir eine Scheibe von Helga Tolle abzuschneiden. Ihre unaufgeregte und entspannte Art, über Sexualität zu sprechen, scheint mir der Schlüssel zu guten Gesprächen mit meinen Kindern. Ich nehme mir auch vor. die Beziehungen meiner Kinder ernster zu nehmen und hoffe, dass das Selenas und Justins Eltern auch tun. Aber vor allem, da bin ich mir sicher, werde ich in Zukunft Antworten geben. Auch wenn sie mir unangenehm sind und ich mich dabei innerlich ein bisschen winde. Denn wirklich wichtig ist mir, dass wir im Gespräch bleiben. Die Frage meines Sohnes war ein großartiges Angebot an mich. Und nochmal werde ich so ein Angebot nicht ausschlagen. 

Buchtipps und Informationen rund ums Thema Sexualaufklärung:

https://www.bzga.de/infomaterialien/sexualaufklaerung

Barbara

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