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"Wir sind nur noch wegen der Kinder zusammen"

"Wir sind nur noch wegen der Kinder zusammen"
© Webb/Ikon Images/Corbis
Nur wegen der Kinder zusammenbleiben? Eine Frau erzählt, warum sie und ihr Mann seit Jahren eine Schein-Beziehung führen - und wie es dazu kam.

So lange ich mich erinnern kann, habe ich das Bild einer glücklichen Mutter-Vater-Kind-Familie im Kopf. So bin ich aufgewachsen: Lehrerkind, Mutter Hausfrau, Haus, Garten, Brüderchen und Schwesterchen. Meine Eltern sind bis heute verheiratet, alles in allem glücklich. So wollte - und will - ich das auch für mich und meine eigene Familie. Aber langsam muss ich der Tatsache ins Auge sehen, dass ich mir vielleicht den falschen Mann dafür ausgesucht habe. Und Alex sich die falsche Frau für das Leben, das ihn glücklich machen würde.

Bloß: Ist das nicht das Problem von Alex und mir? Ist es nicht unsere Aufgabe als verantwortungsbewusste Erwachsene, das mit dem Familienleben hinzukriegen? Ich kann doch nicht zu meinen Söhnen sagen: Sorry, Jungs, der Papa und ich sind zu blöd, um zusammen gute Eltern zu sein, darum werdet ihr jetzt Scheidungskinder mit zwei Wohnungen, Wochenend-und-Ferien-Regelungen und einem Knacks fürs Leben. Oder?

Am Anfang waren wir sehr verliebt. Alles stimmte. Wir lebten in Berlin, gingen viel aus und verreisten, so oft es ging. Wir zogen zusammen, in eine schöne, große, günstige Wohnung. Manchmal sprachen wir über Kinder, Alex wollte auch welche, aber das war alles weit weg.

Als ich entdeckte, dass ich schwanger war, waren wir seit vier Jahren zusammen und steckten gerade mitten im Umzug nach Frankfurt, wo Alex einen neuen Job angenommen hatte. Das Kind war ungeplant - ich hatte mich einfach verrechnet. Die Schwangerschaft kam zwar zu einem blöden Zeitpunkt (ich hatte noch keinen neuen Job in Frankfurt), aber: Ich freute mich! Ich war Anfang dreißig, und wir hatten doch eine tolle Beziehung. In Frankfurt war Alex dann ständig beruflich unterwegs, und ich saß in unserer zu dunklen Wohnung zwischen unausgepackten Kisten, die nicht weniger werden wollten. Ich war nicht glücklich, aber ich erlaubte mir keine negativen Gedanken. Bald würden wir die Familie sein, die ich mir immer gewünscht hatte.

Die Geburt des Sohnes war der Anfang vom Ende

So dramatisch es klingt: Die Geburt unseres Sohnes Marius* war der Anfang vom Ende unserer Beziehung. Alex* hatte sich auf ihn gefreut, nichts deutete darauf hin, wie er sich als Vater verändern würde. Marius weinte viel und schlief wenig.

Mir war alles zu viel, aber Alex kam mit der neuen Situation überhaupt nicht klar. Er redete dauernd davon, wie der Schlafmangel ihn fertigmachte. Marius' Weinen ertrug er nicht. Einmal fragte mich meine Nachbarin, was das nachts für ein Schreien und Poltern in unserer Wohnung gewesen sei - es war Alex, der jammernd seinen eigenen Kopf immer wieder gegen die Wand gerumst hatte. Ich heulte mich am Telefon bei meinen Eltern aus, ohne mich zu sehr über Alex zu beklagen. Und sagte mir das, was auch meine Mutter immer sagte, um mich zu trösten: Das ist normal, wir sind junge Eltern, alles wird besser, wenn Marius erst ein bisschen größer ist.

Es wurde nicht besser. Ich gewöhnte mich nur an die Situation. Alex' Dauererschöpfung blieb. Er schlief am Wochenende bis in die Puppen, während ich um sechs Uhr mit unserem Sohn aufstand. Wir machten fast nichts mehr zusammen. Er hatte auf nichts Lust und immer schlechte Laune. Wenn ich Nähe suchte, zog er sich zurück. Wenn ich über unsere Situation reden wollte, schnauzte er mich an: "Jetzt kriege ich wieder zu hören, dass ich das Ekel bin und du der Engel." Wir stritten mehr, als dass wir normal miteinander sprachen. Auch Marius schnauzte er oft an. Der schien sich daran genauso zu gewöhnen wie ich.

"Natürlich frage ich mich öfter, ob die Jungs und ich ohne meinen Mann nicht glücklicher wären. Und er ohne uns"

Meine beste Freundin hat mich neulich gefragt, wie wir um Himmels willen in dieser Situation ein zweites Kind bekommen konnten. Sogar ein geplantes. Es war nicht, um unsere Ehe zu retten (wir hatten in der Zwischenzeit geheiratet). Sondern weil ich mir immer mehrere Kinder gewünscht hatte.

Ich hatte schon begriffen, dass wir keine tolle Beziehung führten. Aber mein Kinderwunsch war so stark, dass ich vor allem die Augen verschloss. Komischerweise leuchtete auch Alex die Idee mit dem zweiten Kind ein. Ein Einzelkind erschien uns beiden sonderbar. Darum fingen wir an, wieder miteinander zu schlafen. Ich redete mir ein, dass wir endlich auf dem Weg der Besserung wären.

Sobald ich schwanger war, fand Alex dann jedes Mal wieder Ausreden, wenn ich nur den kleinen Finger nach ihm ausstreckte: zu müde, zu kaputt, keinen Bock. Na ja, Letzteres war nicht direkt eine Ausrede. Er hatte - und hat - einfach keine Lust mehr auf mich. Und wenn überhaupt keine körperliche Nähe stattfindet, auch keine Umarmungen, kein Streicheln, kein einziger etwas innigerer Kuss, verschwindet die Lust auf den anderen irgendwann ganz von selbst. Auch bei mir.

Wir haben eigentlich nichts mehr gemeinsam

Seit unser zweiter Sohn Titus auf der Welt ist, haben Alex und ich eigentlich nichts mehr gemeinsam. Außer Reizthemen und zwei Kindern. Titus ist jetzt zwei, Marius fast sechs. Ich habe gelernt, nicht mehr anzusprechen, was mich stört, um Streit zu vermeiden. Am Wochenende unternehme ich Dinge allein mit den Kindern, Alex schläft aus.

Ich nehme es hin, dass der Mann in meinem Leben so gut wie immer genervt ist. Aber natürlich möchte ich lieber einen, mit dem ich über alles reden, lachen und schöne Sachen erleben kann. Und für meine Kinder wünsche ich mir einen liebevollen, geduldigen und zugewandten Vater.

Natürlich frage ich mich immer wieder, ob es die Jungs und ich ohne ihn nicht besser hätten. Ob Alex und ich ohneeinander nicht glücklicher wären. Bestimmt findet er das Leben mit mir genauso frustrierend wie ich mit ihm. Ich könnte mir vorstellen, dass er auch die Kinder mehr genießen würde, wenn er sie nicht ständig um sich hätte. Fragen kann ich ihn das nicht. Dann wird er sofort aggressiv. In letzter Zeit sagt er im Streit häufig: "Dann nehme ich mir halt eine kleine Wohnung für mich allein." Und immer öfter denke ich: Ja! Mach das!

Möglich, dass eine Trennung die beste Lösung für unsere Familie wäre. Ich habe nicht mal Angst vor dem Alleinleben. Aber ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass UNS das passiert.

Ich habe keine Vorbilder für dieses Modell: Meine Eltern sind glücklich verheiratet, mein Bruder auch, ebenso alle meine engeren Freundinnen. Würde ich meinen Kindern die Stabilität einer Familie nehmen, käme es mir vor, als würde ich sie im Stich lassen. Ich schulde ihnen doch ein richtiges Elternhaus. Gerade Jungs brauchen einen Vater, der nicht nur jedes zweite Wochenende da ist. Und ich möchte ihnen so gern vorleben, dass es sich lohnt, sich ein Leben lang aufeinander einzulassen.

Darum hoffe ich, dass wir es miteinander schaffen. Zumindest bis die Kinder groß sind - so blöd das klingt. Bis dahin sollen sie auf uns als sichere Einheit bauen können. Wenn wir uns mit Mitte 50 trennen, haben Alex und ich immer noch die Chance, auf getrennten Wegen glücklich zu werden. Bis dahin müssen wir unser gemeinsames Leben für alle erträglich machen.

*Alle Namen geändert

keine Bildunterschrift
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© Brigitteonline
Protokoll: Michaela Brandt Ein Artikel aus BRIGITTE MOM Heft 1/2015

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