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Vater verklagt Deutschland Anwältin Sandra Runge: "Elterngeld ist kein Ersatz für den Vaterschaftsurlaub"

Ein Vater verklagt Deutschland: Mann mit Baby
© anoushkatoronto / Adobe Stock
Seit vielen Monaten warten Familien auf das Inkrafttreten des Familienstartzeitgesetzes, das es Partner:innen ermöglichen soll, nach der Geburt zwei Wochen bezahlten Sonderurlaub zu nehmen. Die Umsetzung verzögert sich jedoch immer weiter. Jetzt verklagt ein Vater Deutschland auf Schadensersatz. Seine Anwältin verrät uns, wieso sie diesen Schritt mitgeht und warum die bezahlte Freistellung für eine gleichberechtigte Partnerschaft so wichtig ist.

Viele Paare, die aktuell ein Kind erwarten, hoffen darauf, dass die seitens der Regierung angekündigte Familienstartzeit, die dem zweiten Elternteil zwei Wochen bezahlten Sonderurlaub gewährt, endlich umgesetzt wird. Zehn Arbeitstage, um den familiären Zusammenhalt zu stärken, um einen Grundstein für gleichberechtigte Sorgearbeit zu legen, um die Weichen für Vereinbarkeit zu stellen. Doch bisher: nichts.

Dabei hat die Ampel-Koalition bereits 2021 in ihrem Koalitionsvertrag festgelegt, dass Partner:innen zukünftig zwei Wochen Sonderurlaub nach der Geburt bekommen sollen. Laut der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie ist Deutschland sogar dazu verpflichtet, Vätern zehn Arbeitstage bezahlten Vaterschaftsurlaub zu ermöglichen. Und eigentlich hätten diese verbindlichen EU-Vorgaben bereits bis August 2022 umgesetzt werden müssen.

Deshalb entschied sich ein Vater bei seinem Arbeitgeber Vaterschaftsurlaub zu beantragen – ohne Erfolg. Stattdessen hat er regulär Urlaub genommen und nun Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland eingereicht. Seine Anwältin Sandra Runge verrät uns mehr über den Präzedenzfall und seine Bedeutung für Familien in Deutschland.


BRIGITTE: Wie kann es überhaupt sein, dass wir in Deutschland noch keinen Vaterschaftsurlaub haben?
 

Sandra Runge: Das ist ein klares politisches Versäumnis. Die Umsetzung des sogenannten Vaterschaftsurlaubs beziehungsweise der bezahlten Freistellung des zweiten Elternteils ist schließlich eindeutig in der EU-Richtlinie geregelt. Es gibt zwar eine Ausnahmeregelung für den Fall, dass Mitgliedsstaaten auf anderer Grundlage eine Vergütung von mindestens 65 Prozent vorsehen. Daher bestand regierungsseitig die Auffassung, dass unser Elterngeld ausreicht. Das stimmt jedoch nicht. Elterngeld kann nicht nur für zehn Arbeitstage, sondern muss für mindestens zwei Monate beantragt werden. Alle, die das nicht wollen oder können oder das Elterngeld erst später beantragen wollen, gehen leer aus. Das ist mit EU-Recht nicht vereinbar. 

Ein Grund für die bisherige Nichtumsetzung des Vaterschaftsurlaubs ist sicherlich auch die Finanzierung. Immerhin sind es zehn Urlaubstage bei vollem Lohn. Das sieht man auch an der bisher nicht abgeschlossenen Finanzierungsdiskussion zur Familienstartzeit. Die wird zwar nicht gerne mit dem EU-Vaterschaftsurlaub in einen Topf geworfen, denn dann würde man sich ja eingestehen, dass man die EU-Richtlinie eben bisher nicht umgesetzt hat. Allerdings sieht die Familienstartzeit, genau wie die EU-Richtlinie es vorschreibt, zwei Wochen beziehungsweise zehn Arbeitstage bezahlten Urlaub nach der Geburt vor.

Warum eine Klage? Was erhoffen Sie sich für Ihren Mandanten und für alle Familien? 


Der Hintergrund der Klage ist ja, dass die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie in Deutschland nicht ausreichend umgesetzt wurde, obwohl das bis August 2022 der Fall hätte sein müssen. Daraus ist einem Vater, der stellvertretend für tausende andere Väter steht, ein konkreter finanzieller Nachteil entstanden. Denn er wollte die Familienstartzeit beziehungsweise den Vaterschaftsurlaub nehmen und hat dafür letztendlich seinen Erholungsurlaub verbraucht. Den hätte er gar nicht nehmen müssen, wenn die Richtlinie bereits umgesetzt worden wäre. Durch das Nichthandeln der Regierung ist dem Vater also ein Schaden in Form seines verbrauchten Erholungsurlaubs entstanden, für den er nun Schadensersatz fordern kann.

Im Falle eines erfolgreichen Präzedenzfalles, von dem wir fest ausgehen, ist zu erwarten, dass sich weitere Väter der Klage anschließen werden. Denn theoretisch kommt für jeden Vater, dessen Kind ab dem 2.8.2022 geboren wurde, ein Schadensersatzanspruch in Betracht. Und mit jeder Geburt, zu der die Familienstartzeit nicht umgesetzt wird, werden es mehr.

Was sagen Sie zu dem Argument, der Vater hätte einfach Elternzeit nehmen und Elterngeld beantragen können, um bei seiner Familie zu sein?

Das hätte er tun können, allerdings mit dem Haken, dass er mindestens zwei Monate Elterngeld direkt nach der Geburt hätte beantragen müssen. Unser Vater will aber den gemäß EU-Recht vorgesehenen Vaterschaftsurlaub, das heißt eine zu hundert Prozent bezahlte Freistellung von zehn Arbeitstagen direkt nach der Geburt und erst einige Monate später in Elternzeit gehen. Das ist legitim und durch das Recht so vorgesehen.

Es gibt bereits Unternehmen, die freiwillig bezahlten Sonderurlaub anbieten. Sind solche Zusatzleistungen auf Unternehmensseite ein mögliches Zukunftsmodell?
 

Wenn Unternehmen in dem Bereich Benchmarks setzen und schneller vorangehen als die Politik, ist das natürlich super. Doch es löst nicht das Problem, dass wir eine gesetzliche Grundlage für alle brauchen. Interessant finde ich, dass bereits einige Väter trotzdem Vaterschaftsurlaub bei ihrem Arbeitgeber beantragen. Vor einigen Jahren wäre sowas noch undenkbar gewesen. Das ist ein starkes Signal, dass Väter sich dafür einsetzen, bezahlte Fürsorgearbeit leisten zu können.

Warum ist die Familienstartzeit so wichtig für die gesamte Familie und eine gleichberechtigte Elternschaft?
 

Am wichtigsten ist der Mechanismus. Man muss anders als beispielsweise beim Elterngeld keinen Antrag stellen, sondern es ist einfach ein gesetzlicher Anspruch – so ähnlich wie bei den Mutterschutzfristen und den Mutterschaftsleistungen vor und nach der Geburt. Es ist also etwas, was Unternehmen von sich aus beachten und respektieren müssen. Das ist ein ganz großer Unterschied. Vätern, die in Elternzeit gehen, werden noch oft Steine in den Weg gelegt, etwa durch Androhungen, dann keine Beförderung zu bekommen. Nach einer Studie der Antidiskriminierungsstelle des Bundes berichten 30 Prozent der Väter, dass Vorgesetzte abfällig oder negativ auf die Elternzeit reagiert haben. Ein gesetzlicher Anspruch, der nicht erst durch einen Antrag aktiviert werden muss, wird dazu beitragen, dass Väter, die sich nach der Geburt eines Kindes um die Familie kümmern, zu einer Selbstverständlichkeit werden.

Und auch in der Familie wird es dann selbstverständlich. Der Schon- und Schutzraum nach der Geburt erweitert sich automatisch auch auf den Vater, der sich uneingeschränkt bei hundertprozentiger Erstattung seines Gehaltes um die Familie kümmern kann. Das ist schon ein Gamechanger. Das stärkt auch die gleichberechtigte Aufteilung von Fürsorgearbeit und Erwerbsarbeit. Wenn sich Väter schon sehr früh um die Familie kümmern, ist das etwas, das eine Richtung vorgibt. Und das stärkt auch die Frauen.

Sandra Runge ist Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Autorin. Sie unterstützt Familien im Zusammenhang mit Schwangerschaft, Mutterschutz, Elternzeit und Wiedereinstieg und vertritt aktuell mit ihrem Kollegen Rechtsanwalt Prof. Dr. Remo Klinger einen Vater bei seiner Klage auf Schadensersatz wegen Nichtumsetzung der EU-Vereinbarkeitsrichtlinie zur Familienstartzeit.

Brigitte

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